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"Sparer gibt es zu viele"

Die jüngste Zinssenkung der Europäische Zentralbank ist nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Heiner Flassbeck ein weiteres Signal an den Staat, sich stärker zu verschulden. Deutschland müsse mehr investieren, seine Binnennachfrage anregen und "ordentlich Geld ausgeben", so Flassbeck.

Heiner Flassbeck im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Die gute Nachricht der Steuerschätzer ist: Der Staat wird in den nächsten Jahren wohl noch etwas mehr einnehmen, als ohnehin gedacht: insgesamt etwa 14 Milliarden Euro. Die schlechte Nachricht allerdings - darüber werden sich vor allem Länder und Gemeinden freuen können: Beim Bund dürften davon nur etwa 1,6 Milliarden ankommen. Schon warnt der amtierende Finanzminister Wolfgang Schäuble vor überzogenen Ausgabenwünschen, schon bläuen Kanzlerin Merkel und CSU-Chef Seehofer den ihren ein, maßzuhalten, Prioritäten zu setzen. - Am Telefon ist der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck. Wir kennen ihn als Chefvolkswirt der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung. Das war er viele Jahre. Guten Morgen am Telefon!

    Heiner Flassbeck: Guten Morgen!

    Barenberg: Heiner Flassbeck, höhere Renten, mehr Kindergeld, mehr Geld für bessere Straßen und Brücken, Ausbau von Breitbandinternet - ich nenne nur mal einige Punkte, auf die sich Union und SPD ja schon zu verständigt haben glaubten. Die Pläne addieren sich auf sehr viel Geld. Ist jetzt schon klar, dass von dieser teueren Wunschliste am Ende nicht mehr viel übrig bleiben wird?

    Flassbeck: Na ja, das kommt darauf an, wie man die Gesamtlage einschätzt, und die Gesamtlage ist so, dass Deutschland ja nicht in einem boomenden Aufschwung lebt, sondern eine relative Stagnation seiner wirtschaftlichen Entwicklung erlebt und wir in einem Europa leben, das darf man nicht vergessen, das in einer Depression ist. Nehmen Sie nur gestern die Zinssenkung der Zentralbank; die zeigt ja, wie verzweifelt die Lage für Europa insgesamt ist. In dieser Situation ist Geldausgeben schon sehr sinnvoll, und der Staat kann sich da auch nicht raushalten, sondern die null Zinsen der Zentralbank bedeuten ja, dass es keine Schuldner gibt, zu wenige Schuldner gibt auf dieser Welt und in Europa. Da kann der Staat nicht sagen, nein, auf Teufel komm raus, wir geben jetzt kein Geld aus. Das ist sehr sinnvoll und das ist auch für die Zukunft, für die zukünftigen Generationen, um das auch klar zu sagen, absolut sinnvoll, jetzt zu investieren und nicht auf Teufel komm raus zu sparen, denn Sparer gibt es zu viele.

    Barenberg: Das heißt, Herr Flassbeck, Ihre Empfehlung wäre, jetzt ordentlich Schulden machen und ordentlich die Beiträge zu erhöhen, möglicherweise auch die Steuern?

    Flassbeck: Nein. Die Steuern zu erhöhen, ist ja auch in einer wirtschaftlich schlechten Situation nicht so sinnvoll. Steuererhöhungen sind sinnvoll aus verteilungspolitischen Gründen und aus vielen anderen Gründen, aber es ist jetzt in dieser Situation in der Tat geboten, dass Deutschland seine Binnennachfrage anregt. Das muss die oberste Priorität sein. Wir haben ja auch den Warnschuss der Amerikaner gerade gehört, die gesagt haben, so geht es nicht weiter, Deutschland kann nicht nur vom Export leben, und für Europa gilt das genau in dem gleichen Maße und für den Rest der Welt auch. Wir haben überall auf der Welt null Zinsen und wir müssen dieses Signal einfach mal zur Kenntnis nehmen. Dieses Signal heißt, irgendjemand muss sich verschulden. Nun sage ich nicht - Sie haben das schöne Wort "ordentlich" verwendet -, dass der Staat ordentlich Geld ausgeben muss. Ich sage, irgendjemand muss sich zunächst verschulden. Wir können die deutschen Unternehmen dazu bringen, sich zu verschulden. Das ist eigentlich der natürliche Schuldner in einer Marktwirtschaft. Aber die sparen auch. Und wenn alle sparen, dann geht das einfach nicht, und wir können nicht nur das Ausland immer nur als Schuldner benutzen, sondern dann muss der Staat im Zweifel auch einen Teil der Schulden machen, damit überhaupt gespart werden kann. Es kann ja nur gespart werden, wenn einer Schulden macht, und deswegen können wir nicht alle sparen. Diese einfache Einsicht, diese gesamtwirtschaftliche Buchhaltung müssen wir langsam mal begreifen. Sonst wird das sowieso nichts mit der deutschen Wirtschaftspolitik. Wir diskutieren immer, als seien wir völlig losgelöst vom Rest der Welt. Das sind wir aber nicht.

    Barenberg: Das ist das ganz große volkswirtschaftliche Bild, Herr Flassbeck?

    Flassbeck: Ja.

    Barenberg: Lassen sie uns vielleicht noch mal gucken auf ein paar Punkte, die da jetzt zur Rede stehen. Ich sage es noch mal: höhere Renten - da ist ja einiges zusammengekommen, das summiert sich auf viele Milliarden Euro, die da schon verplant werden -, höheres Kindergeld, Investitionen für Infrastruktur, mehr Breitband. Sind das alles Punkte, wo Sie sagen würden, das sind sehr sinnvolle Maßnahmen, unabhängig davon, wie wir das jetzt bezahlen können?

    Flassbeck: Investitionen in Bildung, Infrastruktur, in ökologische Vorsorge sind alle absolut notwendig und sinnvoll, und eine Volkswirtschaft, der es noch - die Betonung liegt auf noch - relativ gut geht, sollte sich genau in diesen Bereichen jetzt massiv engagieren und etwas für die Zukunft tun. Ich sage bewusst noch mal: Etwas für die Zukunft tun, heißt heute, die Ersparnisse der Menschen aufgreifen und sie sinnvoll investieren. Bisher sind unsere Ersparnisse immer nur ins Ausland geflossen, das kann nicht so weitergehen. Was im Einzelnen jetzt die Regierung entscheidet, muss die Regierung entscheiden, welche Maßnahmen sinnvoll sind. Aber wir dürfen das gesamtwirtschaftliche Bild nicht aus dem Auge verlieren. Ich glaube, dass man im Bereich ökologische Vorsorge, im Bereich auch Infrastruktur generell, Verkehrsinfrastruktur, aber vor allem auch Bildung, dass man da in der Tat in Deutschland noch einen großen Nachholbedarf hat, und jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt, um den zu decken, oder jedenfalls das anzugehen, die Deckung dieses Nachholbedarfs anzugehen.

    Barenberg: Weil die Einnahmen absehbar jedenfalls dafür nicht ausreichen, läuft es darauf ...

    Flassbeck: Das ist ja genau der Punkt! Die Einnahmen reichen nicht aus, heißt ja, dass der Staat in der Tat einige dieser Ersparnisse, die am Kapitalmarkt herumliegen und nicht wissen wohin und nur in Kasinogeschäfte gehen, aufnimmt und investiert. Das ist doch absolut sinnvoll.

    Barenberg: Das heißt, noch Schulden machen?

    Flassbeck: Ja sicher, Schulden machen. Um es noch mal deutlich zu sagen: In diesem Jahr in Deutschland werden 180 Milliarden gespart, zusätzlich gespart zu alten Ersparnissen, die es schon gibt. 180 Milliarden! Die müssen ja irgendwo hingehen. Da kann doch nicht der Staat sagen, da habe ich jetzt nichts mit zu tun, ich mach jetzt auch keine Schulden, ich spare auch. Ja, wer soll den diese Ersparnisse nehmen? Wenn diese Ersparnisse nicht aufgenommen werden, dann bricht die deutsche Wirtschaft zusammen. Das hat bisher das Ausland gemacht, nur ist das Ausland müde des Schuldenmachens. Da können wir doch nicht sagen, jetzt haben wir da aber nichts mit zu tun, sondern wir machen weiter unser Wirtschaftsmodell. Nein, dieses Wirtschaftsmodell fährt gerade gegen die Wand. Wir müssen begreifen, dass andere Schulden machen müssen, und das sind die deutschen Unternehmen vor allem, aber das muss am Ende auch der Staat sein, ja.

    Barenberg: Ein paar Schulden haben wir ja schon, Herr Flassbeck. Die Rückzahlung von Schulden, das ist dann nicht mehr so wichtig für die Zukunft?

    Flassbeck: Aber sehen Sie: Wenn 180 Milliarden neue Ersparnisse auf den Markt kommen, dann müssen die ja erst mal verwendet werden. Dann kann ich doch nicht sagen, jetzt zahlen wir Schulden zurück. Das ist ja dann noch mal mehr Ersparnis, dann haben wir 200 Milliarden. Die müssen untergebracht werden. Wenn die nicht untergebracht werden, bricht die Wirtschaft zusammen. Dann gibt es Arbeitslosigkeit. Das müssen wir doch begreifen, dass wir erst mal diese 180 Milliarden unterbringen können. Im Ausland sind jetzt viele pleite, die wollen das nicht mehr haben, das Zeug. Also müssen wir es doch selbst investieren, und wer macht das sinnvoller als die Unternehmen zunächst und dann der Staat. Aber dazu müssen wir unsere Wirtschaftspolitik ändern, da müssen wir diese Zusammenhänge erst mal sehen. Sonst kann es mit der deutschen Wirtschaft nichts mehr werden.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.