Seit dieser Woche ist Valdemoro in ganz Spanien in den Schlagzeilen. Gleich mehrere Bürgermeister der vergangenen Jahre der 70.000 Einwohner Stadt im Madrider Süden sollen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge die Hand aufgehalten haben. Carmen und Valerie, die ihre Töchter vom Tanztraining im örtlichen Jugendclub abholen, wundert das nicht:
"Wir kennen uns hier alle gut. Das war schon merkwürdig, wie die plötzlich so reich geworden sind. Aber die Politiker sind doch alle gleich. Es ist schon schade, dass wir so denken, aber es entspricht der Wirklichkeit."
Auch Enrique Morago haben die Festnahmen des ehemaligen Bürgermeisters Francisco Granados, seiner Nachfolger und eines örtlichen Bauunternehmers nicht überrascht. Er vertritt die kleine Partei Union, Fortschritt und Demokratie in der Opposition im Rathaus.
"In der städtischen Regierung sitzen nur Vertreter der Regierungspartei. Es gibt dort einen Ausschuss zur Auftragsvergabe, aber wir sind dort nicht zugelassen. Bei städtischen Ausschreibungen bleiben die Angebote zwar in verschlossenen Umschlägen bis der Vergabeausschuss tagt. Aber es wird ja nicht nur der Preis bewertet, sondern auch die angebotene Leistung. Da ist viel Spielraum für Interpretationen. Wenn immer dieselben die Aufträge bekommen, ist das schon merkwürdig. Und es gibt natürlich auch Aufträge ohne Ausschreibung."
Zumal die Schwester des örtlichen Bauunternehmers als Beamtin in der städtischen Behörde arbeitet, die die Auftragsvergabe überwacht. Solche Familienbande seien typisch - für die italienische Mafia wie für die Korruption in Spanien, sagt Fernando Vallespín. Er ist Politikwissenschaftler bei der Ortega-y-Gasset-Stiftung und Herausgeber eines vor wenigen Wochen erschienen Buchs über Korruption in Spanien.
Viel zu wenig in Sachen Korruptionsbekämpfung getan
"Ist da ein Fehler im System? Ich denke, ja. Bei der Dezentralisierung Spaniens mussten die großen Parteien antreten, wo es sie gar nicht gab, in allen Regionen und allen Kommunen. Sie mussten überall präsent sein. Das ist teuer. Die öffentliche Finanzierung, die sich nach dem Wahlergebnis richtet, reicht dafür nicht aus."
So begannen viele Politiker, die Hand aufzuhalten, zunächst für die Finanzierung ihrer eigenen Partei, später für sich selbst, meint Vallespín. Während in den Ministerien in den letzten Jahren viel für die Korruptionsbekämpfung getan worden sei, seien die Kommunen und Regionen noch immer außer Kontrolle. Daran seien aber nicht nur die Politiker schuld:
"Mit dem Wirtschaftswachstum haben wir Bürger die Parteien nicht mehr überwacht. Außerdem haben wir Spanier uns noch nie sehr für Politik interessiert. Und die Presse hat ihre Wächterfunktion auch nicht mehr erfüllt. Jede Zeitung hat sich nur noch um die Korruptionsfälle der Partei gekümmert, der sie nicht nahe steht."
Doch die Wirklichkeit hat solches Lagerdenken längst eingeholt. Fast alle Parteien, die Gewerkschaften, sogar das Königshaus stehen nun mit Skandalen um Einflussnahme, schwarze Konten und Bestechlichkeit in den Schlagzeilen. Genau die richtige Zeit für eine große Katharsis, hofft Vallespín. Doch er fragt ist auch, ob die verlorene Glaubwürdigkeit überhaupt noch einmal wiederzugewinnen ist:
"Paradoxerweise verstärkt die effektive Bekämpfung der Korruption das Misstrauen. Wir könnten sagen, wie gut, dass jetzt alles raus kommt. Endlich funktioniert die Justiz. Aber jetzt fragen sich die Leute, warum sie überhaupt noch Steuern zahlen sollen, wenn die Politiker so viel Kapital aus ihren Posten schlagen. Dieses Misstrauen wird immer größer werden."
Während die Parteien noch über neue Maßnahmen gegen Korruption diskutieren, ist das Feld für Populisten längst bestellt: Die neue Formation "Podemos" spricht schon lange von einer "Kaste", die sich das Land angeeignet habe. Dass es in den traditionellen Parteien noch ehrliche Leute gibt, daran glauben auch Carmen und Valerie vor dem Jugendhaus in Valdemoro nicht:
"Es ist doch im ganzen Land so. Schau Dir die Korruption des Pujol-Clans in Katalonien an. Den Skandal um die schwarzen Kreditkarten bei der Sparkasse Madrid. Ein Fall folgt dem anderen. Und es ist ganz egal, welche Partei regiert. Es passiert immer das Gleiche. Was soll man da machen?"