Signalrot lackiert liegt die Polimnia im Hafen von Almería. Mit dieser Farbe ist sie auf dem Meer von Schiffbrüchigen schon aus der Ferne auszumachen. Doch in letzter Zeit muss das Schiff der staatlichen spanischen Seenotrettung länger im Hafen bleiben, als es Manuel Capa lieb ist. Er ist Sprecher der Gewerkschaft CGT und Teil der Besatzung:
"Vor drei Wochen gab es einen Notruf. Ein Flüchtlingsboot mit 47 bis 49 Personen an Bord wurde vermisst. Aber wir durften nicht ablegen. Die Flugüberwachung suchte nach dem Boot, hat es aber nicht gesehen. Das passiert sehr selten. Das Boot muss noch in marokkanischen Gewässern gewesen sein, aber niemand hat etwas unternommen. Am Ende sind 22 Menschen ertrunken."
Spaniens neue Strategie
Hilfswerke und die Seenotretter auf dem Meer vermuten: der Vorfall könnte mit neuen Anweisungen der spanischen Regierung zur Seenotrettung zusammenhängen. Das Mittelmeer zwischen Spanien und Marokko ist in zwei Rettungszonen aufgeteilt. Bislang suchten die spanischen Aufklärungsflugzeuge nach einem Notruf beide Gebiete ab. Um Zeit zu sparen, legten gleichzeitig auch die Seenotretter mit ihren Schiffen ab.
"So war es bislang. Jetzt hebt erst mal das Flugzeug ab, sucht das Boot. Erst wenn es uns die Position der Flüchtlinge mitgeteilt hat, dürfen wir vom Hafen ablegen. Damit brauchen wir drei Stunden, bis wir vor Ort sind. Damit erhöht sich das Risiko, dass Menschen sterben."
Zudem würden die Seenotretter nicht mehr in die marokkanische Rettungszone hineinfahren. Mit den neuen Richtlinien versucht Spanien offenbar, Flüchtlinge von der Überfahrt abzuschrecken und Marokko stärker als bisher an ihrer Rettung zu beteiligen – auf Druck der Europäischen Union, glauben Seenotretter und Hilfswerke. Paloma Favieres schüttelt darüber den Kopf. Sie ist Anwältin des spanischen Flüchtlingshilfswerks CEAR. "Marokko ist kein sicheres Land für Flüchtlinge", protestiert sie. Aber:
"Marokko hat eine funktionierende Regierung, wir haben da einen Ansprechpartner. Das gibt es in Libyen nicht. Die Frauen, die nach Marokko kommen, haben eine schlimme Geschichte hinter sich. Aber die Flüchtlinge, die über Libyen zu uns gelangen, berichten von grauenhaften Erlebnissen. Das kann man nicht mit Marokko vergleichen. Dennoch werden die Flüchtlinge in Marokko schlimm diskriminiert, es gibt kein Asylrecht."
Marokko stärker einbinden
Die Europäische Union hatte Ende 2018 Hilfen für Marokko in Höhe von 140 Millionen Euro angekündigt, damit es illegale Migrationsströme bekämpfen kann. Spaniens Regierung hat zudem erst vor wenigen Wochen entschieden, Marokko 26 Millionen Euro für Gelände- und Lastwagen zu Verfügung zu stellen. Paloma Favieres sagt dazu:
"Spanien hat das schon vor mehr als zehn Jahren ganz ähnlich mit Mauretanien gemacht, als so viele Menschen in Booten zu den Kanarischen Inseln flüchteten. Jetzt ist die spanische Guardia Civil in Mauretanien vor Ort präsent. Das ist der Klassiker, man verschiebt die eigene Außengrenze in einen Transitstaat, der einem dann hilft, die eigene Grenze zu sichern und einem die schmutzige Arbeit abnimmt."
Die spanische Regierung kommentiert die Änderungen in der Seenotrettung nicht. Manuel Capa reibt sich unterdessen müde die Augen. Letztlich solle er die Leute auf dem Meer nicht mehr wie bislang retten, damit die Überfahrt riskanter werde, ist er überzeugt. So habe Spanien seine Aufgabe aber nie verstanden, protestiert er:
"Jede Zahl ist ein Menschenleben. Das vergessen wir."
"Die Politiker sprechen von Zahlen und Statistiken. Aber jede Zahl ist ein Menschenleben. Das vergessen wir. Nach und nach werden wir immun gegen die Nachrichten: 22 Tote, am nächsten Tag 10. Wir stumpfen ab. Diese ganzen Abwehrmechanismen in der Flüchtlingspolitik sorgen dafür, dass es mehr Tote gibt. Die Politik ist dafür nicht mehr sensibel."
Die Zahl der Flüchtlinge ist unterdessen zurückgegangen: Spanischen Regierungsangaben zufolge kamen im vergangenen Jahr 60.000 Bootsflüchtlinge nach Spanien, 14.000 davon in den ersten sechs Monaten. Im ersten Halbjahr dieses Jahres waren es hingegen nur noch 10.000 Menschen.