Ein Priester liebt einen jungen Mann. Eine Äbtissin verliebt sich in eine sechzehnjährige Nonne. Ist das der Skandal, den die Berlinale braucht? Man könnte denken, sie habe ihr Thema gefunden – zumindest in der Wettbewerbssektion des Festivals. Denn gleich zwei Filme über Katholizismus und Homosexualität, das muss doch so etwas wie ein Trend sein. Hält die Berlinale der Kirche den Sittenspiegel vor? Malgoska Szumowska hat "W Imie" gedreht, "In the Name of", den polnischen Berlinale-Beitrag über den schwulen Priester Adam. Malgoska Szumowska:
"Ich wollte einen Film über das Verlangen nach Liebe drehen, über die Einsamkeit, weil ich mir kaum jemanden vorstellen kann, der einsamer ist als ein Priester. Liebe, die Beziehung zwischen zwei Menschen, ist ihm verboten. Die Erfahrung solcher Einsamkeit muss schrecklich und düster sein. Viele Priester haben mir gesagt, dass es sehr hart ist."
Tatsächlich hat es Szumowskas Adam nicht gerade leicht. In einem Dorf irgendwo in Polen kümmert er sich um eine Gruppe von Problemjugendlichen aus der Großstadt. Adam hat sich erst vor ein paar Monaten hierher versetzen lassen – aus Angst vor seinen sexuellen Neigungen; er kennt seine Bedürfnisse, seine Schwächen. Es kommt, wie es kommen muss. Denn da ist dieser junge Mann mit dem besonderen Blick, siebzehn mag er sein, vielleicht achtzehn.
Ist Adam wirklich schwul? Zumindest liebt er diesen Burschen, und es ist eine verbotene Liebe. So einsam Adam lebt, so sehr lieben ihn die Dorfbewohner für seine Energie, seine Ehrlichkeit, seine zupackende Art. Und dafür, wie er von Gott spricht, dem unberührten, freien Punkt in jedem Menschen. Erste Gerüchte kommen auf, als sich einer der Jugendlichen das Leben nimmt. Das Dorf stellt sich gegen Adam. Hat auch er Schuld am Tod dieses Jungen? "In the Name of" ist keine Anklage gegen den Missbrauch von Jugendlichen durch Kleriker; das wäre Malgoska Szumowska zu einfach gewesen.
"Ich fand das zu offensichtlich. Ich bin ja aus Polen, und Polen ist ein katholisches Land. Das klingt vielleicht paradox, weil sicher von mir erwartet wird, dass ich einen starken, meinungsstarken Film zu dem Thema mache. Aber das fand ich zu direkt. Mir ging es darum, meine Figuren zu lieben."
Und Szumowska liebt ihre Figuren wirklich. Das macht ihren Film zu einem Kinoereignis. Andrzej Chyra spielt den Adam als lebendigen, äußerst charismatischen Seelsorger. Zugleich markiert er die Risse im Selbstbild dieses Mannes, er lässt erkennen, wie die Sehnsucht in Adam Raum greift, wie nah er auch dann Gott ist – und wie fremd ihm die Kirche wird. Betrunken schwankt Adam durch seine Wohnung, ein Gemälde des Papstes ersetzt ihm die Tanzpartnerin.
"Es ist halt möglich, dass sich eine Frau in eine andere verliebt. Diese Liebe wollte ich nicht einseitig sehen, etwa als rein sexuelle oder perverse. Sondern ich wollte eine wirkliche Liebe zulassen. Das ist schöner – aber auch beunruhigender. Denn wenn es nicht um Perversion geht, ist die Liebe viel mysteriöser. Und dieses Mysterium speist sich aus der Anmut der Suzanne."
Grazie, Anmut, Geheimnis: Es klingt sehr schön, wenn Guillaume Nicloux von der Liebe in seinem Film spricht. Dabei zeigt der französische Regisseur im Berlinale-Wettbewerb alles andere als Klosterkitsch. Denn die Vorlage zu "La Religieuse"/"Die Nonne" stammt vom Aufklärer Denis Diderot persönlich. Und der nahm schon vor 250 Jahren kein Blatt vor den Mund, wenn er Mutter Kirche die Meinung sagte. Seine Suzanne Simonin ist noch keine 17, da verliert sie ihre Freiheit: Ihre Eltern können sich eine Hochzeit der jüngsten Tochter nicht leisten, also muss das Kind ins Kloster – gegen seinen Willen. Guillaume Nicloux zeigt, was Diderot beschreibt: Willkür, sadistische Erniedrigungen und sexuelle Zudringlichkeiten machen der jungen Frau das Leben zur Hölle.
In Frankreichs katholischer Kirche könnte Diderots Stoff für einige Unruhe sorgen: 1966, als Jacques Rivette seinen Film zum Roman herausbrachte, wurde das Werk verboten, Rivette ging zu hart mit dem Klerus um. Dabei war sein Film geradezu zahm, misst man ihn an der Vorlage. Will Nicloux die Kirche provozieren?
"Ich denke eben nicht, dass Diderot gegen die Kirche war, er war nur gegen den Missbrauch der Religion. Und Suzanne Simonin will nur eines: Sie will weiter an Gott glauben – aber auf ihre eigene Art und Weise. Sie will ihren Glauben, ihre Liebe zu Gott leben –außerhalb eines Klosters. Und sie will nicht gezwungen werden, fremdbestimmt zu leben."
Wie Szumowska so liebt auch Nicloux seine Figuren. Deshalb auch liebt Isabelle Huppert als Oberin des Klosters Saint Eutrope die junge Suzanne wirklich. Anders als bei Diderot geht es hier nicht um Sex und Macht, sondern um Hingabe. Die junge Pauline Étienne gibt der Rebellin Suzanne viele Facetten: Gerechtigkeitssinn und Selbstbewusstsein, Stolz und Sanftmut, Glaubenskraft und Zweifel. Als Kind war auch Guillaume Nicloux religiös. Inzwischen ist die Religion für ihn zumindest kein Gegner mehr. Weder mit Christen noch mit Muslimen oder Juden sucht er Streit. Doch er kann es nicht ertragen, wie Religion immer wieder benutzt wird:
"Das Problem der Religion beginnt, wenn einer jungen Frau das Recht auf Abtreibung verwehrt wird, wenn einer Frau, die sich von ihrem Mann scheiden lassen will, die Ohren und die Nase abgeschnitten werden, wenn, wie in Kairo, Frauen vergewaltigt werden, die für ihre Rechte auf die Straße gehen. Wenn die Religion als Vorwand missbraucht wird, einem anderen seine Rechte, seine Freiheit zu beschneiden."
So sind die beiden Religionsfilme im Wettbewerb der Berlinale alles andere als ideologische Kampf-Produkte. Das kirchliche Milieu dient ihnen nicht als Feind, sondern als ein sozialer Rahmen – und als großartiges Spannungsfeld. Bei beiden Regisseuren bestimmt das Religiöse nicht nur den Plot des Films. In den malerisch angelegten Bildern der Malgoska Szumowska leuchten biblische Motive auf wie eine ferne Erinnerung: das Letzte Abendmahl, die Kreuzigung, der Leichnam Jesu. Und wenn Guillaume Nicloux die Geschichte der Suzanne Simonin in den Klöstern Maulbronn und Bronnbach zum Leben erweckt, wird deutlich, welche Freude es ihm gemacht hat, seinen Film über das Eingeschlossensein in diesen rituell verschlossenen Räumen zu drehen. Das Schöne ist, dass beide, Nicloux und Szumowska, nicht dabei stehenbleiben. Beide Filme fordern eine bessere Welt. Und das ist durchaus politisch gemeint. Szumowska:
"Es ist allerdings zu erwarten, dass der Film die Konservativen unangenehm berühren wird, sie werden ihn wohl nicht gerade lieben. Aber es könnte gut sein, dass sich einige Priester in der Geschichte wiederfinden."
Und wie kommt man dahin, dass sich etwas ändert? So viel ist sicher: Der Katholizismus taugt für gute Geschichten, immer noch und immer wieder. Man muss sie nur zu erzählen wissen. Manchmal gehört dazu auch ein Sinn für die List des Ästhetischen, weiß Guillaume Nicloux:
"Es geht darum, mit größerem Ernst zu lügen. Man muss versuchen, der Wahrheit mit dem Einsatz der Lüge näherzukommen."
Alle Beiträge zur Berlinale 2013 im Sammelportal von dradio.de im Überlick
"Ich wollte einen Film über das Verlangen nach Liebe drehen, über die Einsamkeit, weil ich mir kaum jemanden vorstellen kann, der einsamer ist als ein Priester. Liebe, die Beziehung zwischen zwei Menschen, ist ihm verboten. Die Erfahrung solcher Einsamkeit muss schrecklich und düster sein. Viele Priester haben mir gesagt, dass es sehr hart ist."
Tatsächlich hat es Szumowskas Adam nicht gerade leicht. In einem Dorf irgendwo in Polen kümmert er sich um eine Gruppe von Problemjugendlichen aus der Großstadt. Adam hat sich erst vor ein paar Monaten hierher versetzen lassen – aus Angst vor seinen sexuellen Neigungen; er kennt seine Bedürfnisse, seine Schwächen. Es kommt, wie es kommen muss. Denn da ist dieser junge Mann mit dem besonderen Blick, siebzehn mag er sein, vielleicht achtzehn.
Ist Adam wirklich schwul? Zumindest liebt er diesen Burschen, und es ist eine verbotene Liebe. So einsam Adam lebt, so sehr lieben ihn die Dorfbewohner für seine Energie, seine Ehrlichkeit, seine zupackende Art. Und dafür, wie er von Gott spricht, dem unberührten, freien Punkt in jedem Menschen. Erste Gerüchte kommen auf, als sich einer der Jugendlichen das Leben nimmt. Das Dorf stellt sich gegen Adam. Hat auch er Schuld am Tod dieses Jungen? "In the Name of" ist keine Anklage gegen den Missbrauch von Jugendlichen durch Kleriker; das wäre Malgoska Szumowska zu einfach gewesen.
"Ich fand das zu offensichtlich. Ich bin ja aus Polen, und Polen ist ein katholisches Land. Das klingt vielleicht paradox, weil sicher von mir erwartet wird, dass ich einen starken, meinungsstarken Film zu dem Thema mache. Aber das fand ich zu direkt. Mir ging es darum, meine Figuren zu lieben."
Und Szumowska liebt ihre Figuren wirklich. Das macht ihren Film zu einem Kinoereignis. Andrzej Chyra spielt den Adam als lebendigen, äußerst charismatischen Seelsorger. Zugleich markiert er die Risse im Selbstbild dieses Mannes, er lässt erkennen, wie die Sehnsucht in Adam Raum greift, wie nah er auch dann Gott ist – und wie fremd ihm die Kirche wird. Betrunken schwankt Adam durch seine Wohnung, ein Gemälde des Papstes ersetzt ihm die Tanzpartnerin.
"Es ist halt möglich, dass sich eine Frau in eine andere verliebt. Diese Liebe wollte ich nicht einseitig sehen, etwa als rein sexuelle oder perverse. Sondern ich wollte eine wirkliche Liebe zulassen. Das ist schöner – aber auch beunruhigender. Denn wenn es nicht um Perversion geht, ist die Liebe viel mysteriöser. Und dieses Mysterium speist sich aus der Anmut der Suzanne."
Grazie, Anmut, Geheimnis: Es klingt sehr schön, wenn Guillaume Nicloux von der Liebe in seinem Film spricht. Dabei zeigt der französische Regisseur im Berlinale-Wettbewerb alles andere als Klosterkitsch. Denn die Vorlage zu "La Religieuse"/"Die Nonne" stammt vom Aufklärer Denis Diderot persönlich. Und der nahm schon vor 250 Jahren kein Blatt vor den Mund, wenn er Mutter Kirche die Meinung sagte. Seine Suzanne Simonin ist noch keine 17, da verliert sie ihre Freiheit: Ihre Eltern können sich eine Hochzeit der jüngsten Tochter nicht leisten, also muss das Kind ins Kloster – gegen seinen Willen. Guillaume Nicloux zeigt, was Diderot beschreibt: Willkür, sadistische Erniedrigungen und sexuelle Zudringlichkeiten machen der jungen Frau das Leben zur Hölle.
In Frankreichs katholischer Kirche könnte Diderots Stoff für einige Unruhe sorgen: 1966, als Jacques Rivette seinen Film zum Roman herausbrachte, wurde das Werk verboten, Rivette ging zu hart mit dem Klerus um. Dabei war sein Film geradezu zahm, misst man ihn an der Vorlage. Will Nicloux die Kirche provozieren?
"Ich denke eben nicht, dass Diderot gegen die Kirche war, er war nur gegen den Missbrauch der Religion. Und Suzanne Simonin will nur eines: Sie will weiter an Gott glauben – aber auf ihre eigene Art und Weise. Sie will ihren Glauben, ihre Liebe zu Gott leben –außerhalb eines Klosters. Und sie will nicht gezwungen werden, fremdbestimmt zu leben."
Wie Szumowska so liebt auch Nicloux seine Figuren. Deshalb auch liebt Isabelle Huppert als Oberin des Klosters Saint Eutrope die junge Suzanne wirklich. Anders als bei Diderot geht es hier nicht um Sex und Macht, sondern um Hingabe. Die junge Pauline Étienne gibt der Rebellin Suzanne viele Facetten: Gerechtigkeitssinn und Selbstbewusstsein, Stolz und Sanftmut, Glaubenskraft und Zweifel. Als Kind war auch Guillaume Nicloux religiös. Inzwischen ist die Religion für ihn zumindest kein Gegner mehr. Weder mit Christen noch mit Muslimen oder Juden sucht er Streit. Doch er kann es nicht ertragen, wie Religion immer wieder benutzt wird:
"Das Problem der Religion beginnt, wenn einer jungen Frau das Recht auf Abtreibung verwehrt wird, wenn einer Frau, die sich von ihrem Mann scheiden lassen will, die Ohren und die Nase abgeschnitten werden, wenn, wie in Kairo, Frauen vergewaltigt werden, die für ihre Rechte auf die Straße gehen. Wenn die Religion als Vorwand missbraucht wird, einem anderen seine Rechte, seine Freiheit zu beschneiden."
So sind die beiden Religionsfilme im Wettbewerb der Berlinale alles andere als ideologische Kampf-Produkte. Das kirchliche Milieu dient ihnen nicht als Feind, sondern als ein sozialer Rahmen – und als großartiges Spannungsfeld. Bei beiden Regisseuren bestimmt das Religiöse nicht nur den Plot des Films. In den malerisch angelegten Bildern der Malgoska Szumowska leuchten biblische Motive auf wie eine ferne Erinnerung: das Letzte Abendmahl, die Kreuzigung, der Leichnam Jesu. Und wenn Guillaume Nicloux die Geschichte der Suzanne Simonin in den Klöstern Maulbronn und Bronnbach zum Leben erweckt, wird deutlich, welche Freude es ihm gemacht hat, seinen Film über das Eingeschlossensein in diesen rituell verschlossenen Räumen zu drehen. Das Schöne ist, dass beide, Nicloux und Szumowska, nicht dabei stehenbleiben. Beide Filme fordern eine bessere Welt. Und das ist durchaus politisch gemeint. Szumowska:
"Es ist allerdings zu erwarten, dass der Film die Konservativen unangenehm berühren wird, sie werden ihn wohl nicht gerade lieben. Aber es könnte gut sein, dass sich einige Priester in der Geschichte wiederfinden."
Und wie kommt man dahin, dass sich etwas ändert? So viel ist sicher: Der Katholizismus taugt für gute Geschichten, immer noch und immer wieder. Man muss sie nur zu erzählen wissen. Manchmal gehört dazu auch ein Sinn für die List des Ästhetischen, weiß Guillaume Nicloux:
"Es geht darum, mit größerem Ernst zu lügen. Man muss versuchen, der Wahrheit mit dem Einsatz der Lüge näherzukommen."
Alle Beiträge zur Berlinale 2013 im Sammelportal von dradio.de im Überlick