Die Zahlungsbedingungen seien in der Vergangenheit bereits schrittweise verbessert worden, sagte der Wissenschaftler von der Universität York, und eine Fortsetzung dieses Entgegenkommens sei auch in den kommenden Monaten und Jahren zu erwarten.
Dass die Geldgeber sich gegen einen Schuldenschnitt und für die Einberufung weiterer Zahlungen aus Griechenland entschieden haben, sei letztlich auch ein "politisches Symbol" und ökonomisch nicht relevant. Es gehe darum, Ministerpräsident Alexis Tsipras einen politischen Sieg zu ermöglichen und so wieder neuen Rückhalt in der Bevölkerung zu gewinnen.
Tsipras hat laut Morys im Juli 2015, als er über seinen Reformkurs abstimmen ließ, gezeigt, "dass es keinen anderen Weg als die Zusammenarbeit mit den Geldgebern gibt". Aus Sicht der griechischen Regierung und der Geldgeber sei der eingeschlagene Weg erfolgreich: Entscheidend sei für beide der Primärüberschuss des Landes, also das Haushaltssaldo vor den Zinszahlungen. Und dieser habe sich in den vergangenen beiden Jahren verbessert.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Jasper Barenberg: Einen durchaus schweren Stand hatten gestern die Abgeordneten der linken Syriza in der Debatte in Athen um ein weiteres hartes Sparpaket im Parlament. Den Sparkurs beenden, mit diesem Versprechen hatte Alexis Tsipras die Wahl ja überhaupt gewonnen. Jetzt verantwortet der Ministerpräsident die härtesten Sparmaßnahmen, mit denen es die Menschen je in dem Land zu tun hatten. Eine Fülle von Steuern wurden gestern noch einmal erhöht, neue Abgaben eingeführt, Lebensmittel und Getränke werden teurer, ebenso Strom, Benzin, Heizöl, Internet, mobiles Telefonieren, sogar Kaugummis werden in Zukunft mehr kosten. Verständlich, dass der Unmut in der Bevölkerung groß ist und die Gewerkschaften auf den Barrikaden sind. Aber sind diese harten Einschnitte nun unvermeidbar? Oder treibt der Sparkurs in Absprache mit den internationalen Geldgebern das ganze Land am Ende in den Ruin?
- Darüber können wir in den nächsten Minuten mit dem Wirtschaftshistoriker Matthias Morys sprechen, der an der Universität im britischen York arbeitet und lehrt und sich intensiv mit der ökonomischen Entwicklung auch im Südosten Europas beschäftigt hat. Schönen guten Morgen.
Matthias Morys: Guten Morgen.
Barenberg: Herr Morys, die Einkommenssteuer wurde ja schon erhöht. Die Renten wurden schon erheblich gekürzt in Griechenland. Wie hart trifft diese dritte Sparrunde die Menschen im Land jetzt?
Morys: Ja, wie hart wird das die Personen treffen? - Die Maßnahmen, die beschlossen worden sind, sind natürlich gravierend. Es handelt sich um eine Erhöhung der direkten und indirekten Steuern und eine Vielzahl von anderen Maßnahmen. Es wird das Land noch einmal treffen, aber letztlich handelt es sich ja nur um eine Umsetzung der Beschlüsse, die bereits im letzten Juli getroffen wurden. Und die Griechen wissen natürlich auch, worin damals und auch heute noch die Alternative bestehen würde. Und das wäre letztlich das Ausscheiden aus dem Euro. Und das will natürlich nun wirklich niemand oder zumindest fast niemand. Insofern hat die griechische Politik und werden auch die einfachen Griechen die Maßnahmen letztlich akzeptieren als das geringere Übel.
Barenberg: Der Sparkurs ist unpopulär, das ist ja gar keine Frage. Manche sagen, er ist auch erfolglos. Die Mehrwertsteuer zum Beispiel wurde ja mehrfach angehoben, trotzdem sind im vergangenen Jahr die Einnahmen zurückgegangen um 3,5 Milliarden Euro, weil höhere Steuern die Nachfrage abschnüren. Nachvollziehbar ist dieser Kurs wegen der Absprachen mit den internationalen Geldgebern. Ist er aber auch ökonomisch sinnvoll?
Morys: Na ja. Sagen wir es mal so: Die griechische Regierung und die internationalen Geldgeber achten ja sehr stark auf eine Größe, und das ist der sogenannte Primärüberschuss. Das heißt, das ist die Haushaltslage unter Ausklammerung der Zahlungen auf die Staatsschuld. Und dieser Primärüberschuss hat sich natürlich seit 2010, seit dem ersten Bailout, deutlich verbessert. Man hat im Jahre 2014 das erste Mal einen kleinen Primärüberschuss gehabt und den hat man im letzten Jahr auch wieder erwirtschaftet. Von dieser Kenngröße, die für alle beteiligten Parteien sehr wichtig ist, ist das letztlich schon erfolgreich. Die Frage ist, ob man das gleiche Ziel anders auch erreichen könnte. Und hier wird man vermutlich sagen müssen, dass man sich am Anfang im Jahre 2010 eigentlich ein anderes Programm vorgestellt hat, ein Programm, das viel stärker auf genuine Reformen abstellen sollte. Und im Laufe der Zeit ist es dann eher zu einem Programm geworden, das man so zwischen Brüssel und Athen erreichen kann, sprich mit starken Kürzungen der Löhne und Gehälter. Aber noch einmal: Im Rahmen dessen, was das Hauptziel der beteiligten Parteien ist, eine Verbesserung des Primärüberschusses, ist das Programm erfolgreich gewesen.
Barenberg: Und wenn das ein so wichtiges Kriterium und eine so wichtige Messlatte ist, würden Sie dann auch sagen, dass der Regierung genug Luft bleibt, um das zu erreichen, was dann auf lange Sicht wichtig ist, nämlich die wirtschaftliche Erholung zu organisieren und erfolgreich auf den Weg zu bringen?
Morys: Griechische Politik hat ein bisschen mehr Möglichkeiten
Morys: Ich denke eigentlich ja. Ich denke, dass sich die Stimmung im Lande doch geändert hat. Ich sage mal nicht verbessert, vielleicht ist sogar leider das Gegenteil richtig. Aber ich glaube schon, dass die Situation vom letzten Jahr, als Griechenland so sehr hart mit der Frage konfrontiert wurde, bleiben wir im Euro oder bleiben wir nicht im Euro, dass das die Position der Geldgeber verdeutlicht hat gegenüber quasi allen Griechen. Davor war man so ein bisschen der Meinung, man kann im Euro bleiben, muss aber letztlich die Spar- und Reformmaßnahmen dann irgendwie doch nicht machen. Und die Situation ist irgendwo geklärt worden. Von daher hat die griechische Politik an sich ein bisschen mehr Möglichkeiten, als sie das vielleicht vor dem Juli 2015 hatte. Und dann ist es natürlich so: Die Regierung Tsipras hat letztlich auch gezeigt, dass sie es nicht viel anders machen kann, dass es eigentlich nur, wenn man im Euro bleiben möchte, den Weg des Zusammenarbeitens, des manchmal komplizierten Zusammenarbeitens mit den Geldgebern gibt.
Barenberg: Und da steht ja immer noch zur Diskussion, ist immer noch offen, beispielsweise vonseiten des Internationalen Währungsfonds, ob man doch Griechenland etwas mehr Spielraum geben soll, die Schuldenlast etwas erleichtern. Finanzminister Wolfgang Schäuble sagt ja immer, dann fällt auch der Druck weg, weiter Reformen auf den Weg zu bringen. Würden Sie da zustimmen, oder sagen, es ist jetzt auch Zeit, Griechenland hat geliefert, dem Land etwas entgegenzukommen, wenn morgen die Eurogruppe wieder tagt?
Morys: Man wird dem Land mit Sicherheit etwas entgegenkommen im Laufe der nächsten Monate und Jahre, wobei man ja genau genommen sagen muss, man wird dem Land noch weiter entgegenkommen. Die Zahlungsbedingungen sind ja schrittweise immer wieder ein bisschen verbessert worden. Es ist ja nicht so, dass die Sache jetzt zum ersten Mal besprochen wird. Sie wird ja schon seit fünf Jahren irgendwie diskutiert. Aber ich glaube, man muss hier realistisch bleiben. Letztlich geht es bei der Einberufung dieser Gespräche zur Schuldenerleichterung um ein politisches Symbol und nicht um eine Sache, die wirklich ökonomisch relevant ist. Der Weltwährungsfonds hat ja ohnehin gesagt, dass er sich selbst an diesen Maßnahmen nicht beteiligen wird, und die Europäische Zentralbank hat das auch relativ klar gemacht. Die Zahlungen gegenüber den europäischen Staaten kommen richtig auf Griechenland ohnehin erst, ich glaube, im Jahre 2022 zu. Da hat ohnehin schon eine gewisse Stundung eingetreten. Das heißt, im Moment geht es ohnehin erst einmal darum, so ein bisschen einen kleinen politischen Sieg für Tsipras zu ermöglichen, einen Sieg, mit dem man sich dann erhofft, dass Tsipras dadurch wieder neuen Rückhalt in der Bevölkerung gewinnt.
Barenberg: Der Wirtschaftshistoriker Matthias Morys hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.