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Spanische Politkunst

Das Künstlerkollektiv Enmedio aus Barcelona hat dort die Proteste der jungen Spanier gegen Finanzkrise, Perspektivlosigkeit und Demokratiedefizit mit geprägt. Die Gruppe agiert inzwischen seit über einem Jahrzehnt in der Grauzone zwischen Kunst und Politikaktivismus.

Von Julia Macher |
    Eine Fabrikhalle in Barcelona. Gut 20 junge Menschen hüpfen aufgekratzt durch den Raum. Mit ihren silbern glänzenden Brustpanzern, den blitzverzierten Schienbeinschonern und dem ausladenden Kopfschmuck wäre ihnen der erste Preis bei einem Kostümfest sicher. Doch das hier ist kein Karneval, sondern Kunst. Politkunst. Neil rückt das meterbreite, kreisrunde Etwas auf seinem Kopf zurecht:

    "Das ist ein Hut, der schützt nicht nur, sondern ist auch ein Reflektor, mit dem wir uns vor fremden Blicken verbergen können. Die Blitze sind Symbol unserer Macht, mit der wir zerstören können, was uns am System nicht gefällt."

    "Die Reflektanten sind so eine Art Superhelden. Sie reflektieren, sie zeigen das, was die Gesellschaft nicht sehen will und spiegeln es an den Sender zurück: Kapitalismus, Gewalt, egal was. Wir tragen Anzüge aus Silberpapier und goldene Capes und Schilder, mit denen wir die Überwachungskameras blenden können. Das Ganze hat also nicht nur eine metaphorische Funktion, sondern auch einen ganz praktischen Nutzen","

    sagt Oriana Eliçabe von der barcelonischen Künstlergruppe Enmedio. Die Reflektanten sind der Enmedio-Beitrag zu den geplanten Protesten am 12. Mai und typisch für das Kollektiv, das seit über einem Jahrzehnt in der Grauzone zwischen Kunst und Politikaktivismus agiert.

    Spontanpartys auf dem Arbeitsamt, eine Kissenschlacht bei einem Möbelhaus als Protest gegen teure Wohnungen und die Gründung des Franchise-Unternehmens Yo mango, das Ladendiebstahl als antikapitalistische Kunstform vermarktet: Enmedio kämpft mit den Waffen der Kommunikationsguerilla und sichert sich damit Medienpräsenz.

    ""Wir lassen uns von Marketing und Werbung inspirieren, weil Marketing und Werbung sich von uns inspirieren lassen. Wir versuchen durch unsere Arbeit Slogans zu schaffen, also quasi kulturelle Gene, schlagkräftige Ideen und Bilder, die sich dann auf Demos oder durchs Netz fortpflanzen und verbreiten."

    "No tendrás casa en tu puta vida" – "Du wirst in deinem ganzen verhurten Leben keine Wohnung haben" war so ein eingängiger Slogan, der sich während der Wohnraumproteste epidemieartig verbreitete und auf Tausenden T-Shirts, Plakaten und Transparenten prangte. Dass die damals verwendeten Schablonen-Graffiti in den Signalfarben Schwarz und Gelb auch den Stil der spanischen "Empörten-Bewegung" prägte, ist wohl kein Zufall: Das Büro der Künstlergruppe im Arbeiterviertel Poble Sec ist zur Anlaufstelle für kritische Stimmen jeder Tonlage geworden – und der wöchentliche Tag der offenen Tür zum Projekt-Katalysator. Mitbegründer Leonidas Martín:

    "Als wir vor über einem Jahrzehnt angefangen haben, war die Idee, einen Raum zu schaffen, an dem sich verschiedene Menschen treffen und per Zufall etwas Neues entstehen kann, völlig neuartig. Den Netzwerkgedanken mussten wir immer wieder erklären und theoretisieren. Heute ist das Teil des ganz normalen Alltags."

    Ein Beispiel für diese Art von Kooperation schwillt in der Fabriketage in Barcelona gerade auf Mannshöhe an: ein luftgefüllter Kubus aus silberner Isofolie, gebaut nach einer Idee der Berliner Gruppe Eclectic Electric. Es ist eine der sogenannten Geheimwaffen der Reflektanten, einzusetzen bei akuter Eskalationsgefahr. Beim Generalstreik Ende März titschte das Ding minutenlang zwischen Demonstranten und Polizei hin und her: Beide Parteien verstrickten sich ein absurdes Volleyballspiel.

    Draußen auf dem Hof üben die Reflektanten ihren Demoauftritt. Die Choreografie ist einfach, schließlich soll jeder mitmachen können: drei Hüpfer rechts, drei Hüpfer links, halbe Drehung und zurück.

    Protestieren und dabei Spaß haben, das sei das Motto, sagt Rok. Revolution soll sexy sein – und wenn sie gut dabei aussieht, umso besser.