Es ist eine Premiere für die Weltraumbehörde NASA, manche sagen sogar ein Meilenstein. Spielt das Wetter mit – und danach sieht es derzeit aus -, dann wird heute Abend, mitteleuropäischer Zeit, erstmals von Cape Canaveral, dem amerikanischen Weltraumbahnhof, eine bemannte kommerzielle Weltraummission starten. Sowohl die Falcon-Rakete als auch die bemannte Dragon-Kapsel wurden von SpaceX entwickelt – einem Unternehmen des exzentrischen Tesla-Begründers Elon Musk. Die NASA ist dann nur noch zahlender Kunde. Dazu die Einschätzung vom Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA, Jan Wörner.
Jörg Münchenberg: Herr Wörner, der erste bemannte Weltraumflug durch ein kommerzielles Unternehmen. Wie bewerten Sie diesen geplanten Flug von SpaceX heute Abend?
"Auch Apollo ist nicht von Beamten der NASA gebaut worden"
Jan Wörner: Zunächst erst mal drücke ich die Daumen, dass alles gut geht. Das ist erst mal das Allerwichtigste. SpaceX schickt ja zwei Astronauten dort in das Weltall, und das ist immer eine sehr schwierige Angelegenheit. Ich war ja bei mehreren Starts auch von europäischen Astronauten dabei. Erst mal das Wichtigste ist: Es muss gut gehen.
Das Zweite ist: Natürlich ist auch Apollo nicht von Beamten der NASA gebaut worden, um das noch mal klarzustellen. Das sind auch Firmen gewesen, die Aufträge hatten. Das Besondere bei SpaceX ist jetzt, dass Elon Musk tatsächlich diese Entwicklung sehr stark selbst vorangetrieben hat. Er ist dafür auch von der NASA gut bezahlt worden. Es ist nicht so, dass das eine Privatfirma ist, die privates Investment hineingesteckt hat und jetzt eine Leistung anbietet, sondern es gab hohe Aufträge der NASA. Aber in allem zusammengerechnet eine tolle Leistung und ich drücke richtig die Daumen, dass es gut geht.
Münchenberg: Nun ist ja SpaceX, haben Sie auch gerade gesagt, kein neuer Player am Markt. Das Unternehmen von Musk ist ja schon seit 2011 in der unbemannten Raumfahrt aktiv. Ebenso andere Konkurrenten. Ist der Sprung jetzt zu einem Flug mit Astronauten tatsächlich so groß?
"Man muss ganz andere Sicherheitsvorkehrungen treffen"
Wörner: Ja. Wir haben das ja auch oft überlegt in Europa. Die Ariane fünf, was über lange Zeit das Zugpferd war der europäischen Raumfahrt, ist ursprünglich gebaut worden, um auch Astronauten ins Weltall zu transportieren. Ich habe selbst immer mal wieder versucht, in den letzten 13 Jahren in verschiedenen Diskussionen doch anzuregen, lasst uns das doch jetzt auch von Europa aus machen – nicht, um unabhängig von den anderen zu sein, sondern um redundant zu sein, das heißt, um für den Fall, dass mal eine Rakete nicht funktioniert, zum Beispiel eine russische oder eine amerikanische, ein europäisches Gegenstück zu haben. Mir wurde immer wieder klargemacht, wie hoch der Aufwand dafür ist. Man muss wirklich ganz andere Sicherheitsvorkehrungen treffen, um Astronauten ins Weltall zu fliegen. Es geht um Menschenleben und da sind andere Sicherheitsstandards einzuhalten, als wenn ich einen Satelliten ins Weltall befördere.
Münchenberg: Nun ist das ja eine brandneue Raumkapsel. Es heißt ja auch von der NASA, das Ganze sei ein Testflug, ob das funktioniert. Wieviel Risiko ist bei einer solchen Mission mit dabei?
"Hoffe, dass die internationale Zusammenarbeit nicht leidet"
Wörner: Ich sage Ihnen auch etwas anderes. Als Alexander Gerst zum ersten Mal geflogen ist von Baikonur, oder wenn ich andere europäische Astronauten zum Start begleitet habe, dann war das ein System, was 30, 40 Jahre Erfahrung in sich hatte. Und trotzdem: Man muss sich überlegen, was dort passiert. Das ist eine kontrollierte Explosion, so ein Raketenstart, und deshalb habe ich jedes Mal dabei auch Herzklopfen. Ich habe immer auch Sorgen gehabt um die Astronauten. Deshalb muss man auch heute Sorge haben.
Bei den Amerikanern ist natürlich der Druck besonders hoch, dass sie es besonders schnell und sicher machen wollen, dass es wirklich sicher funktioniert, dass sie jetzt starten. Da ist schon Druck auf dem Kessel. Ich hoffe – wie gesagt, für mich das Wichtigste -, dass die beiden Astronauten das gut überstehen.
Für mich ist aber noch ein anderer Punkt, wenn Sie mir das gestatten, wichtig. Für mich ist der zweite Punkt: Wir haben jetzt in den letzten Jahren immer zusammenarbeiten müssen, Amerikaner, Kanadier, Japaner, Russen und Europäer. Dieses zusammenarbeiten müssen hatte durchaus seinen Vorteil. Stellen Sie sich vor, bei der Krim-Krise hätten wir ein europäisches oder ein amerikanisches unabhängiges Transportsystem gehabt. Wären wir dann wirklich weiter zusammen geflogen?
Ich will nur mal sagen: Ich hoffe, dass auch die internationale Zusammenarbeit durch den heutigen Start nicht leidet, sondern dass die Redundanz der positive Punkt ist, dass wir parallele Systeme haben. Gleichzeitig wiederhole ich: Besonderes Daumendrücken gilt heute Abend für die beiden Astronauten.
Münchenberg: Nun ist es ja eine Privatisierung der Raumfahrt. Der Flug wird ja selbst vom betriebseigenen Kontrollzentrum von SpaceX in einem Vorort von Los Angeles gesteuert. Gibt da nicht auch der Staat wichtiges Knowhow, ein Stück weit Kontrolle aus der Hand, indem er jetzt das Ganze verlagert in private Unternehmen?
Wörner: Bei der Verlagerung von Kontrolle bin ich mir nicht so sicher, denn ich weiß, dass der gesamte Bau dieser Kapsel unter den Augen von NASA-Technikern ablief. Das ist nicht so, dass NASA gesagt hat, dann schickt uns mal das fertige Produkt, sondern man muss sich das so vorstellen, dass bei jedem Schritt der Planung und der Umsetzung wirklich auch NASA-Techniker vor Ort waren.
Ich persönlich stehe natürlich sehr massiv dafür, dass wir mehr und mehr Kommerzialisierung der Raumfahrt haben. Ich glaube, das ist der richtige Schritt, wie wir es auch in der Luftfahrt erlebt haben. Insofern versuchen wir das ja auch in der ESA, mehr Verantwortung in die Firmen zu übertragen und dann eher Leistungen einzukaufen, als stattdessen im Detail, im Mikromanagement jeden Punkt festzulegen. Das halte ich für genau den richtigen Schritt und die öffentliche Hand gibt da keine Kontrolle weg, sondern sie kauft Leistungen ein, und das ist vernünftig.
Münchenberg: Auf der anderen Seite, Herr Wörner: Es heißt ja, dass die NASA für einen Start der Rakete vom Typ Falcon doppelt so viel bezahlt wie SpaceX von einem anderen Bucher verlangt. Rein aus Kostensicht bringt die Kommerzialisierung jetzt für die NASA wohl eher wenig.
"NASA unterstützt mit höheren Zahlungen SpaceX"
Wörner: Die NASA ist ja ein Betrieb oder ist ja eine Verwaltung im Auftrag der Regierung. Letztlich kann man sagen, sie unterstützt durch ihre höheren Zahlungen, das ist vollkommen richtig, wie Sie das gesagt haben, dass diese Industrie auf dem Weltmarkt konkurrieren kann. SpaceX ist auf dem Weltmarkt mit extrem günstigen Preisen (und ich sage nicht Kosten, sondern extrem günstigen Preisen) unglaublich wettbewerbsfähig geworden und macht uns auch Schwierigkeiten in Europa. Aber das liegt ein Stück weit daran, wie Sie es richtig gesagt haben, dass unterschiedliche Preise bezahlt werden, ob das die öffentliche Hand ist oder ob es, sagen wir mal, ein Europäer ist, der eine Rakete dort kauft.
Münchenberg: Was heißt denn die Kommerzialisierung jetzt für die ESA selbst? Es gibt ja einen deutschen Astronauten, Matthias Maurer, der soll auch bald wieder zur ISS fliegen. Der wird dann auch auf diese private amerikanische Technik zurückgreifen?
Wörner: Wir haben einen Vertrag mit der NASA, in dem es heißt, wir liefern Hardware, wir liefern verschiedene Teile für die internationale Raumstation oder für andere Dinge, und dafür kriegen wir Astronautenflüge, so dass die NASA diejenige ist, die festlegt, mit was fliegen denn die Europäer. Die NASA hat gesagt, während wir kein Shuttle mehr haben, fliegt ihr mit Sojus. Wir Amerikaner machen den Vertrag mit den Russen und ihr Europäer, ihr fliegt unter unserer Fahne. Insofern ist das nicht unsere Entscheidung, aber ich gehe davon aus, dass sowohl Matthias Maurer als auch andere tatsächlich auf diese mehr privat organisierten Unternehmen zurückgreifen können.
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