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Spahn: Dafür sorgen, dass niemand unter Schmerzen sterben muss

Deutliche Kritik am Sterbehilfe-Gesetzesvorhaben des Bundesjustizministeriums übt Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der Union im Bundestag: Gleichsam nebenbei werde darin Beihilfe zum Suizid durch Ärzte straffrei gestellt. Für Spahn liegt im Ausbau der Schmerzmedizin die Antwort auf die Ängste todkranker Menschen vor einem qualvollen Tod.

Jens Spahn im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Gewerbliche Sterbehilfe wird mit Gefängnis bestraft, doch Beihilfe durch nahestehende Personen, dazu können auch langjährige Hausärzte zählen, bleibt straffrei. So soll es ein Gesetzesentwurf aus dem Justizministerium vorsehen. Ein Entwurf, gegen den vor allem die Union im Bundestag schon Sturm läuft. Wir haben Jens Spahn zu Beginn der Sendung erreicht und ihn, den gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion gefragt, was ihn eigentlich so aufregt an diesem Entwurf.

    Jens Spahn: Na, zuerst einmal die Gemeinsamkeiten. Was richtig ist an dem Entwurf, und das ist der größte Teil, ist das Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe. Es soll und darf keinen Handel mit dem Tod geben. Und da sind wir mit der Justizministerin in der Koalition auch schnell einig. Das Problem an dem Entwurf ist, dass sozusagen in einem Nebensatz, en passant, der Beihilfe zur Sterbehilfe, zum Selbstmord durch Ärzte und Pflegekräfte, durch Nahestehende, da fangen ja schon die Definitionsprobleme an, Ärzte und Pflegekräfte straffrei gestellt werden sollen. Und das halten wir für eine schiefe Bahn, wo es am Ende ganz, ganz schwer wird, Trennlinien zu ziehen, und wo sich auch die Ärzteschaft selbst dagegen wehrt, weil sie sagt, wir wollen keine Hilfe zum Selbstmord leisten.

    Zagatta: Also die Ärzteschaft ist geteilt. Die Berliner Ärztekammer hat das zum Beispiel ausdrücklich begrüßt. Oder der Präsident der Berliner Ärztekammer.

    Spahn: Der Ärztetag, wenn, zugegebenermaßen auch nicht in einer 100-Prozent-Entscheidung, sondern in der Abstimmung hat eine Mehrheit jedenfalls gesagt, dass sie keine Beihilfe leisten wollen. Aber auch das macht ja dann schon deutlich, dass die Ärzteschaft in sich da auch sehr zerstritten ist, dass das ein hoch ethisches, grundsätzliches Thema gerade auch für die ärztliche Ethik ist. Und das geht nicht, dass man das mal eben in der Sommerpause und in einem Gesetzentwurf nebenbei regeln will. Wir sollten in dem Gesetzentwurf das regeln, was vereinbart ist, das ist das Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe. Und die anderen Themen meinetwegen dann auch noch in Ruhe diskutieren. Wir denken jedenfalls in der Union, dass die eigentliche Antwort sein muss eine bessere Palliativversorgung. Denn die Frage ist ja, was treibt die Menschen eigentlich in den Suizid? Und wenn Sie da mit vielen sprechen, ist es ja vor allem die Angst, die Furcht davor, mit großen Schmerzen sterben zu müssen, wenn man todkrank ist.

    Zagatta: Haben Sie denn das da richtig verstanden? Aus dem Justizministerium heißt es ja, die Kritiker hätten das falsch verstanden. Denn in dem Entwurf würde ja ausdrücklich geregelt, dass langjährige Hausärzte da nur von Beihilfe freigestellt werden, wenn sie auch zu Vertrauenspersonen geworden sind, also eigentlich sogar noch eine Einschränkung zu der heutigen Regelung.

    Spahn: Ja, aber wer will denn das am Ende kontrollieren, und auch Missbrauch kontrollieren? Es bringt zum einen …

    Zagatta: Das ist ja heute auch schon schwer.

    Spahn: Natürlich ist das heute auch schon schwer, aber es ist doch dann die Frage, ob man das dann in einem Gesetzentwurf noch mal ausdrücklich so erwähnen, damit quasi straffrei stellen muss, wo es heute schon Abgrenzungsprobleme denn dann gibt. Und ich finde, dann, wenn es eine berufsbedingte Nähe gibt, und die gibt es natürlich bei dem todkranken Menschen, der hat eine enge Beziehung zu seinem Hausarzt und zu seiner Pflegekraft, weil es ja in aller Regel eine jahrelange Krankheitsgeschichte gibt. Also da, wo es eine berufsbedingte Nähe gibt, finde ich, kann es ganz schnell auch eine schiefe Bahn geben, wenn es um die Frage geht, Beihilfe zum Selbstmord, zum Suizid zu leisten, wo dann die Frage ist, ab wann ist es denn auch gewerbsmäßig, welche anderen Dinge spielen da noch eine Rolle und welche nicht. Das ist weiterhin für Angehörige, für nahestehende Freunde, die meinetwegen begleiten, die die Hand halten, das Medikament reichen, straffrei bleibt, da brauchen wir gar nicht lange zu diskutieren. Aber da, wo berufsbedingt eine Nähe ist, kann das ganz, ganz schnell eine schiefe Bahn werden.

    Zagatta: Das heißt, Sie haben dann auch größte Bedenken gegen das, was die CSU in Bayern will, denn das CSU-geführte Justizministerium in Bayern hat sich doch sogar für eine erweiterte Straffreiheit bei der Sterbehilfe ausgesprochen. Nicht nur nahestehende Angehörige und Pfleger sollen straffrei bleiben, sondern alle Betreuenden, also auch Ärzte. Das geht doch viel, viel weiter als das, was Sie kritisieren.

    Spahn: Das ist so, aber ich nehme zur Kenntnis, dass es auch innerhalb der CSU da eine Diskussion gibt, wenn ich auch Äußerungen aus der CSU-Landesgruppe in Berlin nehme, und es müssen ja bei so einem hoch ethischen Thema nicht alle einer Meinung sein. Ich habe ja auch nichts dagegen, bin sogar sehr dafür, dass wir das mal intensiv auch gesellschaftlich noch mal diskutieren, denn ich bleibe dabei, um das einmal zu Ende zu bringen: Die größte Sorge der Menschen ist die vor einem schmerzvollen, leidvollen Tod, und dann ist die eigentliche Antwort, dafür zu sorgen, dass wir eine so gute Palliativversorgung haben, dass niemand in Deutschland unter Schmerzen sterben muss. Aber diese Debatte muss man doch grundsätzlich führen, und die kann man nicht in einem Gesetzentwurf en passant in der Sommerpause mal eben mitregeln wollen. Und das ist das, was mich insbesondere am Vorgehen ärgert.

    Zagatta: Damit wird sich der Bundestag ja dann, wenn das so weit kommt oder wenn das auch so entschieden werden soll, ganz sicher auch beschäftigen. Aber lassen Sie uns das auf politischer Ebene mal festhalten. Also das heißt, Sie kritisieren etwas, was auf der anderen Seite der Union in Bayern der CSU noch nicht einmal weit genug geht?

    Spahn: Was zumindest der Justizministerin in Bayern nicht weit genug geht. Ich sage noch einmal, ich habe aus der CSU auch schon deutlich andere Stimmen, ja auch öffentlich etwa von Frau Hasselfeld, der Vorsitzenden der Landesgruppe gehört, und dann kann es ja auch innerhalb …

    Zagatta: Ist das dann nicht scheinheilig? Also, die CSU in Berlin, die Landesgruppe, die schlägt mit Ihnen mit drauf auf diesen Gesetzesentwurf, und in Bayern fordert man schon was, was viel weiter geht. Oder praktiziert das auch.

    Spahn: Nein! Das ist nicht scheinheilig. Das macht deutlich, dass bei einem ethischen Grundsatzthema, und das ist die Debatte zur Sterbehilfe schon seit Jahren und auch natürlich jetzt im Konkreten, es natürlich unterschiedliche Positionen und Einschätzungen geben kann, um die man dann ja auch argumentativ ringen kann. Wo ich es aber für falsch halte, das, was vereinbart ist, nämlich das Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe, und da ist auch eine große Einigkeit in der Union, das steht im Übrigen auch im Koalitionsvertrag, einfach beiläufig zu ergänzen um Themen, die nicht vereinbart sind, die alles andere als einig sind, wie man an dieser Diskussion ja auch zwischen Bayern und dem Bund, aber auch insgesamt in der Bundesrepublik sehen kann. Und für diese Diskussion sollten wir uns die nötige Zeit nehmen, gleichzeitig aber das tun, was im Koalitionsvertrag steht.

    Zagatta: Herr Spahn, bei dem Verbot gewerblicher Sterbehilfe, das sieht ja dieser Gesetzentwurf auch vor, sind sich wahrscheinlich fast alle einig. Wie ist das jetzt mit passiver Sterbehilfe? Wollen Sie die unter allen Umständen verhindern? Oder wie kann die in Zukunft in Deutschland geregelt werden, nach Ihren Vorstellungen?

    Spahn: Zum einen, bei der gewerbsmäßigen Sterbehilfe geht es ja vor allem darum, dass es keinen Handel mit dem Tod praktisch als Ware …

    Zagatta: Da sind sich ja fast alle einig.

    Spahn: Genau, da gibt es eine große Einigkeit. Passive Sterbehilfe, das ist ja dann die Frage, was da auch alles umfasst ist, das ist ja schon eine Definitionsfrage. Hier kann ich nur sehr dafür werben, dass die Menschen in Deutschland möglichst frühzeitig auch eine Patientenverfügung machen. Und für sich klar regeln, wann Maschinen meinetwegen abgestellt werden sollen, wenn sie im Koma liegen. Für sich klar regeln, ob sie künstlich ernährt werden wollen oder nicht, und damit selbst die Entscheidung treffen, und nicht durch andere getroffen werden muss, wenn da jemand selbst eine entsprechende Entscheidung oder Willensbekundung macht, halte ich das für in Ordnung, so ist ja auch am Ende die Mehrheit im Bundestag bei der Patientenverfügung gewesen. Es sollten eben nicht andere entscheiden.

    Zagatta: Hat dann ein todkranker Mensch, wenn er das selbst noch kann oder über eine solche Verfügung über Angehörige, hat der das Recht, sich unnötiges Leid zu ersparen und auch zu sagen, ich will jetzt aus dem Leben scheiden? Hat er das Recht aus Ihrer Sicht, oder würden Sie ihm das verbieten?

    Spahn: Nein, das ist ja auch, wenn ich es klar regele über eine Patientenverfügung oder durch den eigenen Willen, nicht verboten zu sagen, ich will nicht an diesen Maschinen hängen, ich will nicht künstlich ernährt werden. Und die Nahrungsaufnahme verweigern kann auch jeder. Das ist natürlich dem freien Willen des einzelnen überlassen.

    Zagatta: Kann der auch sagen, ein solch todkranker Mensch, ich möchte jetzt ein Medikament, um zu sterben?

    Spahn: Na, das ist dann schon Beihilfe zum Suizid, da kommen wir in die Graubereiche rein, über die wir schon längere Zeit gesprochen haben und über die Rolle, die dann auch Ärzte und Pflegekräfte in diesem Zusammenhang haben. Und da gibt es ganz deutlich unterschiedliche Positionen. Ich halte das für schwierig, weil es eben auch insbesondere Ärzte in eine schwierige Situation hineinbringt …

    Zagatta: Für schwierig, aber nicht für ausgeschlossen?

    Spahn: Es findet ja auch heute teilweise statt. Das ist ja im Übrigen auch mit Anlass dieser ganzen Diskussion, ein Gerichtsentscheid in Berlin gewesen, der gesagt hat, das muss erlaubt sein. Ich persönlich habe da ein Problem mit, weil es eben eine schiefe Bahn eröffnet. Wo wollen Sie noch abgrenzen, was ist das Verschreiben des Medikaments und wann ist es irgendwann auch aktives Reichen oder gar, bei einer Infusion, Einbringen des Medikaments. Das widerspricht der ärztlichen Ethik aus meiner Sicht. Und zum Zweiten gibt es eben eine deutlich bessere Antwort, das ist eine bessere Schmerzversorgung, damit eben niemand Angst haben muss vor einem qualvollen Tod.

    Zagatta: Menschen, die aber dennoch Angst haben und das Wollen, darum geht es ja eigentlich. Denen wollen Sie das verbieten?

    Spahn: Nehmen Sie doch mal Sie und mich. Wir sind wahrscheinlich kerngesunde, knackgesunde Menschen. Und diskutieren jetzt freien Mutes mal über dieses Thema und können uns wahrscheinlich gar nicht versetzen in die Situation von jemand so schwer Krankem, der dann einen entsprechenden Wunsch hegt.

    Zagatta: Das weiß ich gar nicht, Herr Spahn. Wenn ich den Wunsch hätte am Ende meines Lebens, wenn ich den Wunsch hätte, selbst bestimmen, ich will das, dann muss ich mir das von Ihnen verbieten lassen?

    Spahn: Nein, Sie müssen es nicht von mir verbieten lassen. Deswegen gibt es ja eben, besser, was die Patientenverfügung angeht oder entsprechende Regelungen angeht, durchaus da auch Möglichkeiten, wenn Sie eben nicht künstlich sozusagen am Leben gehalten werden wollen, aber ich sage Ihnen aus ganz, ganz vielen Gesprächen, die ich auch in Hospizen geführt habe, die ich auch in Krankenhäusern geführt habe, dass die größte Sorge von todkranken Menschen die ist, qualvoll, schmerzvoll sterben zu müssen. Und das muss man heute nicht mehr bei einer entsprechenden Schmerzversorgung, Palliativversorgung, und deswegen müssen und wollen wir die deutlich ausbauen.

    Zagatta: Noch kurz zum Schluss, Herr Spahn, was erwarten Sie jetzt, wie das weitergeht? Sie lehnen diesen Entwurf ab. Kommt das jetzt in den Bundestag, wird das diskutiert, wird es noch eine Entscheidung in dieser Legislaturperiode geben oder ist das Thema damit gestorben?

    Spahn: Nun, es ist erst mal ein Referentenentwurf, der jetzt zwischen den Bundesministerien abgestimmt wird. Ich würde mir sehr wünschen, dass die entsprechende Passage rauskommt, dass wir den Teil gesondert diskutieren. Dass aber das, was in der Koalition vereinbart ist, nämlich das Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe, dann jetzt auch zügig ins Kabinett und dann in den Bundestag kommt.

    Zagatta: Jens Spahn, der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Herr Spahn, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch!

    Spahn: Gerne! Alles Gute!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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