Eine Wiederholung vom 08.09.2019
In Unternehmen, Wirtschaft und Wissenschaft ist schon lange von Diversität die Rede. Dort gibt es ganze Abteilungen für Diversitäts-Management. Das meint: Einzelne Menschen oder gesellschaftliche Gruppen mit unterschiedlichen Merkmalen wie Hautfarbe, Geschlecht, Konfession sollen etwa bei der Stellenbesetzung berücksichtigt werden. Mehr noch: gleichberechtigte Teilhabe und Anerkennung stehen im Vordergrund. Diskriminierung soll damit überwunden werden. Unumstritten ist das nicht. Selbst fortschrittlich gestimmte Kräfte bemängeln das. Der Münchner Soziologe Armin Nassehi sagt dazu:
"Die Aufklärung hat uns eigentlich versprochen, dass die Rechte, die wir haben, dass die Art und Weise wie wir in die Gesellschaft inkludiert sind, unsere Lebenschancen, die wir haben, von den meisten Identitätsmerkmalen, die wir haben, eigentlich absehen sollen, ob wir Männer oder Frauen sind, ob wir aus dieser oder jener Schicht kommen, ob wir schwarz oder weiß sind, ob wir eine hiesige oder eine ferne Herkunft haben, sollte eigentlich gar keine Rolle spielen. Das ist das, was die Aufklärung uns verspricht und es nicht ganz einhalten konnte."
Die Kehrseite der emanzipatorischen Bemühung um Diversität ist nämlich die erneute Festlegung auf diese Merkmale wie Hautfarbe, Nation oder Konfession. Nicht der Mensch steht im Vordergrund, sondern seine Merkmale. Davon sollte aber gerade abgesehen werden. So kann beengend wirken, was befreiend begonnen hatte.
Sagen, wer man ist
"Der liberale Staat sagt eigentlich, ich will gar keine Diversität sehen. Jetzt sehen wir aber genau hin, weil es einen Unterschied macht, ob einer weiße oder schwarze Hautfarbe hat, ein anderes Geschlecht hat, homosexuell ist oder nicht." Wenn man so denkt, denkt man nur in partikularen Identitäten, kritisiert Nassehi. "Man möchte partikularen Gruppen Rechte verleihen, man will aber eigentlich davon absehen, dass es sich um partikulare Gruppen handelt. Deshalb tun wir uns mit Diversität in vielen Bereichen tatsächlich schwer."
Für bestimme Gruppen gibt es in der Gesellschaft gute Gründe, auf Anerkennung und Teilhabe zu pochen. Dabei rücke aber in den Vordergrund, was überwunden geglaubt war. "Zur Zeit erleben wir tatsächlich, dass die Frage, wer man ist, eine größere Rolle wieder spielt. Ich würde es sogar noch verschärfen: nicht nur, wer man ist. Jetzt soll man sogar sagen, wer man ist. Vorher sollte man es nicht sagen, weil es darum geht, wer man sei, jetzt soll man sagen, wer man ist."
Nassehi betont ausdrücklich, Minderheitenrechte müssten stark gemacht werden, im Namen des liberalen Verfassungsstaates, denn wir erleben identitätspolitische Konflikte, wer dazu gehört und wer nicht. "Emanzipation besteht darin, nicht auf eines dieser Merkmale reduziert zu werden, oder sich selbst darauf zu reduzieren."
Gelingende Vergesellschaftung würde Identitätsfragen nicht stellen, sagte Nassehi. Der positive Aspekt von Bürgerlichkeit, sei es, eine Distanz zwischen die Menschen zu setzen, was eine zivilisierte Form von Nähe möglich macht. Der Soziologe empfahl: "Sei du selbst und tu es und dann suchen wir eine Form darüber zu reflektieren."
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