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Soziologe Hartmut Rosa
Der Zauber des Unverfügbaren

Der permanente Versuch, Dinge vollständig zu kontrollieren und die Grenzen des Verfügbaren zu verschieben, sei kennzeichnend für unser Zeitalter, sagte der Soziologe Hartmut Rosa im Dlf. Dabei sei das letzte Moment von Unverfügbarkeit entscheidend dafür, dass wir Glück erfahren.

Hartmut Rosa im Gespräch mit Birgid Becker |
    Winteridylle mit Schnee bei Hohensalzburg
    Zauber der Unverfügbarkeit: Winteridylle mit Schnee (dpa / picture alliance)
    Der Soziologe Hartmut Rosa wählte im Dlf-Interview ein typisch weihnachtliches Motiv, die Sehnsucht nach Schnee, um den Zauber der Unverfügbarkeit zu erklären: Schnee habe eine große Wirkung, er verändere das Bild, wie wir in der Welt sind. Aber er sei unverfügbar, eine Gabe, er könne nicht erzwungen werden, wir könnten es nicht schneien lassen. Der moderne Mensch versuche zwar, ihn doch verfügbar zu machen, etwa mit Kunstschnee. Aber dabei verliere der Schnee die Fähigkeit, die Welt zu verwandeln und uns berühren zu können.
    Der Zwang des Verfügbarmachens
    Das Verfügbarmachen von Dingen sei ein Grundzug der modernen Gesellschaft, sagt Rosa, der sich in seinem Buch "Die Unverfügbarkeit" mit diesem Phänomen auseinandergesetzt hat: Der Versuch, Dinge wissenschaftlich verfügbar zu machen, etwas technisch beherrschbar zu machen und manipulieren zu können. Dies gelte auch für das einzelne Individuum, das auch den Drang verspüre, sich etwas ökonomisch verfügbar zu machen, sich etwas leisten können zu müssen: eine Reise, eine Kreuzfahrt. Wir legten es mit allen Mitteln darauf an, mehr und mehr Welt in Reichweite zu bringen und zur Verfügung zu haben.
    Der Versuch, der Dinge habhaft zu werden, sie ganz und gar zur Verfügung zu haben, sei strukturell in moderne Gesellschaften eingelassen, weil sie sich nur durch Wachstum stabilisieren könnten. Überall, bis in den Alltag hinein, begegne uns deshalb das Verhältnis von Verfügbarem und Unverfügbarem. Der permanente Versuch, die Grenzen des Verfügbaren hinauszuschieben, sei ganz besonders kennzeichnend für das moderne Zeitalter und werde irgendwann zum Zwang: Wir seien gezwungen, uns als Individuum einen Internet-Anschluss zu besorgen und auf diesem Wege Welt verfügbar zu machen, weil wir sonst aus unseren Alltagsbezügen herausfallen.
    Dabei sei der Aspekt der Unverfügbarkeit essenziell dafür, dass Dinge überhaupt lebendig und interessant seien. Dies sei auch im sozialen Leben so: Wenn uns ein Mensch vollständig zur Verfügung steht, immer das tut, was wir wollen, dann höre er auf, ein sprechendes, resonantes Gegenüber zu sein. Zentral sei aber die Erreichbarkeit einer Sache, ein Resonanzverhältnis und die damit verbundene Selbstwirksamkeitserfahrung. Der Zauber entstehe durch Berühren, erlische aber, wenn etwas vollständig unter Kontrolle gebracht werde. Dann nämlich hörte eine Sache auf, eine Quelle für Resonanzerfahrung zu sein. Wenn etwas umgekehrt vollständig unverfügbar sei, passiere das Gleiche.
    Glück als Moment des Nicht-Verfügens
    Rosa veranschaulicht dies mit einem Beispiel aus seinem Buch und zitiert ein Interview mit dem Pianisten Igor Levit. Beethovens Mondscheinsonate, so hätte Levit berichtet, klinge erstaunlicherweise auch nach dem hundertsten Male immer noch anders. Levit habe das Gefühl, das Stück bliebe beim Spielen im Dialog, er arbeite sich immer wieder aufs Neue daran ab, etwas bliebe für ihn unverfügbar. Er hoffe, dass er niemals damit fertig werde. Dies, so Levit, bedeute für ihn Glück.
    Daran, so Rosa könne man sehen: Das letzte Moment des Nicht-Verfügens sei konstitutiv dafür, was wir als Glück und Resonanz erfahren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.