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"Sparen alleine macht Griechenland kaputt"

Könnte dem hochverschuldeten Griechenland ein Marshall-Plan helfen? Nein, sagt der Finanzwissenschaftler Matthias Kullas vom Centrum für Europäische Politik. Es gehe nicht um den Wiederaufbau eines Landes - es müssten funktionierende Strukturen geschaffen werden. Das Geld müsse von privater Seite kommen.

Matthias Kullas im Gespräch mit Dirk Müller | 15.02.2012
    Dirk Müller: Haben die Griechen jetzt ihre Wochenhausaufgaben gemacht, oder nicht? Heute, am Mittwoch, geht der Daumen dafür eher nach unten. Vorgestern, am Montag, sahen die Interpretationen noch ganz anders aus: Erleichterung europaweit, sogar weltweit auf den Finanzplätzen über das Ja aus Athen zum nächsten milliardenschweren Sparpaket. Nun kommt heraus, dass immer noch 300 Millionen fehlen, dass der Widerstand dagegen immer größer wird. Die Euro-Finanzminister haben entschieden, nicht zu entscheiden, obwohl diese Entscheidung für das neue Rettungspaket heute auf der Tagesordnung in Brüssel stand. Ist es vor allem Berlin, das in dieser Situation darauf drängt, doch kein grünes Licht zu geben für die nächste Griechenland-Tranche? Wolfgang Schäuble, Angela Merkel, Philipp Rösler, sie alle werden kritischer mit Blick auf die Möglichkeit, selbst mit größter finanzieller Anstrengung Griechenland noch zu retten. Ist eine Staatspleite zu verhindern oder wäre dies sogar die bessere Lösung? Bei uns am Telefon ist nun der Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Matthias Kullas vom Centrum für Europäische Politik. Guten Tag nach Freiburg.

    Matthias Kullas: Hallo!

    Müller: Herr Kullas, sparen wir Griechenland kaputt?

    Kullas: Sparen wir Griechenland kaputt? – Jein, muss man sagen. Was richtig ist, das Sparen alleine macht Griechenland kaputt. Was Griechenland braucht ist eine wettbewerbsfähige Wirtschaft, einen Aufbau einer funktionsfähigen Verwaltung und es muss einfach Wachstumspotenziale freisetzen. Sparen alleine reicht mit Sicherheit nicht und ich finde, dass der Schwerpunkt gegenwärtig zu stark auf dem Sparen liegt und zu wenig auf den realwirtschaftlichen Reformen.

    Müller: Das wollte ich Sie gerade fragen, Herr Kullas. Wenn wir das oder viele das richtig verstehen, dann geht es ja um nichts anderes als ums Sparen.

    Kullas: Ja. Das ist meiner Meinung nach ein sehr einseitiger Blick auf diese Krise. Wir haben keine Schuldenkrise hier in Europa, wir haben eine sogenannte Zahlungsbilanzkrise. Wir haben das Problem, dass einige Staaten, die südeuropäischen Staaten an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben und die müssen sie wieder gewinnen und dann wird das Problem gelöst. Das Schuldenproblem ist meines Erachtens das kleinere Problem von beiden.

    Müller: Aber wer nicht wettbewerbsfähig ist, kann seine Schulden nicht bedienen und hat damit ein Schuldenproblem.

    Kullas: Das ist richtig, aber das ist eine Folge davon – genau. Die Ursache ist aber die Wettbewerbsfähigkeit.

    Müller: Und wie kann die hergestellt werden?

    Kullas: Das ist das Problem, wo wir ganz am Anfang stehen, das anzugehen. In Griechenland erstmal ein Aufbau einer funktionsfähigen Verwaltung, eines Staatsapparates, der funktioniert, Bekämpfung der Korruption, die Liberalisierung des Arbeitsmarktes, Öffnung der geschlossenen Berufe, das sind ganz zentrale Punkte, die in Griechenland angegangen werden müssen, sehr, sehr dringend.

    Müller: Dringend angegangen werden müssen diese Probleme, sagen Sie. Aber die meisten denken jetzt, was Sie jetzt gerade auch geschildert haben, dauert 5, 10, 15 Jahre, wenn es überhaupt jemals klappt.

    Kullas: Genau. Ich sehe das auch so, dass wir vor einer sehr, sehr langen Periode stehen und die Frage ist, wenn es überhaupt mal klappt. Ich zweifele auch daran, dass es endgültig klappen wird. Das heißt, es wird immer einen Unterschied geben zwischen Deutschland und Griechenland, und der muss dann, wenn der Euro dauerhaft Bestand haben soll, muss der durch Transfers ausgeglichen werden.

    Müller: Also ist das jetzt eine Krisenlösung, die nicht zur Lösung der Krise führt?

    Kullas: Die gegenwärtige… Sie meinen das zweite Rettungspaket?

    Müller: Zum Beispiel.

    Kullas: Das zweite Rettungspaket – es hat ja auch realwirtschaftliche Reformen, die sind ja auch darin vorgeschlagen, aber meines Erachtens in viel zu geringem Ausmaß und zu einseitig, und ich denke, das Rettungspaket, was wir gegenwärtig haben, wird Griechenland nicht retten.

    Müller: Jetzt müssen ja die Finanzminister handeln, und zwar jetzt, also in diesen Tagen, in diesen Wochen, auch wenn das heute wieder in Brüssel verschoben worden ist, eine Entscheidung. Und die Finanzmärkte müssen reagieren und handeln damit ja auch. Was kann man denn aus Ihrer Sicht, wenn Sie Finanzminister wären, was kann man tun?

    Kullas: Was ich machen würde, ich würde viel, viel stärker die realwirtschaftlichen Reformen vorne anstellen als Bedingung und die Einsparungen würde ich viel geringer gewichten. Das ist das einzige, was man machen kann. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich verstehe ja die Finanzminister, dass sie Angst haben vor einer Pleite Griechenlands. Das würde ich auch nicht riskieren wollen. Von daher muss man da irgendwie Forderungen stellen. Aber gleichzeitig ist natürlich klar, dass die Forderungen nicht durchgesetzt werden oder nicht durchgesetzt werden sollen, denn das würde ja bedeuten, dass Griechenland Pleite geht.

    Müller: Realwirtschaftliche Reformen wollen Sie in den Vordergrund stellen. Auf der anderen Seite müssen ja auch die Schulden bedient werden. Griechenland ist bald pleite, wenn nicht Geld von der Europäischen Union kommt. Das heißt, Sie würden schon das Geld geben und gegebenenfalls noch mehr Geld, um beispielsweise Investitionen anzukurbeln?

    Kullas: Nein. Ich denke nicht, dass es Investitionen sind, die von staatlicher Seite kommen sollten. Ich denke, das muss von privater Seite kommen. Das müssen Unternehmen sein, die bereit sind, einfach in Griechenland zu investieren, weil die Rahmenbedingungen entsprechend sind. Das muss auch aus der griechischen Bevölkerung selber kommen, dass die bereit sind, ihren Lebensstandard zurückzuschrauben und weniger zu konsumieren, mehr zu investieren. Das ist keinesfalls ein Aufruf, jetzt von europäischer Seite da große Investitionsprogramme zu fahren.

    Müller: Demnach halten Sie die Rufe, die Forderungen, die ja auch aus Teilen der deutschen Opposition kommen, von den Grünen, den Sozialdemokraten, die von einem Marshall-Plan sprechen – Jürgen Trittin hat das am Montagmorgen auch hier im Deutschlandfunk getan -, Marshall-Plan für Griechenland, für Sie alles für Unsinn?

    Kullas: Man darf die Situation Griechenlands nicht mit der in Deutschland vergleichen nach dem Zweiten Weltkrieg. In Deutschland ging es um den Wiederaufbau einer Wirtschaft eines Staates, in Griechenland muss der erst mal neu aufgebaut werden. Das ist ein riesiger Unterschied. Wir hatten hier Humankapital, wir hatten vorher funktionierende Strukturen, und die gibt es in Griechenland alles nicht, das muss alles neu geschaffen werden. Von daher finde ich, das Wort Marshall-Plan trifft es in dem Fall nicht.

    Müller: Wie wäre es, wenn Griechenland sich vom Euro verabschiedet?

    Kullas: Das, glaube ich, wäre für Griechenland eigentlich der gesündere Weg, und zwar aus zwei Gründen. Nummer 1: es kann abwerten und es kann endlich wieder mit Ländern, mit seinen Nachbarn Türkei, Bulgarien, wieder auf Augenhöhe im Wettbewerb stehen. Und zum anderen ist die Hoffnung, dass dann auch aus der Bevölkerung die notwendige Reformbereitschaft kommt, dass dann die Notwendigkeit einfach so deutlich zu Tage tritt, dass einfach die Menschen viel stärker bereit sind, auf Besitzstände zu verzichten.

    Müller: Austritt aus dem Euro-Raum – wäre das nicht ein Menetekel für den Euro als Projekt?

    Kullas: Es ist eine riskante Sache. Ich glaube auch, dass das nicht für die anderen Euro-Länder die sinnvollere Alternative ist. Ich glaube aber, dass es für Griechenland besser ist. Für die anderen Euro-Länder, insbesondere für Deutschland, die ja gerade mit enormen Summen haften, kann das eine ganz, ganz teure Angelegenheit werden, und es ist ein Prozess – das muss man auch ganz klar sagen -, den gab es bisher nicht und da weiß man nicht, was auf einen zukommt. Die Risiken sind sehr, sehr groß.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Matthias Kullas vom Centrum für Europäische Politik. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Kullas: Dankeschön!

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