"Oh welche Sünde ist's, Fleisch in Fleisch zu begraben."
Es war der römische Schriftsteller Ovid, der schon vor mehr als 2.000 Jahren den menschlichen Fleischverzehr verdammte.
"Oh welche Sünde ist's, Fleisch in Fleisch zu begraben, den Leib mit gierig verschlungenen Leibern zu mästen und vom Mord an einem anderen beseelten Wesen als denkendes Wesen zu leben!"
Die Verve, mit der Ovid das formuliert, zeigt, dass ein vegetarisches Leben im antiken Rom keineswegs unvorstellbar war. Und das in der damals äußerst brutalen römischen Kultur, sagt der Literaturwissenschaftler Professor Jan Philipp Reemtsma vom Hamburger Institut für Sozialforschung:
"Sie war eine kriegerische Kultur, eine Sklavenhalterkultur. Sie war eine Kultur der Gladiatorenkämpfe, des öffentlichen Ermordens von Menschen und des öffentlichen Ermordens von Tieren."
Eine Kultur, vor der uns heute schaudert. In der öffentliche Hinrichtungen, Folter, Mord an der Tagesordnung waren. Wir dagegen definieren unser Zusammenleben als möglichst friedlich, und rücksichtsvoll.
"Auf der anderen Seite gibt es für die massenhafte Fleischversorgung Billigfleisch, das sich nur ökonomisch rechenbar erzeugen lässt durch Massentierhaltung und durch eine ungeheure Massenbrutalität. Und ein Absehen vom individuellen Leid des zu tötenden Tieres."
Realität in Schlachthäusern wird verleugnet
Es sind Abermillionen Schweine, Kühe, Schafe, Kälber und Hühner, die allein in Deutschland jährlich industriell abgeschlachtet werden. Jedem Deutschen sein Stück Fleisch auf dem Teller. Am besten täglich. Auf den ersten Blick ein Widerspruch zu unserem friedlichen Selbstverständnis. Aber, so Jan Philipp Reemtsma, die modernen Gesellschaften sind nie wirklich gewaltfrei gewesen.
"Nur sie mussten immer Konstruktionen finden, wie sie das hinbekommen mit ihrer eigenen Realität, die ihren eigenen Idealen widerstrebt, klarzukommen. Und in diesem Falle ist es zweierlei. Einmal sagt man, wir wollen, dass nicht nur Oberklassen sich den Sonntags- oder gar Alltagsbraten leisten können. Sondern es sollen alle. Das ist die soziale Selbstverpflichtung dieser Gesellschaft. Und die andere Seite ist, dass man die Realität in den Schlachthäusern verleugnet. Und sagt, so schlimm ist es nicht."
Letztlich ist es unsere eigene Entscheidung, wie wir miteinander umgehen und mit den Tieren in unserer Mitte, resümiert Jan Philipp Reemtsma.
"Und alle Argumentation, das Eine sei natürlicher als das Andere, ist sowohl vonseiten der Befürworter des exzessiven Fleischkonsums, wie vonseiten der Kritiker völlig verfehlt. Sondern das sind moralische Präferenzen, die wir treffen am Anfang des 21, Jahrhunderts. Als moderne Menschen. Die frei sind, ihr Leben zu gestalten, wie sie selber es für richtig halten."
Tiere, so Professor Peter Niesen vom Fachbereich Sozialwissenschaften der Hamburger Universität, Tiere, insbesondere unsere Nutztiere sollten als Mitglieder unseres politischen Gemeinwesens begriffen werden.
"Weil wir bei denen einigermaßen sicher sind, dass es erlebnisfähige Tiere sind, schmerzempfindliche Tiere sind und Tiere, denen wir eine ganze Menge zumuten aus unseren eigenen Interessen. Woraus dann andrerseits Ansprüche dieser Tiere abgeleitet werden können."
Gerechte Ansprüche erfüllen
Es sei notwendig, ergänzt die Politologin Svenja Ahlhaus von der Universität Hamburg, in Deutschland und anderen Staaten zu diskutieren, wie wir mit diesen Tieren umgehen:
"Und dass es außerdem notwendig ist in dieser Diskussion, die Stimme von Tieren politisch zu vertreten. Dass sich Leute dazu bereit erklären oder von einer Stelle ernannt werden, die versuchen die Position von Tieren in dieser Debatte zu vertreten."
So sei es durchaus vorstellbar, die Interessen von Tieren auch ins Parlament zu tragen. Ähnlich den Interessen von Kindern, die nicht für sich selber sprechen können, sagt Peter Niesen.
"Und dass die politische Repräsentation dazu dienen soll, ihnen ihre gerechten Ansprüche auch zu erfüllen. Die können zunächst einmal in den Haltungsbedingungen liegen. Man könnte sich aber auch vorstellen, dass die Frage gestellt wird, dürfen wir Nutztiere überhaupt noch schlachten. Das heißt, ist das vereinbar mit ihrer politischen Mitgliedschaft in einem Gemeinwesen."
Dem immer wieder erhobenen Einwand, wer Rechte habe, der müsse auch Pflichten übernehmen, tritt Peter Niesen in Sachen Tieren energisch entgegen.
"Denn dazu wäre es erforderlich, dass sie auch überlegen könnten und sich für oder gegen die Erfüllung einer Pflicht entscheiden könnten."
Dazu ist aber einzig der Mensch in der Lage. Weshalb er mit seinem Selbstverständnis als Krone der Schöpfung sich selbst bis heute als über alle anderen Lebewesen stellt. Hier sei ein neues Weltbild längst überfällig, behauptet Svenja Ahlhaus:
"Dass es eben nicht mehr von so einem vom Menschen fokussierten Weltbild ausgeht, dass wir die einzigen Lebewesen sind, die moralisch zählen. Sondern dass es noch viel mehr Lebewesen gibt, die wir einbeziehen müssen, wenn wir uns überlegen, wie wir unsere Welt gestalten wollen."
Es dürfe, so Peter Niesen, nicht moralphilosophisch argumentiert werden, welche Rechte Tieren von Natur aus zustehen. Man müsse zu handfesten politischen Veränderungen kommen. Kleine Erfolge habe zum Beispiel die EU auch über kulturelle Grenzen hinweg schon zu verzeichnen.
"Beispielsweise bestimmte Haltungsverbote für Milchvieh, dass also die Anbindehaltung jetzt unter Strafe gestellt wird, dass das in der EU flächendeckend betrieben wird. Und dass das kleine Schritte sind. Aber Schritte, die in die richtige Richtung gehen."
Mensch stehe zu allen Lebensform in Verwandtschaft
Gustav Heinemann habe einmal gesagt: Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den schwächsten ihrer Glieder verfährt, resümiert Peter Niesen. Das müsse man auch auf Tiere anwenden.
"Ich finde es großartig, wenn wir eines Tages an der politischen Form der Gesellschaft ablesen könnten, wie sie ihre Tiere behandelt. Dass wir also guten Gewissens sagen könnten, wir leben in einer Demokratie und damit ist verbunden, dass wir die Ansprüche von Tieren schützen. Im Moment seh' ich noch keine großen Unterschiede zwischen den Haltungsbedingungen in Demokratien und in Diktaturen."
Tierversuche, Massentierhaltung. Wir achten Tiere in unserer Gemeinschaft nicht als Wesen, sondern rauben ihnen die elementarsten Lebensmöglichkeiten. Wie Bewegungsfreiheit und soziale Kontakte, sagt Bernd Ladwig, Professor für Sozialwissenschaften am Otto-Suhr-Institut in Berlin.
"Die Verantwortung dafür, einzusehen, was wir moralisch tun und lassen müssen, kommt uns selber zu, weil nur wir die entsprechende Fähigkeit haben. Das heißt aber auf der anderen Seite nicht, dass nur Wesen wie wir auch Nutznießer unserer moralisch geschuldeten Rücksicht sein können. Wir schulden ja auch zum Beispiel kleinen Kindern Rücksichten. Unabhängig davon, ob sie imstande sind, diese zu verstehen und zu erwidern."
Der Mensch müsse sich darauf besinnen, dass er zu allen anderen Lebensformen auf dem Planeten in Verwandtschaftsbeziehung stehe. Mit dem Unterschied, dass er verantwortlich sei.
"Wir bilden uns viel ein auf unsere Humanität, die sich in den Menschenrechten etwa manifestiert. Und diese Humanität verkennt, dass es eine Art Kellerbereich der Gesellschaft gibt, in der Bestialitäten stattfinden, die damit nicht in Einklang zu bringen sind."
Bestialitäten, die durch Institutionen und gesetzliche Regelungen gefördert und belohnt würden, beklagt Bernd Ladwig.
"Wir geben Akteuren, etwa Landwirten, sogar ökonomische Anreize und wir lassen zu, dass sie sogar ökonomischen Zwängen unterliegen, Tiere in einer bestimmten Weise auszunutzen und zu töten. Und diese Rahmenbedingungen könnten wir verändern. Und weil ich denke, dass hier die Rechte anderer fühlender und erlebensfähiger Wesen auf dem Spiel stehen, sind wir auch verpflichtet, sie zu verändern."
Tiere sind nicht allein für unsere Zwecke da
Schon lange würde sogar das Erbgut der Tiere so manipuliert, dass es ökonomischen Nutzen für Menschen bringe.
"Wenn Sie etwa an das Brustfleisch bestimmter Puten denken, dann werden Sie da Tiere haben, die keinen Tag in der sogenannten freien Wildbahn überleben können, weil sie so einseitig ausgerichtet sind. Eben auf das Hervorbringen von möglichst viel weißem Fleisch in möglichst kurzer Zeit."
Dass es zumindest in Deutschland eine lange Tradition der Tierschutzgesetze gibt, lässt Bernd Ladwig nicht gelten.
"Man muss auch sehen, dass auch die Tierschutzgesetze immer noch letzten Endes von der Voraussetzung ausgehen, dass wir grundsätzlich das Recht haben, Tiere zu halten und zu töten zu Zwecken wie Fleischgewinnung, Ledergewinnung und Ähnlichem mehr. Und dass dann die Frage nur noch ist, ob man unter dieser Voraussetzung den Tieren ein sogenanntes unnötiges, vermeidbares Leid zufügt. Damit ist aber bereits akzeptiert, dass Tiere allein für unsere Zwecke da sein könnten. Das sie also keine Wesen eigenen Rechts sind. Und diese Auffassung muss man brechen."