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Spanien spart: Kein Arzt ohne Papiere

Wer in Deutschland nicht krankenversichert ist, dem bleibt im Falle einer Krankheit oft nur der Gang zu einem der karitativen Hilfswerke. In Spanien war das bis zum Wochenende noch anders. Dort hatte jedermann das Recht auf kostenlose Behandlungen im Rahmen des staatlichen Gesundheitssystems, auch Einwanderer ohne eine Aufenthaltsgenehmigung. Doch seit einigen Tagen schränkt eine neue Regelung das Recht der Papierlosen auf den Arztbesuch erheblich ein. Sie sollen zur Kasse gebeten werden. Die Regierung hofft auf Einsparungen im überlasteten und chronisch unterfinanzierten Gesundheitssystem. Nichtregierungsorganisationen befürchten hingegen, dass lebenswichtige Behandlungen und Vorsorge künftig einem Teil der Bevölkerung vorenthalten werden.

Von Hans-Günter Kellner |
    In einem Protestvideo ruft die Hilfsorganisation Ärzte der Welt alle Angestellten im staatlichen spanischen Gesundheitssystem dazu auf, Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis auch weiterhin zu behandeln. Sagrario Martín, Hausärztin und Sprecherin der Organisation bestreitet, dass die Migranten für die Überlastung der Gesundheitszentren und Krankenhäuser verantwortlich sind.

    "Es wird behauptet, dass die Menschen ohne Papiere keine Beiträge zahlen. Aber unser Gesundheitssystem finanziert sich gar nicht aus Beiträgen, sondern aus Steuern. Diese Leute zahlen zwar keine Einkommenssteuern, aber sie zahlen wie alle anderen auch indirekte Steuern, zum Beispiel die Mehrwertsteuer. Auch sie tragen also zur Finanzierung bei."

    Zumal Einwanderer seltener zum Arzt gehen als Einheimische. Bei einem Ausländeranteil von über zehn Prozent, sagt Martin, liege der Anteil der Einwanderer unter den Patienten bei fünf Prozent. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2008 belegt das.

    Auch Simone aus Brasilien hat keine Aufenthaltsgenehmigung. Seit fünf Jahren lebt sie in Spanien, hat Wohnungen geputzt, alte Menschen gepflegt, sogar Brot gebacken. Doch einen Arbeitsvertrag wollte ihr niemand gegeben, und so konnte sie ihren Aufenthalt nicht legalisieren, erzählt sie in einem Straßencafé nicht weit von ihrer Wohnung im Zentrum von Madrid. Zum Arzt sei sie erst gegangen, als der Knoten ihn ihrer Brust Schmerzen verursachte, erzählt Simone:

    "Die Ärztin schickte mich sofort ins Krankenhaus. Es sei sehr schwerwiegend, sagte sie mir. Die Voruntersuchungen dauerten einen Monat, dann nahmen sie mir die Brust ab. Dann kam die Chemotherapie, sechs Monate lang. Der Arzt sagte, ich müsse auf jeden Fall täglich Medikamente nehmen, fünf Jahre lang. Zudem müsse ich jeden Monat eine Spritze bekommen. Aber ich weiß nicht, was jetzt passiert."

    Ihre Ärzte haben ihr versprochen, sie trotz der Reform weiter zu behandeln, auch gegen die Anweisungen der Behörden. Doch ins Behandlungszimmer des staatlichen Gesundheitszentrums zu gelangen, ist gar nicht so einfach. Denn die Termine vergeben Verwaltungsangestellte. Und die schikanierten sie jetzt schon, berichtet die 40-Jährige Brasilianerin:

    "Bereits im Juli sagten sie mir: Das ist jetzt aber das letzte Mal! Ohne Papiere geht hier nichts mehr. Das war, als ich meine monatliche Spritze bekam. Ich weinte. Ich habe ja keine Grippe. Ich habe Krebs! Ich brauche diese Behandlung. Das sagen alle ärztlichen Gutachten. Hier steht es: 'Die Nachbehandlung ist ebenso überlebenswichtig wie die Entfernung des Tumors und die Chemotherapie.' Ich kann da nicht einfach mal einen Monat aussetzen. Und die Tabletten muss ich täglich einnehmen."

    ..., so steht es in einem ärztlichen Bescheid, den sie aus einem Stapel Unterlagen hervorzieht. Ein weiteres Schreiben bestätigt einen Termin für den 15. November bei einem plastischen Chirurgen für die Rekonstruktion ihrer Brust. Auch dieser Eingriff ist nun nicht mehr sicher. Die Medikamente soll Simone jetzt selbst bezahlen. Das würde sie mehr als hundert Euro im Monat kosten, nicht eben wenig bei einem monatlichen Einkommen von 500 Euro. Ihr muss zudem alle vier Wochen ein Medikament gespritzt werden.

    "Weil mir klar war, dass ich ab September keine Rezepte mehr bekomme, haben mir die Ärzte im Krankenhaus eine erst für September vorgesehene Spritze schon im August gegeben. Mein Gott, da ging es mir am Abend schlecht. Bei Ärzte der Welt sagten sie mir, ich hätte sofort ins Gesundheitszentrum gehen müssen. Aber dort verweigern mir die Behörden doch die Behandlung."

    Seit zwei Wochen pflegt sie ein älteres Ehepaar. Die beiden wollten ihr einen Arbeitsvertrag geben, damit könnte sie auch die lange ersehnten Papiere bekommen, erzählt sie hoffnungsfroh. Es würde allerdings mindestens ein halbes Jahr dauern, bis der Antrag bearbeitet ist. Mindestens so lange gilt Simones Aufenthalt weiterhin als illegal, und bis dahin hat sie kein Recht auf Arztbesuche mehr. Die Regierung hat zwar eine Sonderregelung für bereits diagnostizierte Fälle angekündigt, doch im Gesundheitszentrum wissen sie davon noch nichts. Die Behörden hoffen, dass sich am Ende die Wohlfahrtsorganisationen der Schätzungen zufolge eine Million Menschen ohne Papiere annehmen, meint Sagrario Martín von Ärzte der Welt. Doch die Hilfswerke seien damit überfordert:

    "Wir behandeln zwar einen Teil der ausländischen Bevölkerung. Im letzten Jahr waren es 19.000 Menschen. Aber unsere Arbeit besteht viel mehr in der Vorbeugung von Krankheiten. Wir können den Leuten jetzt unmögliche alle notwendigen Medikamente bezahlen, aufwendige Diagnosen durchführen und eine umfassende Gesundheitsversorgung sicher stellen."