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Spaniens geraubte Babys
Gericht spricht Angeklagten frei

Über fünf Jahrzehnte hinweg wurden Frauen in spanischen Krankenhäusern ihre Neugeborenen weggenommen und in vielen Fällen verkauft. Nach Angaben von Opferorganisationen geht es um rund 300.000 Babys. Ein erstes Gerichtsverfahren gegen einen Arzt ist in Madrid zu Ende gegangen - und zwar mit einem Freispruch für den Mediziner.

Von Oliver Neuroth |
    Für ein Foto liegen viele Babys zusammen auf der Neugeborenenstation im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle in ihren Bettchen, aufgenommen am 05.01.2011.
    Mehr als 300.000 Babys sollen in der Zeit von Francisco Franco in Spanien verschwunden sein. (picture alliance / ZB / Waltraud Grubitzsch)
    Inés Madigral steht vor dem Gerichtsgebäude in Madrid und lächelt in die Fernsehkameras. Sie hatte den ersten Prozess rund um den Skandal der gestohlenen Babys angestoßen, sie selbst wurde vor 49 Jahren ihrer leiblichen Mutter weggenommen und wuchs bei einer anderen Familie auf. Dr. Eduardo Vela, derjenige, der das verbrochen hat, ist nun freigesprochen ‑ obwohl ihn das Gericht als Verantwortlichen des Babyraubs sieht.
    "Ich habe ein bittersüßes Gefühl. Ich bin glücklich, dass das Gericht die Taten von Dr. Vela als erwiesen ansieht. Aber ich hätte nicht gedacht, dass die Richterin vor dem Punkt Verjährung Halt macht."
    Gericht: Arzt für Raub verantwortlich
    Der schwerwiegende Vorwurf der Freiheitsberaubung verjährt nach zehn Jahren. Der für die Richter entscheidende Stichtag ist der 4. Juni 1987. An diesem Tag wurde Inés Madrigal 18 Jahre alt und erfuhr, dass die Frau, die sie für ihre Mutter hielt, nicht ihre tatsächliche Mutter war. 2012 präsentierte Inés aber erst die Anklage gegen Dr. Vela, also 25 Jahre nach dem Stichtag.
    "Im Jahr 1987 sagte mir niemand, dass meine Adoption illegal war. Niemand sagte mir, dass ich meiner Mutter gestohlen wurde. Das erfuhr ich viel später, im Jahr 2010. Deshalb ist das das entscheidende Datum für mich. 2010 plus zehn Jahre, das ist 2020. Vor daher ist der Fall für mich nicht verjährt."
    Nach Überzeugung des Gerichts ist Dr. Vela nicht nur für den Raub von Inés Madrigal verantwortlich: Er soll außerdem die Schwangerschaft der Frau inszeniert haben, an die das Baby Inés 1969 ging. Er schlug ihr zum Beispiel vor, sich ein Kissen umzubinden, um einen Babybauch vorzutäuschen ‑ damit ihr Umfeld nicht verwundert ist, warum sie plötzlich ein Neugeborenes hat. Der Arzt fälschte die Geburtsurkunde. Im Gerichtsverfahren wollte sich der heute 85-Jährige an kaum etwas erinnern, nicht einmal an seine engsten Kollegen in der Klinik an Madrid.
    "Kennen Sie Manuel Rubio Conde? Er war Kollege von Ihnen im Krankenhaus."
    Der alte Mann blickte verwirrt, zuckte mit den Schultern.
    "Sie wissen es also nicht mehr", stellte die Richterin fest.
    Opfer hofft auf Signalwirkung
    Sehr wohl wusste Dr. Vela aber noch, dass Unterschriften unter Dokumenten nicht seine waren. Beobachter zweifelten seine Gedächtnislücken daher an.
    Auch Inés Madrigal. Sie will weiter kämpfen und vor den Obersten Gerichtshof Spaniens ziehen.
    "Ich denke, dieses Urteil sollte man als Sprungbrett verstehen. Es gibt uns Kraft. Und ich finde , dass die obersten Richter dort sich zu dem Fall äußern sollen."
    Inés hofft außerdem auf eine Signalwirkung, dass weitere Opfer des Baby-Skandals vor Gericht ziehen. Die juristische Grundlage sei geschaffen ‑ weil nun ein Gericht zum ersten Mal Dr. Eduardo Vela eine entscheidende Rolle beim Handel mit Babys in Spanien zuschreibt.