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Spaniens Flüchtlingspolitik
Zwischen Hilfe und Protest

Die Open Arms darf sich in italienischen Gewässern aufhalten. Für die rund 150 Flüchtlinge an Bord des Rettungsschiffes zeichnet sich zudem eine europäische Lösung ab. Unter anderem will Spanien einen Teil von ihnen aufnehmen - eine Wende in der zuletzt strikten Flüchtlingspolitik des Landes.

Von Hans-Günter Kellner |
Das Foto zeigt das Schiff der spanischen NGO Proactiva Open Arms vor dem Hafen von Algeciras/Spanien.
Mit dem Fall der Open Arms ist die spanische Flüchtlingspolitik weiter in die Kritik geraten (AFP / Jorge Guerrero)
Nach einer zwei Wochen langen Irrfahrt der Open Arms durch das Mittelmeer hat ein italienisches Gericht dem spanischen Hilfswerk erlaubt, mit den 147 Flüchtlingen an Bord in einen italienischen Hafen einzulaufen. Denn die Lage an Bord hatte sich zunehmend zugespitzt, hat Open-Arms-Sprecher Oscar Camps gewarnt. Die See sei stürmisch und die Nerven der Flüchtlinge, die in Libyen von extremen Gewalterfahrungen traumatisiert seien, würden blank liegen:
"Wir können in einer halben Stunde einen schweren Konflikt an Bord haben, mit Verletzten oder auch Toten. Wir sind überfordert. Wir können Menschen auf dem Meer retten und sie in den nächsten sicheren Hafen bringen. So wie es im Gesetz steht. Aber wir können mit ihnen nicht 600 Meilen durchs Meer kreuzen, während wir nur 28 Meilen von einem sicheren Hafen entfernt sind."
Open Arms hat sich an mehrere EU-Mitglieder gewandt
So beschrieb Camps die Situation an Bord dem spanische Radiosender Cadena Ser - noch vor der Entscheidung der italienischen Richter. Seine Organisation warf der italienischen Regierung vor, mit ihrem Verbot internationales und europäisches Recht zu verletzen. Open Arms hatte sich auch an die französische Regierung gewandt:
"Macron hatte sich ja schon letzten Monat in Paris mit den Vertretern von 12 Mitgliedsstaaten der EU getroffen, um über einen automatischen Verteilungsschlüssel für schiffbrüchige Flüchtlinge zu sprechen. Und aus Brüssel hören wir, dass sie etwas unternehmen könnten, wenn ein Mitgliedsland die Kommission denn dazu auffordern würde. Aber Spanien macht ja gar nichts, wir können nur andere Staaten um Hilfe bitten."
Spanischen Presseberichten zufolge soll nun Paris eine Lösung mit mehreren europäischen Staaten für die Flüchtlinge koordinieren. Open Arms-Sprecher Camps habe sich auch mit dem deutschen Botschafter Wolfgang Dold in Madrid getroffen, bestätigte die Botschaft. Mit dem spanischen Regierungschef Pedro Sánchez herrsche jedoch völlige Funkstelle, beklagt sich Camps. Madrid habe sich auch nicht bei der Europäischen Union für das Hilfswerk eingesetzt. Er appelliert an die Regierung Sánchez:
"Wir sollten uns zusammensetzen und sehen, wie wir gemeinsam das Recht auf Seenotrettung durchsetzen können. Wir wollen keiner Regierung schaden, aber wir wollen die Leute auch nicht im Meer ertrinken lassen. Die spanische Regierung ist dafür nicht verantwortlich. Die spanische Seenotrettung funktioniert in ihrem Verantwortungsbereich gut. Wir retten nur dort, wo andere Regierungen damit aufgehört haben. Wir würden uns dort auch sofort zurückziehen, wenn diese Regierungen die Seenotrettung wieder aufnehmen würden."
Die Flüchtlingspolitik Spaniens steht in der Kritik
Mit dem Fall der Open Arms ist die spanische Flüchtlingspolitik weiter in die Kritik geraten. Sie überlasse einen Teil der Seenotrettung inzwischen Marokko und bezahle den südlichen Nachbarn als Transitstaat dafür, dass er seine Grenzen schließe. Und im Fall der Open Arms habe sie sich völlig passiv verhalten, kritisieren spanische Medien. Der zuständige spanische Minister für Infrastruktur, José Luis Ábalos, wehrt sich:
"Jeder muss zu seiner Verantwortung stehen. Wenn wir eine ähnliche Situation vor unserer Küste hätten, wäre das Schiff längst in einem spanischen Hafen. Im vergangenen Jahr haben wir 50.000 Menschen aus dem Bereich des Mittelmeers gerettet, für den wir zuständig sind. Spanien übernimmt Verantwortung. Aber wir können doch nicht erlauben, dass sich andere aus ihrer Verantwortung stehlen. Und der erste sichere Hafen ist nicht in Spanien," sagt der Minister mit Blick auf Italien und Malta
Und er erklärt, es sei nicht hinzunehmen, dass Spanien zum einzigen sicheren Hafen Europas werde, protestiert er und appelliert an die europäischen Partner:
"Wir sind bereit, in Europa mitzuarbeiten. Wir brauchen eine europäische Einwanderungspolitik, wir brauchen eine Politik, die nicht ständig von einseitigen Entscheidungen eines einzelnen Staats in Frage gestellt wird."