Mit sinkenden COVID-19-Neuinfektionen stellen Landesminister unter anderem in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern die Maskenpflicht etwa beim Einkaufen zur Debatte. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) findet das falsch und hat unter anderem auf Twitter davor gewarnt.
Deutschland hätte unter großen Kosten für den Einzelnen und die Wirtschaft viel erreicht, das dürfe nun nicht aufs Spiel gesetzt werden. Alltagsmasken machten vor allem in geschlossenen Räumen einen Unterschied beim Infektionsschutz, argumentiert der Gesundheitsminister. Lokale Ausbrüche der jüngsten Zeit seien fast immer in Verbindung mit Ansammlungen in geschlossenen Räumen aufgetreten, durch Gottesdienste, Feiern oder im Umfeld des Schlachtbetriebs Tönnies.
Entsprechend rät Spahn zur Vorsicht auch beim Reisen. Mit Mobilität könne dieses Virus sehr schnell wieder verbreitet werden, wie man am Beispiel Ischgl gesehen habe. "Das darf uns nicht wieder passieren", meint der Minister. Er glaubt: Hotel und Finca mit Hygiene ist möglich, Ballermann nicht.
Remdesivir-Hersteller muss auch Europa beliefern
Seit Kurzem ist ein neues Medikament gegen COVID-19 in Europa zugelassen. Remdesivir, das in Studien lindernde Wirkung gezeigt hat. Gesundheitsminister Spahn erwartet vom Hersteller Gilead, dass "nun auch Lieferfähigkeit hergestellt wird". Die USA haben sich einen großen Teil der Produktionsmenge der nächsten Monate gesichert. Das könne nicht sein, findet Spahn. Er habe aber den Eindruck, die Firma habe diese Botschaft inzwischen verstanden. Gilead arbeitet laut Spahn inzwischen auch an Produktionsstätten in Europa. Die Versorgung mit Remdesivir in Deutschland ist dem Minister zufolge für die nächsten Wochen gesichert.
Auch die schnelle Zulassung des neuen Corona-Medikaments sieht Spahn als Argument, dass es sinnvoll sei, bei den Infektionsschutzmaßnahmen nicht lockerzulassen. "Mit jeder Woche, die wir da gewinnen, werden wir neue Erkenntnisse haben und besser damit umgehen können."
Das Interview in voller Länge:
Weltweit steigen die Corona-Infektionszahlen weiter an. Neben Asien sind gerade Nord- und Südamerika besonders stark betroffen – im Gegensatz zu Deutschland, wo dem Robert-Koch-Institut seit Wochen eher überschaubare Neuinfektionszahlen gemeldet werden. Aus Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen kamen am Wochenende deshalb Überlegungen, angesichts dieser geringen Infektionszahlen die Maskenpflicht in Geschäften wieder abzuschaffen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat auf Twitter bereits vor einer solchen Abschaffung gewarnt. Im Deutschlandfunk erläutert er zunächst, warum das regional bei niedriger Neuinfektionszahl noch nicht angebracht erscheint.
Spahn: Zuerst einmal haben wir zusammen viel erreicht in den letzten Wochen und Monaten, nämlich dass die Neuinfektionszahlen jeden Tag vergleichsweise gering sind, dass wir, Stand heute, gut umgehen können damit. Aber wir haben das auch unter großen Kosten erreicht, auch großen wirtschaftlichen Kosten, gesellschaftlichen Kosten, großen Kosten für den Einzelnen. Ich finde, das allein schon ist Grund genug, das jetzt auch zu sichern und nicht zu sorglos zu sein.
Ich verstehe total den Wunsch nach einer Rückkehr zum Alltag, wie er vorher war. Ich verstehe die Ungeduld. Masken tragen ist auch nicht immer angenehm. Aber wir sehen gerade in geschlossenen Räumen und da, wo insbesondere auch ein Abstand, ein Mindestabstand nicht immer gewährleistet ist, da können Alltagsmasken einen Unterschied machen, um sich und vor allem um andere zu schützen. Deswegen halte ich sie weiterhin für wichtig - wie gesagt, vor allem in geschlossenen Räumen. Wenn ich manchmal einen Radfahrer alleine mit Maske durch die Stadt fahren sehe, dann ist das okay, aber dann macht das erst mal keinen Unterschied für den Schutz, draußen, Wind. Aber gerade in engeren geschlossenen Räumen macht es einen Unterschied.
Engels: Geschlossene Räume, sagen Sie. Gegner der Maske in Geschäften argumentieren allerdings, bislang sei noch kein Hotspot bekannt, der auch vor der Maskenpflicht aus Supermärkten gekommen sei. Lassen Sie das gelten?
Spahn: Das eine ist ja, ob etwas schon bekannt ist oder nachgewiesen ist. Das andere ist ja, ob es passieren muss und ob wir es nicht einfach auch durch Verhalten und durch Vorsicht vermeiden können. Was wir sehen: Ich kriege ja jeden Morgen und jeden Abend einen sogenannten Lagebericht, und da stehen die Ausbruchssituationen, die wir gerade in Deutschland haben, sehr detailliert drin – lokale, regionale Ausbrüche, die fast immer damit zu tun haben, dass in geschlossenen Räumen, ob bei der Familienfeier, ob bei einem Gottesdienst, ob wie bei Tönnies in einem Betrieb unter den gegebenen Bedingungen dort, nicht ausreichend aufeinander aufgepasst wurde, manche vielleicht zu sorglos waren. Dann verbreitet sich dieses Virus wieder ganz, ganz schnell.
Wir sehen, dass da, wo wir es diesem Virus zu leicht machen, es wieder sehr schnell gehen kann und dann Infektionszahlen auch binnen weniger Stunden und Tage schnell wieder hochgehen können. Deswegen bin ich im Zweifel für die Vorsicht.
"Mit Mobilität kann dieses Virus sehr schnell wieder verbreitet werden"
Engels: Die Urlaubssaison hat ja gerade erst begonnen. Viele Quartiere gerade an Nord- und Ostsee melden gute Auslastungen - auch Mecklenburg-Vorpommern. Wie sich das auf das Infektionsgeschehen auswirkt, weiß man noch nicht. Sollte man mit weiteren Lockerungen bei der Maskenpflicht wenigstens warten, bis die Ferienzeit herum ist?
Spahn: Das ist im Übrigen ja auch das, was ich bei Harry Glawe, dem mecklenburg-vorpommerianischen Wirtschafts- und Gesundheitsminister, verstanden habe. Er wollte ja nicht morgen aufheben, sondern darüber nachdenken am Ende des Sommers. Aber natürlich macht jede Debatte ja auch dann was in der Einstellung, und ich finde es wichtig, dass wir ein gemeinsames Verständnis vermitteln von dem, was notwendig ist. Das gilt insbesondere für die Reisezeit. Wir werden wieder mobiler. Wir werden mobiler innerhalb Deutschlands, aber auch in Europa. Und wir haben gesehen, mit Mobilität kann dieses Virus auch sehr schnell wieder verbreitet werden. Das Stichwort Ischgl und Skiurlaubsrückkehrer haben wir ja alle noch im Kopf, wie schnell von einem Urlaubsort in Europa im Grunde in fast jedes andere europäische Land dann dieses Virus getragen worden ist im Februar/März, und das darf uns nicht wieder passieren.
Ich sage immer, Hotel und Finca mit Hygiene ist möglich. Ballermann ist nicht möglich in dieser Sommersaison, weil dort das Risiko entsprechend groß wäre.
Engels: Es gibt viele Aspekte rund um die Corona-Entwicklung. Gehen wir jetzt weg von der Maske; schauen wir auf die Medikamentensituation. Ende der Woche wurde Remdesivir als erstes Medikament auch in Europa zur Behandlung von schweren COVID-19-Verläufen zugelassen. Welche Hoffnung setzen Sie in dieses Medikament?
Spahn: Remdesivir ist das erste, tatsächlich für COVID -19 zugelassene Medikament, das für bestimmte Patienten einen Unterschied machen kann, und deswegen ist das erst mal ein gutes Zeichen, dass es dieses Medikament gibt. Es ist ein Medikament, das vor allem auch die Virus-Erkrankung dort ansetzt und bekämpft. Andere Medikamente, die sind auch wichtig. Im vor allem schwereren Verlauf der Erkrankung ist es vor allem auch die Immunantwort des Körpers, die große Probleme verursacht, die oft auch dann das Organversagen verursacht. Auch dort gibt es vielversprechende Kandidaten, aber noch nicht zugelassene, und insofern haben wir mit Remdesivir jetzt das erste zugelassene Medikament, und das ist ein gutes Zeichen und zeigt, wir machen mit jeder Woche, die wir das hinauszögern mit diesem Virus, es weiter unter Kontrolle behalten, gemeinsam, indem wir aufeinander Acht geben, mit jeder Woche, die wir da gewinnen, werden wir neue Erkenntnisse haben und besser damit umgehen können.
"Wir haben uns eine Menge Remdesivir gesichert"
Engels: US-Präsident Trump lässt ja bekanntlich die gesamte Produktion von Remdesivir in großem Stil für seine Bevölkerung aufkaufen und erntet dafür Kritik. Deutschland hatte schon vorab etwas Vorräte mit Remdesivir angelegt. Sind Sie innerhalb der EU eigentlich bereit, diese Vorräte zu teilen, wenn sie zum Beispiel in Spanien oder Italien nötiger gebraucht werden?
Spahn: Grundsätzlich helfen wir natürlich uns untereinander in Europa, vor allem in der Europäischen Union. Das haben wir schon bei Beatmungsgeräten gemacht. Das werden wir auch weiterhin tun, auch wenn es um Schutzmasken geht oder die Aufnahme von Patienten. Die Wahrheit ist nur: Wir haben uns eine Menge Remdesivir gesichert, aber natürlich auch eine Menge, die erst mal für das momentane Infektionsgeschehen in Deutschland für einige Zeit ausreichen würde. Ich erwarte schon von einem Großkonzern wie Gilead, der auch ansonsten gerne seine Medikamente durchaus auch teuer nach Europa und nach Deutschland verkauft, dass mit der Zulassung in Europa nun auch hier geliefert wird und Lieferfähigkeit hergestellt wird. Es kann nicht richtig sein, dass am Ende vor allem nur der amerikanische Markt beliefert wird. Das ist schon aus der grundsätzlichen humanistischen Erwägung nicht richtig, aber es ist auch nicht richtig mit Blick darauf, dass Gilead ansonsten ja auch immer gerne sehr früh mit hohen Preisen auf dem europäischen Markt ist, und das geht dann an dieser Stelle nicht so, dass ein Land bevorzugt bedient wird.
Engels: Aber nehmen wir einmal an, die Lieferungen bleiben knapp und die Firma lässt sich nicht darauf ein. Wie ist es denn dann? Wir hatten ja zu Anfang der Krise auch innerhalb Europas durchaus das Problem, auch von Deutschland aus, dass gewisse Hilfsmittel nicht geteilt wurden. Können Sie das für Remdesivir oder später auch Impfstoffe ausschließen, dass das noch einmal passiert?
Spahn: Was wir erwarten, woran Gilead auch arbeitet, sind auch Produktionsstätten in Europa. Es werden Kooperationspartner gesucht und wir suchen natürlich auch das Gespräch mit Gilead. Hundertprozentig ausschließen kann ich natürlich an der Stelle nichts. Aber ich habe den Eindruck, die Botschaft ist verstanden auch bei dem Unternehmen.
Bei Impfstoffen geht es ja noch darüber hinaus. Da haben wir gemeinsam den Ansatz, dass sie auch weltweit zu akzeptablen Preisen zur Verfügung stehen. Deswegen engagieren wir uns als Deutschland, als Europa ja auch in vielen internationalen Initiativen zur Forschung. Und wir sichern uns als Europa, als Europäische Union oder als Mitgliedsstaaten für die Europäische Union Impfstoffproduktion schon heute. Das ist ungewöhnlich. Wir zahlen heute schon einen Preis, einen Reservierungspreis für Produktionskapazitäten, damit mit der Zulassung eines Impfstoffs der auch sofort hier in Europa produziert werden kann. Wir unternehmen große Anstrengungen vom ersten Tag an, auch hier die Versorgung in Europa zu sichern.
Engels: Und noch ein Thema rund um Corona ist gerade aktuell. Seit dem 1. Juli erhalten Vollzeitkräfte in der Altenpflege die von Ihnen angestoßene einmalige Corona-Pflegeprämie von 1500 Euro. In der vergangenen Woche waren nun Stimmen von Pflegerinnen und Pflegern aus Kliniken zu hören, die im Zuge der Corona-Pandemie viele Überstunden geleistet haben, aber von dieser Sonderprämie nichts haben. Ist hier eine Gruppe vergessen worden?
Spahn: Zuerst einmal, Frau Engels, war es mir wichtig und ist es mir auch weiterhin wichtig, dass gerade auch die Pflegekräfte in dieser Krise dort, wo es besondere Belastungen gab, auch eine finanzielle Anerkennung bekommen. Es gab viel Applaus, es gibt gesellschaftliche Wertschätzung für die Pflege, wie schon ziemlich lange nicht mehr, und ich finde, das sollten wir uns über diese Krise hinaus erhalten. Aber es ging auch um eine Prämie. Die ist ja möglich geworden, weil der Finanzminister gesagt hat, bis zu 1500 Euro gibt es steuer- und abgabenfrei in diesem Jahr. Das nutzen viele im Einzelhandel, zum Beispiel Unternehmen, um Prämien auszuzahlen, und das geht auch im Gesundheitswesen.
Es gibt einen Unterschied. In der Altenpflege werden die allermeisten Arbeitgeber, weil dort die Finanzierung, die Refinanzierung anders ist, ohne eine ausdrückliche gesetzliche Regelung und Refinanzierung das nicht leisten können. Deswegen haben wir das im Gesetz in der Altenpflege klar geregelt – in der Altenpflege, die auch durchgängig in jedem Pflegeheim, in jeder ambulanten Pflegestation unter Stress war. Die Besuchsverbote, die Ausbruchssituation – das war ja richtige, auch emotionale Stress-Situation und Belastung.
In der Krankenpflege, vor allem auch dort, wo in der Intensivpflege mit COVID-19-Patienten auch sehr anspruchsvolle Situationen waren, auch körperlich anspruchsvolle, wenn man die Schutzausrüstung über Stunden tragen muss, dort können die Arbeitgeber, die Krankenhäuser, die Träger eine entsprechende Prämie vereinbaren, tarifvertraglich oder auf anderen Wegen, und das dann auch refinanziert bekommen von den Krankenkassen. Das steht schon in den Gesetzen und ist auch schon grundgelegt. Dafür müssen aber Arbeitgeber und Arbeitnehmer darüber verhandeln, und das tun sie übrigens an vielen Kliniken schon. Ich wünsche mir einfach, dass dort, wo in der Intensiv vor allem auch sehr viel gearbeitet wurde, gearbeitet werden musste unter großer Belastung wegen COVID-19, dass auch dort Prämien gezahlt werden. Das Recht gibt das heute schon her.
"Refinanzierung der Prämie ist gesetzlich gesichert"
Engels: Sie verweisen auf Kassen und Kliniken als Hauptträger. Einige Länder zahlen ja auch, aber im Ergebnis führt das zu uneinheitlichen Verhältnissen, was jetzt die Krankenpflege angeht. Der Freistaat Bayern zahlt auch Pflegekräften in Kliniken extra 500 Euro. In Schleswig-Holstein sind es gar 1500 Euro für alle Pflegekräfte im Alten- und Krankenbereich. Manche Klinik zahlt aus eigener Tasche, in anderen gibt es zumindest einen Bonus. Aber in vielen Bereichen auch gar keinen Bonus. Haben Sie Verständnis, wenn hier Ungerechtigkeit beklagt wird und hier Einheitlichkeit vom Bund verlangt wird, also noch mal nachsteuern?
Spahn: Ich habe natürlich Verständnis dafür. Ich bekomme ja auch die Briefe, E-Mails oder das in den sozialen Medien mit, die Diskussion. Ich kann das gut verstehen, dass wie gesagt insbesondere die, die auch unter einer besonderen Belastung sagen, sagen, da müsst ihr aber noch mal schauen. Deswegen werbe ich ja auch dafür. Aber wir müssen schon auch schauen, dass eine solche Prämie bei denjenigen ankommt, die tatsächlich Besonderes haben leisten müssen in dieser Krise, unter besonderer Belastung standen, und das war wie gesagt in der Altenpflege ziemlich durchgängig gegeben. In den Krankenhäusern war die Situation sehr unterschiedlich. Wir hatten ja in einigen Krankenhäusern eine Debatte darüber, ob sie nicht Kurzarbeit beantragen müssten, weil so relativ wenig los war, weil so viele Betten leer waren. Dann gab es andere Krankenhäuser, dort war insbesondere auf der Intensivstation richtig viel los. Dort waren richtig viele Patienten zu behandeln und dadurch auch die Arbeitsbelastungen größer.
Diese Differenzierung, die kann ich nicht aus einem Bundesgesetz oder als Bundesminister ableiten. Die können tatsächlich nur die Arbeitgeber vor Ort machen, auch wirklich zu wissen, wo eine Prämie richtigerweise ankommen sollte. Deswegen appelliere ich daran, das jetzt umzusetzen. Die Refinanzierung, ich sage es noch einmal – das ist ja das Wichtige -, die ist gesetzlich schon gesichert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.