Positionen gegen die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie seien unter AfD-Wählern weit verbreitet und vor allem stabil. Insofern halte er den Begriff Protestwähler für komplett verharmlosend. Damit versuche sich die institutionalisierte Politik seit jeher zu beruhigen. Laut Heitmeyer ist seit vielen Jahren eine Art Normalisierung von früher nicht salonfähigen Positionen zu beobachten.
Der Soziologe warnte davor, die AfD bloß als rechtspopulistisch zu bezeichnen. Er spricht von "Autoritärem Nationalradikalismus". Rechtspopulismus ziele etwa auf kurzzeitige Erregungszustände. Das sei in dem Fall unzureichend. Das Autoritäre solcher Parteien wie der AfD bestehe darin, ein verändertes Ordnungsmodell anzustreben mit traditionellen Lebensweisen, klaren Hierarchien und dichotomischen Gesellschaftsbildern wie "Wir gegen Die", "Innen gegen Außen" oder "Eigenes gegen Fremdes". Beim Nationalistischen gehe es um Überlegenheitsansprüche deutscher Kultur. Dieser Politiktypus sei anschlussfähig an eine weitverbreitete "rohe Bürgerlichkeit" - also eine verachtende Haltung gegenüber Schwächeren, die sich hinter einer glatten Fassade verberge.
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Emanzipierung früher unterdrückter Personengruppen, Stichwort: "Wokeness", führte er aus, die empfundenen Identitäts-Bedrohungen seien heute am ausschlaggebendsten dafür, dass sich Menschen dem autoritären Nationalradikalismus zuwendeten.
Um sich dagegen zu stellen, rät Heitmeyer dazu, demokratische Angebote für Personen zu entwickeln, die sich nicht repräsentiert fühlten. Zudem müssten die teilweise rechtsautoritären Strukturen in staatlichen Institutionen wie Polizei und Bundeswehr angegangen werden.
Die Zivilgesellschaft rief er auf, konfliktfähiger zu werden. Insbesondere in den nahen Bezugsgruppen wie Verwandtschaften, Freundesgruppen, Kirchen, Sportvereinen, am Arbeitsplatz etc. sei es nötig, Positionen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sofort entschieden zu widersprechen - auch auf die Gefahr hin, aus den eigenen Bezugsgruppen ausgeschlossen zu werden. Sonst trage man an der Normalisierung und Anschlussfähigkeit der AfD eine Mitschuld.
Den Hochschulen warf Heitmeyer vor, nichts gegen "die ausgeprägten nationalkonservativen Ansichten" unter Studierenden an rechtswissenschaftlichen, wirtschaftswissenschaftlichen und technologischen Fakultäten zu tun.
Umfragen sehen die AfD inzwischen gleich auf oder sogar vor der SPD und damit als zweitstärkste Kraft.
Diese Nachricht wurde am 16.06.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.