Mariano Rajoy ist Galicier, er kommt aus der nordwestlichsten Ecke Spaniens. Galiciern sagen die Spanier nach, dass sie verschlossen sind. Dass man nie weiß, was ihnen gerade durch den Kopf geht. Auch Rajoy schweigt lieber, als dass er Interviews gibt. Wartet lieber, als sich schnell zu äußern. Eine Taktik, die ihm geholfen hat: "Presidente, Presidente."
20. Dezember 2015: Mariano Rajoy steht auf dem Balkon seiner Parteizentrale. Er strahlt in die Menge, hüpft etwas ungelenk ein paar Mal in die Luft. Er hat gerade die Wahlen gewonnen, auch wenn er ganze 16 Prozent verloren hat. "Ich bin mir und wir alle sind uns bewusst, dass wir vier schwierige Jahre hinter uns haben. Wir mussten harte Entscheidungen treffen, die kein Regierender gerne trifft. Aber ich sage unseren Wählern: Ich habe das getan, von dem ich überzeugt war, dass es im Interesse von Spanien liegt. Das war unsere einzige Richtschnur."
Keiner ahnt, dass an diesem Abend eine Pokerpartie beginnt, die zehn Monate lang dauern wird. Rajoy gibt sich gesprächsoffen. Er möchte eine Große Koalition wie in Deutschland - weiß aber, dass er als Person für die Sozialisten nicht in Frage kommt: Zu zahlreich sind die Korruptionsfälle, in die seine konservative Volkspartei verstrickt ist. Aber Rajoy weiß auch, dass sich die Chefs der anderen drei großen Parteien nicht grün sind. Er wartet ab. Und wirklich: Im März scheitert Sozialistenchef Sanchez mit seinem Versuch, eine alternative Regierung zusammenzuzimmern. Im Juni wird neu gewählt – und die Wähler setzen weniger auf die neuen Kräfte, als auf das Altbekannte: Rajoy kann überraschend viele Stimmen dazu gewinnen, obwohl er sich politisch kaum einen Millimeter bewegt hat. "Die Bürger haben uns gesagt, was sie uns schon im Dezember gesagt haben: Tauscht Euch aus, redet miteinander und paktiert! Die Volkspartei ist weiterhin bereit dazu."
Geredet haben die Spitzen der Parteien in den Monaten zuvor viel, häufiger allerdings übereinander, seltener miteinander. Die Fronten bleiben hart. Sozialisten-Sprecher Antonio Hernando Ende Juni: "Wir werden Herrn Rajoy nicht unterstützen, wenn er sich zur Wahl stellt. Und wir werden uns auch nicht enthalten. Herr Rajoy muss schon alleine bei seinen Verbündeten Unterstützung suchen, um seine Wahl hinzubekommen."
Rajoy denkt nicht an Rücktritt - und wartet ab
Manche fordern schon von Rajoy, den Weg frei zu machen, einen anderen an die Spitze zu lassen, mit dem sich die Sozialisten eher anfreunden können. Damit endlich eine Regierung zustande kommt. Doch Rajoy denkt nicht daran. Er sagt: "Das wäre der erste Präsident in der Geschichte, der eine Wahl gewinnt und bei dem die anderen dann fordern, dass er gehen soll."
Rajoy wartet ab. Über Wochen stehen sich Konservative und Sozialisten frontal gegenüber. Es drohen Neuwahlen, die dritten in einem Jahr. Bei den Sozialisten werden viele zunehmend nervös. Anfang Oktober jagen sie ihren Chef Pedro Sanchez vom Hof. Er hatte es nicht vermocht, der Partei eine klare Linie zu geben.
Rajoy zieht es vor, dazu zu schweigen. Am vergangenen Sonntag einigen sich die Sozialisten schweren Herzens darauf, Rajoy mit einer Enthaltung ins Amt zu bringen. Rajoys Rechnung ist aufgegangen. Sozialistensprecher Hernando in der Parlamentsdebatte an die Adresse von Rajoy: "Unsere Enthaltung wird Ihnen erlauben, eine Regierung zu bilden. Aber sie ist keine Unterstützung für ihre Regierung oder für Ihre Politik. Sie werden nicht mit unserer Hilfe Ihr Wahlprogramm durchziehen können. Täuschen Sie sich da mal nicht." Rajoy wird es an der Spitze nicht einfach haben. Aber er ist am Ziel. Nach zehn Monaten Schweigen und Abwarten.