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Spanien
Tod eines Fahrradkuriers löst Proteste aus

In Barcelona gehen Fahrradkuriere für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße, seit ein Fahrer beim Ausfahren von Essen durch ein Auto der Stadtreinigung überfahren worden war. Die Kuriere sagen: Sein Tod war mehr als ein tragischer Unfall, denn er hänge zusammen mit den prekären Arbeitsumständen.

Von Julia Macher |
Ein Beschäftigter des spanischen Kurierdienstes Glovo liegt auf der Straße neben einem brennenden Glovo-Rucksack vor dem Gebäude des Unternehmens in Barcelona während einer Protestaktion am 27.05.2019 nach dem tödlichen Unfall eines Glovo-Fahrradkuriers.
Ein Beschäftigter des spanischen Kurierdienstes Glovo liegt auf der Straße neben einem brennenden Glovo-Rucksack vor dem Gebäude des Unternehmens in Barcelona während einer Protestaktion nach dem tödlichen Unfall eines Glovo-Fahrradkuriers. (LLUIS GENE / AFP)
Die Zentrale des spanischen Lieferdiensts Glovo in Barcelona. Vor dem Bürogebäude haben sich schweigend ein paar dutzend Menschen versammelt. Kollegen des tödlich verunglückten Kuriers. Einige von ihnen verbrennen ein paar der charakteristischen, quadratischen Lieferboxen. Der Tod des 23-jährigen Kuriers empört die Menge. Aber auch das knappe, bedauernde Kommuniqué der Firma.
Auch Badr Eddine Hilali hat der Fall empört. Er habe den jungen Nepalesen flüchtig gekannt, erzählt der Kurier, der für die Konkurrenzfirma Deliveroo arbeitet. Der Unfall hätte jedem "Rider" passieren können: Die digitalen Kuriere erhalten ihre Aufträge via App; Arbeitsstunden und Strecken weist ein Algorithmus zu. Wer gut und schnell arbeitet, erhält mehr Aufträge. Da flitzten manche schon mal bei Rot über die Ampel.
"Ein Rider arbeitet, zehn warten auf den nächsten Job"
"Wenn du zu spät kommst, wirst du bestraft. Wenn das Essen, das du lieferst kalt ankommt, weil du im Restaurant zu lange in der Schlange gestanden hast, wirst du bestraft. Und: Wenn du nicht arbeitest, arbeitet jemand anders: Ein Rider arbeitet, zehn warten auf den nächsten Job."
In spanischen Großstädten wie Madrid, Barcelona oder Zaragoza sind mehrere tausend Menschen als Rider unterwegs. In dem Land, dessen Arbeitslosenquote immer noch bei etwa 14 Prozent liegt - bei unter 25-Jährigen sogar bei knapp 34 Prozent, ist die Nachfrage nach solchen Jobs groß: vor allem unter Geringqualifizierten und Migranten. Es gibt ein paar Spitzenverdiener, aber die Mehrzahl erhielte nicht mehr als 700 Euro im Monat, heißt es aus der Branche. Dazu kämen die vergleichsweise hohen und stetig steigenden Sozialabgaben für Selbstständige. Auch deswegen arbeiten viele Rider schwarz, über das Konto eines offiziell und regulär als selbstständig gemeldeten Kuriers - so wie der tödlich verunglückte Nepalese. Da seine Firma das theoretisch hätte wissen müssen, hat die Gewerkschaft UGT Strafanzeige gegen Glovo erstattet. Anwalt Bernardo Garcia:
"Glovo stellt – aus unserer Sicht unter Missachtung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen - tausende Rider ein. Dabei nutzt die Firma die Notlage dieser Menschen, oft Migranten, aus. Glovo hat die technischen Möglichkeiten zu erkennen, ob auch wirklich die Person, die angemeldet ist, den Lieferauftrag ausführt – oder jemand anders. Glovo und andere Firmen tolerieren diesen Missbrauch zu ihrem unternehmerischen Nutzen."
Gewerkschaft prangert Scheinselbstständigkeit an
Die Proteste in Barcelona haben ein Schlaglicht auf die Missstände der Branche geworfen. In Madrid befindet derzeit ein Arbeitsgericht über die Scheinselbstständigkeit von über 530 Kurieren der Plattform Deliveroo. Für Bernardo García ist die Sachlage klar: Die Kuriere sind nicht selbstständig, sondern abhängig beschäftigt.
"Die Indizien dafür sind die Abhängigkeit der Kuriere von der Plattform und die Fremdbestimmung: Preise und Kunden bestimmen nicht die Kuriere, sondern die Plattform. Die Kuriere verfügen auch nicht über die notwendige Infrastruktur. Allein Fahrrad und Handy reichen nicht aus, um wirklich selbstständig arbeiten zu können. Dazu kommt die Verfügbarkeit. Das alles sind Merkmale einer abhängigen Beschäftigung."
Bisher haben in Spanien vier Urteile den Klagen auf Scheinselbstständigkeit Recht gegeben, ebenso viel unterstützen die Argumentation der Plattformen.
Badr Eddine Hilali, Präsident des von ihm mitgegründeten "Vereins der Selbstständigen Rider", will keine Festanstellung, sondern als Freelancer zu fairen Bedingungen arbeiten. "Als Selbstständige wollen wir selbstständig handeln können, also Preise und Arbeitszeiten mitbestimmen," sagt er. Seine Kollegen in Barcelona und Madrid gehen noch einen anderen Weg – und haben Kurier-Kooperativen gegründet – als lokale und ethisch korrekte Alternative zu Marktriesen.