
Gewalt gegen Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und existiert in allen Schichten. In Deutschland wird statistisch gesehen fast jeden Tag eine Frau getötet. Die Täter sind häufig die Partner oder Ex-Partner. In deutschen Medien ist dabei oft von „Familientragödien“ oder „Beziehungstaten“ die Rede. In Spanien wird dagegen schon seit Jahren viel öfter in der Öffentlichkeit von Femiziden gesprochen.
Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, wird in Spanien über die Parteigrenzen hinweg als gesamtgesellschaftliche Aufgabe angesehen. Seit rund 20 Jahren gibt es Gesetze, die explizit Frauen schützen sollen. Doch können sie die Gewalt eindämmen? Wie erfolgreich sind die Gesetze und Maßnahmen?
Welche Erfolge konnten bisher erzielt werden?
Spanien geht schon lange offensiv und aktiv gegen Gewalt gegen Frauen vor. Seit gut 20 Jahren werden Gesetze erlassen und Maßnahmen erprobt, die dabei helfen sollen, Gewalt gegen Frauen vorzubeugen, Frauen und ihre Kinder besser zu schützen und die Täter härter zu bestrafen.
Die Zahl der Femizide sinkt seit Jahren langsam, aber kontinuierlich. Im vergangenen Jahr wurden 94 Femizide begangen, in 52 Fällen hat der Partner oder Ex-Partner die Frau getötet. 2010 waren es noch 74 Frauen, die von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wurden.
Die Zahl der registrierten Sexualstraftaten nimmt dagegen seit Jahren zu. Unklar ist, ob mehr Frauen sexuelle Gewalt erfahren oder die Dunkelziffer abnimmt. Das spanische Innenministerium erklärt, dass der den Anstieg der Fallzahlen auch damit zusammenhänge, dass immer mehr Menschen solche Straftaten nicht mehr tolerieren würden und eher bereit seien, die Täter anzuzeigen.
Die „spanische Fußfessel“ für potenzielle Straftäter ist eine präventive Maßnahme. Sie soll Frauen, die von ihrem Ex-Partner bedroht werden, schützen. Und sie zeigt Wirkung: Die Fußfessel wurde bisher in über 13.000 Hochrisikofällen eingesetzt - und keine Frau, die durch sie geschützt wurde, wurde getötet.
Welche Gesetze schützen vor geschlechtsspezifischer Gewalt?
Schon 2004 verabschiedete die spanische Regierung ein Gesetz, das explizit Menschen schützen soll, denen Gewalt angetan wurde oder wird, weil sie Frauen sind.
Ziel dieses Gesetzes ist es, gegen Gewalt vorzugehen, die als Ausdruck der Diskriminierung, der Ungleichheit und der Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen gegen Frauen von denjenigen ausgeübt wird, die ihre Ehegatten sind oder waren, oder von denjenigen, die mit ihnen durch ähnliche Beziehungen der Zuneigung verbunden sind oder waren, auch wenn sie nicht zusammenleben.
Artikel 1, Gesetz über umfassende Schutzmaßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt
Das Gesetz umfasst rechtliche, soziale, erzieherische und präventive Maßnahmen und gilt heute als Meilenstein im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt.
Im Jahr 2022 ist in Spanien das "solo sí es sí"-Gesetz (dt.: Nur ja heißt ja), wie es umgangssprachlich genannt wird, in Kraft getreten. Es wurde auch international wahrgenommen, da es im Umgang mit Sexualdelikten einen anderen Ansatz verfolgt, als zum Beispiel deutsche Gesetze. Personen, die sexuell missbraucht wurden, müssen vor spanischen Gerichten nicht beweisen, dass sie Nein gesagt, sich gewehrt oder geweint haben. Stattdessen ist Sex in Spanien nur nach beiderseitiger Zustimmung einvernehmlich. Ohne Zustimmung gilt Sex als Vergewaltigung. Auf Vergewaltigung stehen in Spanien bis zu 15 Jahre Haft.
Auch ein Kuss gilt in Spanien als sexuelle Handlung und kann als sexueller Übergriff bestraft werden – wie zuletzt der Fall um und den ehemaligen Präsidenten des spanischen Fußballverbands und die spanische Fußballnationalspielerin Jennifer Hermoso gezeigt hat. Luis Rubiales hatte nach dem gewonnenen WM-Finale 2023 die Spielerin bei der Siegerehrung auf den Mund geküsst. Sie hat ihn daraufhin angezeigt. Am 20. Februar 2025 wurde er zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.800 Euro verurteilt. Zudem verfügte das Gericht, dass er sich Hermoso ein Jahr lang nur bis auf 200 Meter nähern nicht mit ihr kommunizieren darf. Klägerin und Angeklagter sind mit dem Urteil jedoch nicht zufrieden und haben Berufung eingelegt.
Konkrete Schutzmaßnahmen: „spanische Fußfessel“ und VioGén
Für potenzielle Straftäter wurde in Spanien eine Form der Überwachung mit dynamischen Zonen erfunden. Das Überwachungssystem wird „spanisches Modell“ oder „spanische Fußfessel“ genannt und seit 2009 eingesetzt. In der Regel ist die zu schützende Person eine Frau, die von ihrem Ex-Partner verfolgt und bedroht wird. Er darf sich ihr nicht näheren. Tut er es doch, schlägt das System Alarm und die Frau wird in Sicherheit gebracht.
Seit 2007 setzt Spanien auf VioGén. Das ist eine Datenbank, in der unter anderem Gewalttäter, Opfer und Anzeigen erfasst werden. Die Daten liefern Polizeibehörden, Justiz, Staatsanwaltschaft, Gefängnisse und Sozialdienste. Aus den Daten werden Risikoanalysen abgeleitet, zum Beispiel zur Wahrscheinlichkeit, dass ein Täter abermals übergriffig wird. VioGén trägt in Spanien dazu bei, Frauen besser schützen. Dennoch kann der Algorithmus nicht alle Femizide verhindern, selbst wenn die Täter im System hinterlegt und bekannt waren.
„Nur ja heißt ja“-Gesetz in der Kritik
Das „Nur ja heißt ja“-Gesetz wurde zunächst als großer Durchbruch gefeiert, als es im August 2022 in Kraft getreten ist. Doch schon wenige Monate später hagelte es Kritik. Denn die Unterscheidung zwischen sexueller Nötigung und sexueller Aggression war mit dem Gesetz abgeschafft worden. Dadurch aber ist die Mindeststrafe für den ehemaligen Strafbestand sexueller Aggression gesunken. Das führte dazu, dass Hunderte Freiheitsstrafen verkürzt wurden und Dutzende verurteilte Sexualstraftäter vorzeitig aus dem Gefängnis freikamen. Möglich war das, weil Rechtsreformen in Spanien auch nachträglich angewandt werden können, wenn das den Verurteilten Vorteile bringt.
Im April 2023 stimmte das Parlament für eine Reform der Reform. Diese sieht höhere Strafen vor, wenn ein Sexualstraftäter gewalttätig war oder das Opfer eingeschüchtert hat. Die damalige Gleichstellungsministerin Irene Montero zeigte sich nach der Abstimmung enttäuscht, da das Gesetz aus ihrer Sicht wieder verwässert wurde, weil es Gewalt wieder zu einem wichtigen Kriterium erhebt. Es sei eine schlechte Nachricht für die Frauen, die für das Prinzip beiderseitiger Zustimmung gekämpft hätten.
rey