Jugendliche seien mit einer Lage konfrontiert, in der überall Bedrohungen lauerten, führte Greuel aus. So würden Kriege präsenter und die Klimakatastrophe werfe ihre Schatten voraus. Angesichts dessen seien Narrative sehr ansprechend, die einfache Lösungen präsentierten - selbst wenn sie sich auf Verschwörungserzählungen stützten. Dazu zähle die Leugnung des menschengemachten Klimawandels durch die AfD.
Einfluss von TikTok
Die AfD hatte bei der Europawahl in der Gruppe der 16- bis 24-Jährigen 16 Prozent der Stimmen erhalten, also ein ähnliches Resultat erzielt wie quer durch alle Altersgruppen. Damit lag die Partei auf dem zweiten Platz und nur einen Prozentpunkt hinter der Union, die in der Altersgruppe 17 Prozent erreichte. 2019 waren die Grünen unter jungen Wählern noch stärkste Kraft geworden. Sie mussten in dieser Gruppe nun jedoch Verluste von 23 Prozentpunkten hinnehmen.
Greuel, der am deutschen Jugendinstitut in Halle forscht, bemisst auch der hohen Präsenz der AfD auf TikTok Bedeutung bei. Rechtspopulistische Influencer, aber auch AfD-Größen wie der in die Kritik geratene Spitzenkandidat Krah sprächen dort Jugendliche gezielt an. Das gelinge Vertretern anderer Parteien schlechter. So könnten Jugendliche den Eindruck bekommen, die AfD sei die einzige Partei, die sich für ihre Probleme interessiere, sagte Greuel.
Historikerin: "AfD nicht überhöhen"
Die Historikerin Claudia Gatzka warnt nach der Europawahl vor einer Überhöhung der Erfolge der AfD. Durch effektvolle grafische Darstellungen, in denen ganz Ostdeutschland blau gefärbt sei, werde der "Volkswille verzerrt repräsentiert", sagte die Forscherin der Universität Freiburg der Deutschen Presse-Agentur. Leipzig etwa verschwinde in dieser Karte nun in einem "Meer von Blau", obwohl dort nicht einmal jeder fünfte Wähler für die AfD gestimmt habe. Ähnlich verhalte es sich in Dresden. Auch dort sei die Partei zwar mit gut 22 Prozent stärkste Partei geworden, damit sei die Stadt aber noch keine AfD-Hochburg.
Gatzka warnte: "Wer überall dort, wo eine Partei stärkste Kraft wird, von einer 'Hochburg' dieser Partei spricht, riskiert, eine Tradition zu erfinden, die keine ist". Minderheiten würden zu repräsentativen Mehrheiten gemacht. Die Historikerin fordert vor diesem Hintergrund, dass die Wahlberichterstattung präziser werden muss. Auch müssten sich die anderen Parteien sich fragen, wie sie konstruktive Allianzen gegen sogenannte stärkste Kräfte wie die AfD bilden könnten. Ansonsten drohe eine "Tyrannei der Minderheiten".
Diese Nachricht wurde am 16.06.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.