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Spannungen mit Russland
Litauen verteilt Ratgeber für den Kriegsfall

Litauen bereitet seine Bürger mit einer Broschüre auf den Ernstfall vor: einen Einmarsch russischer Truppen. Das Land hat wegen der Ukraine-Krise Angst, Russland könnte auch in die einstigen Sowjetrepubliken im Baltikum einmarschieren. In der Broschüre gibt es Ratschläge für Widerstand gegen Besatzer, vor allem aber Tipps fürs Überleben im Krieg.

Von Christoph Heinzle |
    Auf einem Tisch liegen mehrere Stapel Bücher.
    "Was wir wissen müssen" heißt der Ratgeber der litauischen Regierung für einen eventuellen Krieg mit Russland. (AFP / Petra Malukas)
    "Behalten Sie einen klaren Kopf und brechen Sie nicht in Panik aus" - das rät die litauische Regierung ihren Bürgern für den Kriegsfall in einem neuen Ratgeber (PDF zum Download), der seit gestern verteilt wird. Hintergrund ist die Ukraine-Krise und die wachsende Furcht, die einstigen Sowjetrepubliken im Baltikum könnten zum Opfer einer russischen Invasion werden. In der neuen Broschüre gibt es für diesen Fall Ratschläge für Widerstand gegen Besatzer, vor allem aber Tipps für's Überleben im Krieg.
    "Für alle, die keine Ahnung haben, ist der neue Ratgeber schon hilfreich", meint Vytautas, "doch wer sich auskennt, der braucht das nicht". Und Vytautas kennt sich aus. Der Litauer kauft gerade in der Hauptstadt Vilnius ein, wohnt aber auf dem Land. Dort wäre es bei einem Kriegsausbruch sicherer, sagt er, und es gebe genug zum Überleben:
    "Ein bisschen Vorrat habe ich schon bei mir auf dem Hof: zwei Hühner und Getreide. Ich weiß mir zu helfen, schließlich war ich bei der Sowjetarmee. Putin ist wirklich unberechenbar – man weiß nie, was er plötzlich tun wird."
    Am besten aufs Land fliehen
    Doch Schüsse direkt vor dem Fenster bedeuteten nicht das Ende der Welt, heißt es in dem Ratgeber der Regierung. Erst wenn Soldaten rundherum Stellungen beziehen, müsse man fliehen - am besten zu Freunden oder Familie aufs Land, das weiß auch diese Litauerin:
    "Ich müsste dann mit meinem Mann und den Kindern raus aus der Stadt. Denn die Städte werden zuerst besetzt, das haben wir aus der Geschichte gelernt. Ich halte Krieg zwar derzeit für wenig wahrscheinlich, aber man muss trotzdem darauf vorbereitet sein."
    Zur Vorbereitung hat das Verteidigungsministerium die 98-seitige Broschüre aufgelegt, die derzeit zunächst in Schulen und Bibliotheken verteilt wird. Misstrauisch verfolgen viele Litauer den Konflikt in der Ukraine – und so mancher fürchtet, das Baltikum könnte als nächstes dran sein. Russland sei "kein netter Nachbar", sagte Litauens Verteidigungsminister und ließ sich vom verantwortlichen Redakteur Karolis Aleksa ein Handbuch für den Ernstfall schreiben:
    Wie man sich wehren kann
    "Wir geben der Bevölkerung praktische Ratschläge, wie man seinen Wohnort verlassen kann, wenn der Feind ihn besetzt hat. Und: was man tut, wenn die Flucht nicht gelingt, um zu überleben. Es geht aber auch darum, wie man sich wehren kann und wie man Widerstand leistet."
    Von Cyber-Attacken gegen den Feind ist in dem Handbuch die Rede, von Demonstrationen und Streiks.
    Reine "Panikmache", meint der staatliche Moskauer Fernsehsender "Russia Today" und lässt den Außenpolitikexperten Srdja Trifkovic zu Wort kommen.
    "Viele Leute nähren die Angst vor Russland. Sie nutzen gerne jedes Ereignis aus, um auf die angeblichen Absichten Russlands hinzuweisen, damit sie so ihre eigene politische Macht weiter rechtfertigen können."
    "Invasion ist nicht sehr wahrscheinlich"
    Von einer veränderten geopolitischen Lage spricht dagegen Arturas Paulauskas, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im litauischen Parlament. Mit Aufrüstung und Militärmanövern wolle Russland Macht demonstrieren:
    "Eine Invasion ist nicht sehr wahrscheinlich. Aber jetzt schon gibt es einen Informationskrieg. Der Plan, alle russisch sprechenden Bewohner des Baltikums zu vereinen, ist keine Theorie, sondern Realität. Es wird alles unternommen, was möglich ist, ohne Soldaten einmarschieren zu lassen. Das spüren wir hautnah."
    Die Broschüre gibt detaillierte Tipps: Für Kontrollen an Checkpoints des Feindes sollte man immer zwei Rucksäcke dabei haben, falls man einen abgenommen bekommt. Und: wertvolle Tauschware mitnehmen, etwa Zigaretten, Schnaps oder Streichhölzer.
    Doch nicht alle Litauer können mit solchen Ratschlägen etwas anfangen:
    "Wenn Krieg ausbricht, braucht man das alles nicht mehr. Dann wird unser Atomkraftwerk bombardiert und unser Gaslager. Und dann bleibt von Litauen nichts mehr übrig. Der Ratgeber wäre nur noch eine Sammlung von Anekdoten."