Archiv

Kritik an Umfrageinstituten und Medien in Spanien
Die große Wahl-Überraschung

Überraschung bei der Parlamentswahl in Spanien – denn eigentlich hatten die meisten einen Sieg des rechts-konservativen Lagers erwartet. Entsprechend hatten die Meinungsforscher den Wahlausgang prognostiziert und Medien berichtet. Nun gibt es reichlich Kritik.

Marc Hoffmann im Gespräch mit Anh Tran |
In Barcelona (Spanien) hängen an Laternen in einer Straße Wahlplakate der nationalkonservativen, rechtspopulistischen und europaskeptischen Partei Vox.
Die rechtspopulistische Partei Vox. stand in den Umfragen besser da als bei der Wahl. (IMAGO / ZUMA Wire / IMAGO / Davide Bonaldo)
Der Rechtsruck schien schon sicher in Spanien - jedenfalls wenn man sich auf Meinungsumfragen und Medienschaffende verlassen hat.
Doch am Ende lag ein deutlicher Unterschied zwischen tatsächlicher Entscheidung der Wählerinnen und Wähler und den Vorhersagen. Insbesondere bei der rechtspopulistischen Partei Vox dürfte man enttäuscht über das Ergebnis gewesen sein. Doch beide - das rechte und das linke Lager - haben die absolute Mehrheit verfehlt.

Medien berichten über scheinbare Tatsachen

In den Umfragen wurde noch ein Sieg der Rechtskonservativen prognostiziert, was auch in der Berichterstattung einige Journalistinnen und Journalisten dazu verleitete, schon scheinbare Tatsachen zu verbreiten. So hatten vor der Wahl manche Medien nicht nur über den drohnenden, sondern über einen "bevorstehenden" Rechtsruck berichtet. Und selbst nach der Wahl schafften es entsprechende Schlagzeilen noch in etliche Tageszeitungen, wie Medienjournalist Steffan Niggemeier berichtet.
Doch warum lagen so viele Meinungsforscher vor der Wahl daneben? Offenbar habe es ein methodisches Problem gegeben, erklärt Spanien-Korrespondent Marc Hoffmann, indem man die politischen Lager in Spanien überschätzt habe.
"Im Vergleich zu Deutschland, muss man vielleicht noch mal sagen, gibt es in Spanien schon noch ein sehr deutliches Lagerdenken. Auf der einen Seite das rechtskonservative Lager, auf der anderen Seite das sozialistische linke Lager. Das hat sich jahrzehntelang so gehalten."

Politische Unsicherheit in Spanien erwartet

Politische Beobachter erwarten nun eine möglicherweise monatelange Periode der politischen Unsicherheit. Denn die konservative Volkspartei kann keine Mehrheit im rechten Lager organisieren und die Sozialisten um Ministerpräsident Sanchez haben nur Minimalchancen, das in ihrem Lager zu erreichen. Und eine Große Koalition gilt in Spanien als nahzu undenkbar.
Schon 2015 und 2019 mussten Neuwahlen angesetzt werden, um eine Mehrheit zu finden und politischen Stillstand im Land zu überwinden. Das könnte auch in diesem Jahr wieder anstehen - und die Blicke würden sich erneut auf die Meinungsforscher richten.

Veraltete Zahlen in der Wahlnacht

Bei der Einschätzung der Stimmungslage direkt vor der Wahl gibt es immer große Unsicherheiten in Spanien - zumal sich auch dort viele Menschen kurzfristig entscheiden, so Marc Hoffmann im Gespräch mit @mediasres.
Eine Besonderheit sei aber vor allem ein veraltetes Vorgehen in Spanien, das per Gesetz geregelt sei: "Mehrere Tage vor der eigentlichen Wahl dürfen keine Umfrageergebnisse mehr veröffentlicht werden."
So müsse auch in der Wahlnacht mit veralteten Umfragen hantiert werden, da es in Spanien anders als in Deutschland keine Nachwahlbefragungen gibt. Nach Schließung der Wahllokale würden keine Prognosen und Hochrechnungen veröffentlicht, so dass sich die Medien zunächst auf die Umfrageergebnisse der Vorwoche stützen müssen.

Meinungsforscher gehen in die Offensive

Nach der massiven Kritik gingen die Verantwortlichen der Umfrageinstitute nun ein bisschen in die Offensive, sagt Korrespondent Hoffmann, "und picken sich die Zahlen heraus, die dann am Ende doch gestimmt haben und sagen: seht her, wir hatten doch gar nicht so unrecht".