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Späte Gerechtigkeit für Diktaturopfer

Elisabeth Käsemann war eines der deutschen Opfer der argentinischen Diktatur. 34 Jahre nach ihrer Ermordung in einem Folterlager der Militärjunta wurden nun mehrere Verantwortliche verurteilt.

Von Victoria Eglau |
    Beifall nach der Urteilsverkündung des Bundesgerichts Nummer vier in Buenos Aires. Überlebende des Diktaturgefängnisses El Vesubio und Angehörige der Todesopfer umarmen sich, manche weinen. Das Gericht hat lebenslange Haftstrafen gegen zwei argentinische Ex-Militärs verhängt – wegen illegaler Freiheitsberaubung, Folter und Mordes. Fünf ehemalige Gefängniswärter müssen für 18-22,5 Jahre hinter Gitter.

    Asesinos, Asesinos - Mörder, Mörder - schallt es durch den kleinen, vollen Gerichtssaal. In dem Prozess ging es um die Fälle von 156 Diktaturopfern, die im Foltergefängis El Vesubio eingesperrt waren. Zwei Drittel von ihnen wurden ermordet, darunter die Deutsche Elisabeth Käsemann. Sie war 1971 nach Argentinien gekommen, wo sie studierte, in Armenvierteln arbeitete und sich politisch engagierte. Nach dem Putsch 1976 geriet Käsemann ins Visier der Sicherheitskräfte, die sie im Jahr darauf verschleppten. Wochen-lang hielten Militärs sie in einer Kaserne fest, dann brachten sie die Dreißigjährige ins Folterlager El Vesubio. Zeuginnen, die im Prozess aussagten, sahen die Deutsche dort. Im Mai 1977 wurden Elisabeth Käsemann und andere Gefangene tot aufgefunden. Ein Feuergefecht zwischen Soldaten und Subversiven - so die Version der argentinischen Diktatur. Doch eine Obduktion in Deutschland ergab, dass Elisabeth Käsemann von hinten erschossen worden war.

    "Über die genauen Umstände ihres Todes kann man viele Vermutungen anstellen. Für mich als Anwalt der deutschen Regierung ist entscheidend, dass ich beweisen kann: Elisabeth Käsemann war im Lager El Vesubio eingesperrt, und wurde wenige Stunden, nachdem man sie dort zuletzt gesehen hatte, erschossen aufgefunden"

    ,betonte Pablo Jacoby, Anwalt der deutschen Regierung, während des Prozesses. Die Bundesrepublik war wegen der Ermordung Elisabeth Käsemanns als Nebenklägerin aufgetreten.

    "Erstmals klagt in Argentinien ein europäisches Land in einem Verfahren, in dem es um Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter der Militärdiktatur geht"

    ,so Jacoby in seinem Plädoyer. Günter Knieß, deutscher Botschafter in Buenos Aires, begrüßte das Urteil:

    "Diese Urteilsverkündung war wichtig, auch beeindruckend. Deutschland hat sich ja engagiert in diesem Fall. Unter den vielen Tausend Verschwundenen und Ermordeten waren auch rund hundert Deutsche und deutschstämmige Argentinier. Der bekannteste Fall: Elisabeth Käsemann. Es sind jetzt viele Jahre vergangen zwischen Tat und Urteil, 34 Jahre, und insofern ist das vielleicht nicht von effektiver, aber von hoher symbolischer Bedeutung, nämlich: solche Täter kommen nicht ungestraft davon, und letztendlich ist das die eigentliche Bedeutung des Tages: der Sieg des Rechtsstaates über den Unrechtstaat."

    Während der argentinischen Diktatur taten Botschaft und Bundesregierung wenig, um die verschleppten Deutschen und Deutschstämmigen zu retten. Später beantragte die Bundesrepublik die Auslieferung von Ex-Diktator Jorge Videla und anderen Militärs. 2003 hob Argentinien das Schlusspunkt- und das Befehlsnotstandsgesetz auf, das Militär- und Polizeiangehörige vor Strafverfolgung geschützt hatte. Seitdem arbeitet die argentinische Justiz die Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf. Mehr als 180 Täter wurden bisher in diversen Prozessen verurteilt.

    "Gerade als Deutscher kann man das nicht hoch genug einschätzen. Deutschland hat es nie geschafft, seine Verbrechen in dem Umfang aufzuarbeiten wie Argentinien jetzt. Und selbst, wenn man den Blick in die internationale Landschaft wirft – es gibt praktisch kein Land, das mit einer dermaßigen auch gesellschaftlichen und politischen Unterstützung seine Vergangenheit juristisch aufarbeitet. Und das alles mit den Mitteln eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens"

    ,lobt Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des Europäischen Zentrums für Verfassungs- und Menschenrechte. Nun haben die Opfer von El Vesubio, einem von zahlreichen Diktaturgefängnissen, späte Gerechtigkeit erfahren. Leticia Angerosa hielt im Gerichtssaal ein Foto ihrer ermordeten Schwester Blanca in die Höhe, deren sterbliche Überreste bis heute nicht aufgetaucht sind.
    "Das Urteil gibt mir ein bisschen mehr inneren Frieden. Ich glaube, dass der Kampf für Gerechtigkeit die argentinische Demokratie stärkt. Die drei Gewalten - Regierung, Parlament und ein Teil der Justiz - haben erreicht, dass diese Prozesse möglich wurden – nach so vielen Jahren des Wartens."

    Bei der Urteilsverkündung fehlte einer der Angeklagten: El Vesubio-Lagerkommandant Pedro Durán Sáenz. Er war während des Prozesses gestorben. Er ist nicht der erste Diktaturverbrecher, der seine Bestrafung nicht mehr erlebt.

    "Das ist eine Folge der jahrzehntelangen Straflosigkeit. Die Täter sind heute sehr alt. Wir meinen allerdings, dass die Tatsache, dass der Kommandant des Folterlagers Duran Saenz auf der Anklagebank saß, und die Aussagen seiner Opfer und ihrer Angehörigen anhören musste, für die Opfer und Angehörigen eine Art Genugtuung darstellt"

    ,sagt José Nebbia vom argentinischen Menschenrechtszentrum CELS, einer der Opfer-Anwälte im El Vesubio-Prozess. Seiner Ansicht nach dauert die juristische Aufarbeitung der Diktaturverbrechen zu lang. 45 neue Prozesse könnten sofort beginnen, aber nur für fünf stehe ein Termin fest. Wenn in diesem Tempo weitergemacht würde, dauerten die Prozesse bis 2025, befürchtet Jurist Nebbia. Im Jahr 2025 werden die meisten Täter und auch die Angehörigen der Opfer tot sein. Nebbias Kollege Rodrigo Borda erklärt, warum es so lange dauert:

    "Unser Justizsystem ist generell zu langsam, aber vor allem dann, wenn es sich um komplexe Fälle handelt. Und die Prozesse um Diktaturverbrechen sind komplex. Es geht um viele Opfer, viele Täter, viele Angeklagte, viele Ankläger und Verteidiger. Auch besitzt das argentinische Justizsystem diverse Mechanismen, mit denen Prozesse verzögert werden können. All das führt dazu, dass die juristische Aufarbeitung nicht so schnell vonstattengeht, wie sie sollte."