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"Spartacus" am Bayerischen Staatsballett
Strotzende Souveränität und Power

Das Bayrische Staatsballett tanzt "Spartacus" nach Yuri Grigorovic. Dessen Leiter Igor Zelensky gefällt, dass diese Inszenierung gleich zwei Paaren eine fantastische Partie ermöglicht. Voller Selbstbewusstsein zeigt die Compagnie ihr Können - sie tanzt mit einer sagenhaften mentalen Hitze und einem kalten Körperverstand.

Von Wiebke Hüster |
    Der Ballettdirektor des Bayerischen Staatsballetts, Igor Zelensky.
    Der Ballettdirektor des Bayerischen Staatsballetts, Igor Zelensky. (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
    Drei Gründe gebe es, sagt Igor Zelensky, dafür, dass die Wahl für seine erste Premiere auf das Sowjet-Ballett Spartacus gefallen sei. Erstens sei die letzte Premiere unter der alten Leitung ein Stück von Pina Bausch gewesen und das Erbe und Repertoire des Bayerischen Staatsballetts solle ergänzt werden um etwas ganz Anderes, hier Nie-Gesehenes. Zweitens böten die meisten Werke des klassischen Repertoires nur einem einzigen Protagonisten-Paar Rollen. Spartacus hingegen habe mit dem Sklavenanführer und seiner Geliebten Phrygia einerseits und dem römischen Feldherrn Crassus und seiner Kurtisane Aegina gleich vier fantastische Partien zu besetzen. Der dritte Grund ist vielleicht der einfachste: Er lautet "Because We Can", weil wir die Tänzer dafür haben, die das können. Igor Zelensky:
    "Ich stelle mich hier nicht als der große Ballettdirektor über alles. Ich sehe meine Funktion als eine dienende. Ich diene den Tänzern."
    Weil wir es können, lautet also der dritte selbstbewusste Grund, der einfachste, wenngleich seine Voraussetzungen denkbar schwierig zu schaffen waren: Nach Krächen und tränenreichen Abschieden und wütenden Protesten und der anschließenden Neubesetzung von 25 der 70 Tänzerstellen. Und nach drei Monaten im Ballettsaal mit Zelensky selbst, mit den Ballettmeistern und Assistenten von Yuri Grigorovic, dem 80-jährigen Choreografen von Spartacus: Nach all dem steht das Bayerische Staatsballett in diesen zweieinhalb Stunden auf der Bühne und tanzt, dass die Schweißtropfen auf dem Bühnenboden zischend verdampfen, tanzt mit einer sagenhaften mentalen Hitze und einem kalten Körperverstand.
    Große Bewegungen, mächtige Sprünge
    Diese Compagnie könnte so auch in Covent Garden oder im Palais Garnier auf der Bühne stehen, ihre Bewegungsintelligenz, ihr Unisono, ihre Phrasierungen strotzen vor Souveränität und Power in jeder Sekunde der ganz unschwülstig schönen Musik von Aram Chatschaturjan.
    Alles, was man nicht glauben kann, wenn man Grigorovichs Choreografie noch nie gesehen hat, wird in München wahr. Die Bewegungen sind alle groß, die Sprünge mächtig, die Pliés tief, weich, und feurig, die Gesten kämpferisch. Spartacus ist gedemütigt und zum Befreiungskampf entschlossen, lieber tot als diesem egomanischen, narzistischen, geilen Karrieregeneral Crassus unterworfen.
    Aegina, dessen schöne und verdorbene Kurtisane, hat eigene Vorstellungen vom Machterhalt und löst noch in ihren Gegnern sexuelle Erregung aus. Speziell ihre Auftritte – darunter ein lüsternes Solo, das als Pole Dance von heute durchgehen könnte – sorgten bei der Moskauer Uraufführung 1968 für Aufregung. So realistisch hatte man sich das im Sozialismus vielleicht doch nicht ganz vorgestellt.
    Handlung ist in den Tanz eingeschmolzen
    Die Ingredenzien der Handlung der drei Akte – Verschleppung, Erniedrigung, Verschwörung, Kampf, Lust, Niederlage und Heldentod - sind so in Tanz eingeschmolzen, dass man dem Plot gespannt folgt und alles begreift, ohne vorher das Programmheft gelesen oder Kirk Douglas als Spartakus gesehen haben zu müssen. Dass das Ballett mit der um den aufgebahrten Spartacus trauernden Phrygia endet, ist eigentlich überflüssig, sie und ihre liebende Hingabe sind das langweiligste unter den vier Solistentemperamenten, auch, wenn Ivy Amista das sehr intensiv und glaubwürdig macht.
    Sergei Polunin spielt den verkommenen Crassus etwas zu nobel, auch wenn man ihn nicht aus den Augen lassen kann. Noch besser tanzen kann allerdings Osiel Gounneo in der Titelrolle. Schauspielerisch aber strahlt Natalia Ossipovas Stern am hellsten an diesem Abend. Und bei ihrer ganzen technischen Raffinesse berührt doch am meisten an ihrer Aegina, welche Freiheit in ihren Schultern und unglaublich beredten Armen diese Tänzerin erreicht, sicherlich das Ergebnis ihrer makellosen Beinarbeit.
    In ihrer Rolle sieht man auch deutlich Balanchines Einfluss auf Grigorovich. 1962 war das New York City Ballet erstmals in Moskau aufgetreten, sechs Jahre bevor Grigorovich an Spartacus ging. Damals verkündete Balanchine den Russen selbstbewusst, der klassische Tanz sei übrigens nicht mehr in Russland, sondern neuerdings in den Vereinigten Staaten zuhause. Da hatte er die Rechnung ohne Grigorovich gemacht. Auch insofern ist es interessant, dass Ballettdirektor Igor Zelensky an seiner neuen Wirkungsstätte erst mal mit einem Grigorovich auftritt.