Sonntag ist in Madrid der Tag des Flohmarkts. Viel wichtiger als Kaufen und Verkaufen sind dabei die Treffen vor den Bars bei gegrillten Sardinen und einem kleine Bier. Gesprächsthema Nummer Eins auch hier: Die Situation der syrischen Flüchtlinge.
"Die Politiker sollten aufhören mit diesen Streitereien. Ein Land will Flüchtlinge, ein anderes will gar keine und noch eins will zwar welche, aber nur ganz wenige. So geht das nicht. In der Europäischen Union muss mal einer klar stellen, dass alle ihren Beitrag leisten müssen."
"In Valencia, in Barcelona, in Madrid - überall in Spanien sagen die Leute doch, dass wir mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen. Man darf nicht wegsehen. Man muss diesen Leuten helfen, egal wo sie herkommen und welche Religion sie haben."
Es hat lange gedauert, bis die Debatte um die Aufnahme politischer Flüchtlinge auch Spanien erreicht hat. Denn eigentlich gibt es kaum Asylbewerber in Spanien. Gerade einmal fünfeinhalbtausend Menschen haben hier im vergangenen Jahr Asyl beantragt, das entspricht weniger als ein Prozent aller Anträge in der Europäischen Union. Trotzdem hat sich die spanische Regierung bisher heftig dagegen gewehrt, mehr Menschen aufzunehmen. Innenminister Jorge Fernández Díaz sagte zur Debatte um eine bessere Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Staaten:
"Das ist, als würde es bei uns durchs Dach ins Haus reinregnen. Das Haus wird überschwemmt, aber wir dichten nicht etwa das Dach ab. Nein, wir verteilen das Wasser nur gleichmäßig über alle Zimmer. Auch eine Verteilung der Flüchtlinge löst das Problem nicht."
Doch dann lag ein syrisches Flüchtlingskind tot an einem türkischen Strand. Auch zahlreiche spanische Zeitungen veröffentlichten das Bild, ein Aufschrei ging durch das Land. So wie der von Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau, die vergangene Woche bei einer politischen Veranstaltung den Brief einer besorgten Bürgerin vorlas:
Schon lange halte sie sich bei den Nachrichtenprogrammen die Augen zu. Sie ertrage die Bilder nicht mehr, schreibt sie darin an ihre Bürgermeisterin. Sie könne bei sich zu Hause einen oder zwei Flüchtlinge aufnehmen, ihnen Kleidung und Essen geben. Sie habe zwar eine Behinderung, wolle aber unbedingt helfen. Dann ruft Bürgermeisterin Colau in die Menge: "Wenn sie das kann, warum kann es der spanische Staat dann nicht? Eine Schande ist das!"
Die Wirtschaftskrise nicht als Ausrede benutzen
Und dann ruft die Menge "Sí se puede" – die spanische Version von "Yes we can" – den Schlachtruf der Bürgerbewegung der Empörten.
Seither haben sich mehr als 50 spanische Städte zu einem Netz aufnahmebereiter Kommunen zusammengeschlossen. Und Madrid – das wie auch Barcelona von einem von der Protestpartei Podemos angeführten Linksbündnis regiert wird – kündigt an, im kommenden Jahr zehn Millionen Euro für die Versorgung von Flüchtlingen einzuplanen. Getrieben vom Druck der Proteste - und der EU-Partner – hat Spaniens Regierung dann am Freitag einen Kurswechsel vollzogen. Vizeregierungschefin Soraya de Santamaría:
"Der Regierungschef hat eine Arbeitsgruppe aus unterschiedlichen Ministerien eingerichtet, der ich vorsitzen werde. Wir müssen sensibel und solidarisch sein. Das Thema muss in der Europäischen Union kurz-, mittel- und langfristig diskutiert werden. Wir brauchen eine gemeinsame Einwanderungs-, Arbeitsmarkt- und Asylpolitik."
15.000 Menschen müsste Spanien den gegenwärtigen Berechnungen der EU-Kommission zufolge aufnehmen, berichtet die Tageszeitung "El País". Ob es am Ende tatsächlich so viele werden, steht noch nicht fest. Denn immer noch verweist die spanische Regierung auf die mit 22 Prozent enorm hohe Arbeitslosenquote. Aber auch beim Flüchtlingshilfswerk CEAR melden sich nun Menschen, die Flüchtlinge sogar bei sich zu Hause aufnehmen wollen. Sprecher Alberto Senante sagt:
"Wir sind nicht blauäugig, Spanien hat große Probleme. Aber hier geht es um Menschenleben. Spanien hat die Möglichkeiten, deutlich mehr Flüchtlinge aufzunehmen, nicht nur hier in Spanien, sondern auch in den Botschaften und Konsulaten, damit die Menschen bei der Flucht nicht ihr Leben riskieren müssen. Die Wirtschaftskrise darf keine Ausrede dafür sein, dass man die Menschen sterben lässt."