Archiv

Soziologe Ulrich Rosar
"Wettbewerbsvorteil" für attraktivere Politiker

Laut einer Studie war noch keine Wahl so stark von der Attraktivität von Politikern beeinflusst wie die zum letzten Bundestag. Studienleiter Ulrich Rosar sagte im Dlf, ein Grund seien mangelnde Unterschiede zwischen den Parteien. Beeinflussung durch die physische Attraktivität laufe so subtil ab, dass Wähler dies kaum merkten.

Ulrich Rosar im Gespräch mit Ralf Krauter |
    Von links nach rechts: Sahra Wagenknecht (Die Linke), Cem Özdemir (Bündnis 90 / Die Grünen), Christian Lindner (FDP), Joachim Herrmann (CSU) und Alice Weidel (AfD).
    Sahra Wagenknecht (l.) und Christian Lindner (M.) sind der Studie zufolge die attraktivsten Spitzenkandidaten der jüngsten Bundestagswahl (dpa / Collage Deutschlandradio)
    Ralf Krauter: Früher einmal, da haben Politikerinnen und Politiker vor allem mit mitreißenden Reden und schlüssigen Konzepten beim Wahlvolk gepunktet. Aber eine Studie zufolge, die Forscher der Uni Düsseldorf heute präsentiert haben, sind diese Zeiten vorbei. Ein Team um den Soziologen Prof. Ulrich Rosar kommt nämlich zu dem Schluss: Bei der Bundestagswahl 2017 bekamen Kandidaten, die gut aussehen, drei bis fünf Prozent mehr Wählerstimmen als unansehnlichere Bewerber. Nach dem Bekanntheitsgrad ist die physische Attraktivität damit offenbar zum zweitwichtigsten Faktor für den Wahlerfolg avanciert. Nun liegt Schönheit aber bekanntlich im Auge des Betrachters. Deshalb habe ich Ulrich Rosar vorhin gefragt, wie er die physische Attraktivität der 1.786 Politiker erfasst hat, die in seine Studie eingeflossen sind.
    Ulrich Rosar: Wir ermessen Schönheit ganz simpel, indem wir Porträtfotografien Versuchspersonen vorlegen, die gebeten werden, ein Attraktivitätsurteil spontan abzugeben, also ohne groß drüber nachzudenken, und wir nutzen üblicherweise eine siebenstufige Skala, die von "0 gleich unattraktiv" bis "6 gleich attraktiv" reicht. Und da Personen unterschiedlich diese Skala ausnutzen, braucht man etwa 24 Versuchspersonen, um diese Differenzen auszugleichen und bekommt dann – in Anführungszeichen – den wahren Attraktivitätswert der Person. Das nennt man die sogenannte Truth-of-Consensus-Methode. Wir stützen uns also auf einen Konsens der Betrachter. Und in der Tat lässt sich zeigen, dass die Übereinstimmung der Urteile sehr, sehr hoch ist und dass man auch mit anderen Verfahren oder mit mehr Versuchspersonen zu kaum einen anderen Ergebnis kommen wird.
    Sahra Wagenknecht und Christian Lindner oben im Ranking
    Krauter: Was ist denn rausgekommen bei dieser Schönheitsbewertung zunächst mal? Sie haben ja insgesamt 1.786 Politiker untersucht. Welche bundesweit bekannten sind bei dieser Schönheitsklassifizierung oben auf dem Treppchen gelandet und welche vielleicht eher weiter unten?
    Rosar: Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich zu den wenig Attraktiven wenig sagen werde. Aber was die Attraktiven angeht, so ist unter den Bundesspitzenkandidaten Sahra Wagenknecht die Attraktivste und Christian Lindner unter den Männern. Lindner erreicht zum Beispiel unter allen Männern, die wir in die Studie einbezogen haben, das waren rund 1.300, den 30. Platz, und für einen Mann seines Alters ist das durchaus beachtlich.
    Krauter: Nun haben Sie ja versucht zu korrelieren diese Attraktivitätswerte mit dem Wahlerfolg des jeweiligen Politikers. Wie genau sind Sie da vorgegangen? Weil wenn jetzt, ich sage mal, ein gut aussehender Politiker besonders viele Stimmen bekommt, heißt das ja noch nicht, dass er die bekommen hat, weil er gut aussieht. Vielleicht hat er auch einfach mitreißende Reden gehalten oder irgendwie anders gepunktet. Also wie dröseln Sie den Faktor Attraktivität dann aus dieser Vielzahl von Faktoren, die den Wahlerfolg bestimmen, raus?
    Rosar: Das sind in der Tat relativ komplexe statistische Verfahren. Wir kontrollieren, so nennen wir das, für eine Reihe weiterer Faktoren, zum Beispiel, ob es ein prominenter Politiker ist, der ein politisches Spitzenamt hat, ob es ein Mitglied des Bundestags ist. Darüber hinaus untersuchen wir zum Beispiel Migrationshintergrund, Alter und Geschlecht sowie als Sammelvariable die Parteizugehörigkeit. Und unsere statistischen Programme bilden uns dann quasi statistische Zwillinge, zweieiige Zwillinge, die sich auf allen Merkmalen, die wir eingegeben haben, gleichen, nur in einem Merkmal, das uns gerade interessiert, unterscheiden, zum Beispiel der Attraktivität. Und dann wird uns der Wert ausgegeben, der Prozentpunktewert, den der Attraktivere mehr erreicht im Vergleich zum Unattraktiven. So kann man sich das in etwa vorstellen.
    Merkel hat laut Studien "an Attraktivität verloren"
    Krauter: Das Ergebnis Ihrer Analyse lässt sich ganz einfach zusammenfassen: Attraktivere Politikerinnen und Politiker werden häufiger gewählt.
    Rosar: Ja. Sie haben einen systematischen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihrer weniger ansehnlichen Konkurrenz, und das unter Konstanthaltung und Kontrolle aller eben genannten Faktoren.
    Krauter: Nun ist ja aus vielen Bereichen schon bekannt, dass Menschen, die gut aussehen, oft erfolgreicher sind, also sei es im Berufs- oder Privatleben. Das haben schon diverse Studien belegt. Wirklich überraschend an Ihren Ergebnissen fand ich jetzt eigentlich nur, dass attraktivere Kandidaten sogar die Wahlbeteiligung positiv beeinflussen können. Welche Schlussfolgerungen sollten die Parteien denn aus diesen Befunden ziehen?
    Rosar: Sie haben recht, dass das kein singulärer Einzelfall ist, dass die physische Attraktivität den Erfolg oder Misserfolg in verschiedenen Lebensbereichen beeinflusst. Besonders an dieser Wahl war, dass wir noch nie einen so starken Effekt gemessen haben. Das hängt aus unserer Einschätzung damit zusammen, dass wir hier einen weitgehend ereignislosen Wahlkampf hatten, wo es sehr schwer war, zwischen zum Beispiel den beiden großen Parteien Unterschiede festzustellen und darüber hinaus für viele Wählerinnen und Wähler das Wahlergebnis, nämlich eine Neuauflage der Großen Koalition, im Vorfeld lange schon festzustehen schien. Und das wäre zum Beispiel etwas, wo Politik mit drüber nachdenken könnte, auch wieder etwas mutiger zu sein, vielleicht etwas stärker Kontur und Kante zu zeigen und den Wettbewerb offensiver zu führen. Unsere Hauptstoßrichtungen waren allerdings die Wählerinnen und Wähler, weil die Beeinflussung durch die physische Attraktivität der Kandidatinnen und Kandidaten läuft so subtil ab, dass kaum jemand, glaube ich, merkt, dass er dort beeinflusst wird. Und dass es aber hilft, wenn die Menschen anfangen, dort drüber zu reflektieren, und dass sie sich dann zum Beispiel an Sachkriterien wieder stärker orientieren, ist in anderen Zusammenhängen schon mehrfach nachgewiesen worden. Und das ist unsere Motivation gewesen, mit der Studie an die Öffentlichkeit zu gehen.
    Krauter: Über Christian Lindner haben wir schon gesprochen. Wie sieht es denn mit Martin Schulz und Angela Merkel aus? Gab es da signifikante Unterschiede in der Attraktivitätsklassifizierung, die den Ausgang der Wahl auch erklären könnten?
    Rosar: Also es ist sehr schwer, bei gerade mal zehn Bundesspitzenkandidatinnen und -kandidaten der Parteien robuste statistische Ergebnisse zu erzielen. Was man aber sagen kann ist, dass Martin Schulz tatsächlich eine Nuance besser bewertet wurde als Angela Merkel und Angela Merkel im Vergleich zu früheren Studien an Attraktivität verloren hat. Das ist einerseits normal, weil wir alle werden älter, und dann sinkt unsere Attraktivität. Aber ich glaube, man kann hier auch ein Phänomen beobachten, dass wir oft bei Spitzenpolitikern, insbesondere bei Regierungschefs haben, dass sich eben auch die Belastung des Amtes körperlich eingräbt. Also ihre Falten sind stärker geworden, sie ist, glaube ich, schneller gealtert. Etwas Ähnliches hat man zum Beispiel bei Barack Obama auch gesehen, der wirklich sehr schnell, gerade in der zweiten Amtszeit, ergraut ist.
    "Visuelle Medien brauchen attraktive Gesichter"
    Krauter: Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, also Bekanntheitsgrad ist sozusagen der wichtigste Erfolgsfaktor für einen Politiker. Das Zweitwichtigste war die physische Attraktivität. Was verrät das denn eigentlich über eine Gesellschaft, wenn also nicht mehr Inhalte und die politische Agenda oder vielleicht auch die Integrität der Kandidaten, die sich zur Wahl stellen, den Ausschlag gibt, sondern solche äußerlichen Faktoren? Hat sich da in den vergangenen Jahren irgendwas verändert, dass wir das heute wichtiger nehmen?
    Rosar: Ja, wir sprechen hier von der Personalisierung der Politik. Das hat drei Komponenten: Zum einen setzen die Parteien selbst immer mehr auf Personen anstatt auf Inhalte. Der Kollege Poguntke hat hierfür den Begriff Präsidentialisierung mitgeprägt. Die Medien, die immer stärker visuelle Medien werden, brauchen einfach Köpfe und Gesichter und natürlich dann attraktive Gesichter, um Inhalte zu transportieren. Und wenn Sie jetzt mal an die 70er-Jahre zurückdenken, wo wir noch sehr große politische Konfliktlinien haben, dann sind das oftmals heute Detailfragen, um die es geht. Wir haben selten noch ganz große Richtungsentscheidungen, wo die Parteien sich klar unterscheiden, und das ist einfach schwierig, aus den Parteiprogrammen, aus den Wahlkampfprogrammen die Inhalte herauszudestillieren. Und selbst wenn Sie das können oder könnten, haben Sie oftmals das Problem, dass Sie natürlich nicht abschätzen können, wird diese Partei das umsetzen, ist das Personal dann auch kompetent, das umzusetzen. Und so orientieren sich die Wählerinnen und Wähler auch immer stärker an Proxyvariablen. Sie versuchen, mit Sicherheit substanzielle Aspekte zu nehmen, aber oftmals lassen wir uns auch von rollenfernen Aspekten wie der physischen Attraktivität täuschen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.