Karin Fischer: Die trauen sich was: Dass Kultur nur mehr auf der Fördercouch gedeiht, sagen vier Autoren des Buches "Der Kulturinfarkt"; doch die Kulturförderung sei noch lange keine Zukunftssicherung Kultur. Eine sehr deutsche Ablehnung der "Kulturindustrie" nach Adorno gehe einher mit einer Ablehnung des Marktes, das Konzept einer "Kultur für alle" sei aber trotz Dumping-Preisen und niedrigschwelliger Vermittlungsangebote gescheitert. Stattdessen reproduziere sich ein hoch subventionierter und mit Preisen aufgeblasener Kulturmarkt für immer weniger Nutzer und würde dadurch immer teurer. Zu viel Geld für Kultur schadet aber nur.
Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz, allesamt Kulturmanager, Kulturwissenschaftler oder Kulturförderer, heißen die Autoren des Buches, und bevor der Aufschrei der Kulturverwalter die ganze Diskussion lahm legt, wollte ich Dieter Haselbach, Soziologieprofessor in Marburg und Geschäftsführer des Zentrums für Kulturforschung in Bonn, gefragt haben: Was ist das möglicherweise Positive an Ihrer These "Kultur kann auch weg, mindestens zur Hälfte"?
Dieter Haselbach: Unsere These ist ja nicht, dass Kultur zur Hälfte weg kann, sondern unsere These ist, dass wir in Deutschland eine Diskussion darüber führen sollten, wie die Gelder für Kultur sinnvoller ausgegeben werden. Wenn die Diagnose ist, dass die Institutionen von den kulturellen Geldern immer mehr auffressen und immer weniger Flexibilität im System ist, dann verstehen Sie bitte eine provokante Forderung, wir können über die Hälfte der Kulturinstitutionen nachdenken, so, dass wir darüber sprechen wollen, das was existiert ordentlich zu fördern und das zu tun, was in der Förderung auch notwendig ist, nämlich Innovation zu fördern, Veränderung zu fördern und sich nicht aus dem Markt rauszufördern oder von dem Markt wegzufördern, sondern mit ihm zu korrespondieren, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Fischer: Nun ist halt der Markt und die Kultur ein problematisches Gespann. Es geht ja nicht nur darum, die Kultur durch Subvention für viele bezahlbar zu machen, es geht ja auch darum, ihr die Freiheit zu erhalten, die gerade nicht durch einen sogenannten "Publikumsgeschmack" definiert sein darf, und genau deswegen haben wir zum Beispiel in Deutschland ein Theatersystem, das einmalig ist in der Welt, um das uns ganz Europa beneidet und in dem Dinge stattfinden, die man schon in England oder Italien nie zu sehen bekäme. Was haben Sie gegen Kulturförderung in diesem Sinne?
Haselbach: Wir haben nichts gegen Kulturförderung, und die Frage ist, beneidet uns wirklich Europa um dieses Theatersystem. Außerdem gibt es immer noch eine andere Seite: Theater ohne Publikum ist ja auch ziemlich langweilig.
Fischer: Hat das Theater in Deutschland kein Publikum, haben Sie das statistisch nachgewiesen?
Haselbach: Na ja, selbstverständlich hat das Theater ein Publikum. Uns geht es darum, darüber nachzudenken und darüber wieder erneut öffentlich zu diskutieren, wofür die öffentlichen Kulturgelder ausgegeben werden, ob sie dazu ausgegeben werden, ein immer gleiches System fortzuschreiben, oder ob sie dazu ausgegeben werden, Innovation im System möglich zu machen, das System frisch und flexibel zu halten. Die Tendenzen sind, dass immer mehr Geld ausgegeben wird für die vorhandenen Institutionen und nichts mehr übrig bleibt, weder für die Kunst und Kultur der jungen Generation, noch viel übrig bleibt für neue Entwicklungen in der Gesellschaft, weil das Kultursystem selber, oder das geförderte Kultursystem selber die Mittel frisst, und zwar in immer größerem Maße.
Fischer: Was die Museen betrifft, so haben Sie natürlich auch registriert wie wir alle, dass es immer mehr Gebäude gibt, aber immer weniger Ankaufsetats. Was wäre da zu tun? Muten Sie den Leuten größere Anfahrtswege an die entsprechenden Institutionen zu, oder was bedeutet das?
Haselbach: Es muss nicht für jeden vor jeder Haustür ein vollständiges Kulturangebot sein. Wenn ich mir betrachte, wie für andere Konsum- oder Freizeitentscheidungen Menschen große Strecken zurücklegen, denke ich, das kann man auch zumuten für einen Kulturbesuch.
Fischer: Dieter Haselbach, was wünschen Sie sich, was jetzt passiert? Der Aufschrei ist ja erwartbar.
Haselbach: Was passieren sollte ist, dass wir aus den kulturellen Etats, die da sind, durch eine intensive politische Diskussion, durchaus auch durch die Schließung von Einrichtungen - das wird sicher den größten Aufschrei hervorrufen - Mittel frei bekommen und diese Mittel neu verteilen. Wir haben da eine ganze Reihe von Ideen und die haben wir in unserem Buch sehr ausführlich dargestellt. Die verbliebenen Einrichtungen sollten so ausgestattet sein, dass sie auch auf höchstem Niveau arbeiten können.
Ich denke, wir brauchen neue Formen medienkultureller Produktion und Distribution, die gefördert werden müssen. Wir denken, die Laienkultur ist in den letzten Jahren immer mehr ins Hintertreffen geraten und auch die Infrastrukturen, die Laienkultur braucht. Die Kunstausbildung könnte viel praktischer, viel experimenteller, auch viel marktnäher werden. Und was wir in unserer Gesellschaft weiterhin brauchen, angesichts der rasanten Veränderung der Gesellschaft, ist eine wirkliche und ernstliche Auseinandersetzung mit interkulturellen Formen. Dazu gehört auch, dass wir chinesische Kultur verstehen, dass wir die Reibungsflächen in unserer Gesellschaft zwischen den kulturellen Herkünften und den neuen hybriden Formen und den transkulturellen Formen verstehen. Dafür sollte Geld zur Verfügung stehen. Es sollte mehr Geld zur Verfügung stehen, deswegen haben wir diese Diskussion angefangen.
Fischer: Dieter Haselbach war das, Mit-Autor des Buches "Der Kulturinfarkt". Die Polemik gegen Kulturstaat und Kultursubvention erscheint am 20. März.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz, allesamt Kulturmanager, Kulturwissenschaftler oder Kulturförderer, heißen die Autoren des Buches, und bevor der Aufschrei der Kulturverwalter die ganze Diskussion lahm legt, wollte ich Dieter Haselbach, Soziologieprofessor in Marburg und Geschäftsführer des Zentrums für Kulturforschung in Bonn, gefragt haben: Was ist das möglicherweise Positive an Ihrer These "Kultur kann auch weg, mindestens zur Hälfte"?
Dieter Haselbach: Unsere These ist ja nicht, dass Kultur zur Hälfte weg kann, sondern unsere These ist, dass wir in Deutschland eine Diskussion darüber führen sollten, wie die Gelder für Kultur sinnvoller ausgegeben werden. Wenn die Diagnose ist, dass die Institutionen von den kulturellen Geldern immer mehr auffressen und immer weniger Flexibilität im System ist, dann verstehen Sie bitte eine provokante Forderung, wir können über die Hälfte der Kulturinstitutionen nachdenken, so, dass wir darüber sprechen wollen, das was existiert ordentlich zu fördern und das zu tun, was in der Förderung auch notwendig ist, nämlich Innovation zu fördern, Veränderung zu fördern und sich nicht aus dem Markt rauszufördern oder von dem Markt wegzufördern, sondern mit ihm zu korrespondieren, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Fischer: Nun ist halt der Markt und die Kultur ein problematisches Gespann. Es geht ja nicht nur darum, die Kultur durch Subvention für viele bezahlbar zu machen, es geht ja auch darum, ihr die Freiheit zu erhalten, die gerade nicht durch einen sogenannten "Publikumsgeschmack" definiert sein darf, und genau deswegen haben wir zum Beispiel in Deutschland ein Theatersystem, das einmalig ist in der Welt, um das uns ganz Europa beneidet und in dem Dinge stattfinden, die man schon in England oder Italien nie zu sehen bekäme. Was haben Sie gegen Kulturförderung in diesem Sinne?
Haselbach: Wir haben nichts gegen Kulturförderung, und die Frage ist, beneidet uns wirklich Europa um dieses Theatersystem. Außerdem gibt es immer noch eine andere Seite: Theater ohne Publikum ist ja auch ziemlich langweilig.
Fischer: Hat das Theater in Deutschland kein Publikum, haben Sie das statistisch nachgewiesen?
Haselbach: Na ja, selbstverständlich hat das Theater ein Publikum. Uns geht es darum, darüber nachzudenken und darüber wieder erneut öffentlich zu diskutieren, wofür die öffentlichen Kulturgelder ausgegeben werden, ob sie dazu ausgegeben werden, ein immer gleiches System fortzuschreiben, oder ob sie dazu ausgegeben werden, Innovation im System möglich zu machen, das System frisch und flexibel zu halten. Die Tendenzen sind, dass immer mehr Geld ausgegeben wird für die vorhandenen Institutionen und nichts mehr übrig bleibt, weder für die Kunst und Kultur der jungen Generation, noch viel übrig bleibt für neue Entwicklungen in der Gesellschaft, weil das Kultursystem selber, oder das geförderte Kultursystem selber die Mittel frisst, und zwar in immer größerem Maße.
Fischer: Was die Museen betrifft, so haben Sie natürlich auch registriert wie wir alle, dass es immer mehr Gebäude gibt, aber immer weniger Ankaufsetats. Was wäre da zu tun? Muten Sie den Leuten größere Anfahrtswege an die entsprechenden Institutionen zu, oder was bedeutet das?
Haselbach: Es muss nicht für jeden vor jeder Haustür ein vollständiges Kulturangebot sein. Wenn ich mir betrachte, wie für andere Konsum- oder Freizeitentscheidungen Menschen große Strecken zurücklegen, denke ich, das kann man auch zumuten für einen Kulturbesuch.
Fischer: Dieter Haselbach, was wünschen Sie sich, was jetzt passiert? Der Aufschrei ist ja erwartbar.
Haselbach: Was passieren sollte ist, dass wir aus den kulturellen Etats, die da sind, durch eine intensive politische Diskussion, durchaus auch durch die Schließung von Einrichtungen - das wird sicher den größten Aufschrei hervorrufen - Mittel frei bekommen und diese Mittel neu verteilen. Wir haben da eine ganze Reihe von Ideen und die haben wir in unserem Buch sehr ausführlich dargestellt. Die verbliebenen Einrichtungen sollten so ausgestattet sein, dass sie auch auf höchstem Niveau arbeiten können.
Ich denke, wir brauchen neue Formen medienkultureller Produktion und Distribution, die gefördert werden müssen. Wir denken, die Laienkultur ist in den letzten Jahren immer mehr ins Hintertreffen geraten und auch die Infrastrukturen, die Laienkultur braucht. Die Kunstausbildung könnte viel praktischer, viel experimenteller, auch viel marktnäher werden. Und was wir in unserer Gesellschaft weiterhin brauchen, angesichts der rasanten Veränderung der Gesellschaft, ist eine wirkliche und ernstliche Auseinandersetzung mit interkulturellen Formen. Dazu gehört auch, dass wir chinesische Kultur verstehen, dass wir die Reibungsflächen in unserer Gesellschaft zwischen den kulturellen Herkünften und den neuen hybriden Formen und den transkulturellen Formen verstehen. Dafür sollte Geld zur Verfügung stehen. Es sollte mehr Geld zur Verfügung stehen, deswegen haben wir diese Diskussion angefangen.
Fischer: Dieter Haselbach war das, Mit-Autor des Buches "Der Kulturinfarkt". Die Polemik gegen Kulturstaat und Kultursubvention erscheint am 20. März.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.