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SPD auf Kurssuche
"Die Gegner sind nicht in der eigenen Partei "

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz hat laut Medienberichten Kritik am inhaltlichen Kurs der SPD unter Martin Schulz geäußert. Schlecht übereinander reden habe noch nie etwas gebracht, sagt der SPD-Vizevorsitzende Ralf Stegner im Dlf und stellt sich hinter den Parteichef. Schulz sei der Richtige für die Erneuerung der Partei. Dazu müssten aber auch alle beitragen.

Ralf Stegner im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Der schleswig-holsteinische SPD-Parteivorsitzende Ralf Stegner spricht am 27.01.2017 in Lübeck (Schleswig-Holstein) auf dem Parteitag der SPD Schleswig-Holstein. Personalentscheidungen stehen im Mittelpunkt des dreitägigen Parteitags. Noch am Abend wird der Landesvorstand neu gewählt
    Ralf Stegner - Stellvertretender SPD-Vorsitzender und Landes- und Fraktionsvorsitzender der SPD Schleswig-Holstein (Carsten Rehder/dpa)
    Christoph Heinemann: In der Debatte über die Zukunft der SPD hat sich Olaf Scholz zu Wort gemeldet. Die Süddeutsche Zeitung berichtet über scharfe interne Mahnungen des Hamburger Bürgermeisters. In einem der Zeitung vorliegenden Papier fordert der stellvertretende SPD-Chef eine "schonungslose Betrachtung der Lage". Scholz verlangt bei der Analyse des historisch schwachen Bundestagswahlergebnisses von nur 20,5 Prozent, auf intern immer wieder bemühte Ausflüchte zu verzichten. Weder fehlende Mobilisierung der Anhänger, noch ein mangelnder Fokus auf soziale Gerechtigkeit tauge zur Erklärung. Schließlich habe der SPD-Wahlkampf ganz im Zeichen der sozialen Gerechtigkeit gestanden. Die Probleme der Partei, sagt Olaf Scholz, seien grundsätzlicher. Am Telefon ist jetzt der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner. Guten Morgen!
    Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Stegner, sind die Probleme grundsätzlicher?
    Stegner: Sie sind schon sehr grundsätzlich, wenn man die dritte Wahl hintereinander auf Bundesebene so schlecht abschneidet. Und die Wählerinnen und Wähler haben uns ja ganz offenkundig gesagt, sie wollen, dass die SPD sich stärker von der Union unterscheidet. Die Arbeit in der Großen Koalition, auch wenn sie gut war von unseren Leuten, die ist nicht honoriert worden, sondern es geht jetzt offenkundig darum, dass die Unterschiede wieder größer werden, was übrigens auch dazu führen könnte, dass die kleinen und die rechtspopulistischen Parteien wieder abnehmen. Insofern ist das schon ein sehr grundsätzliches Problem. Es geht um Inhalte, um Organisation und auch um Personen.
    Heinemann: Genau! Um Inhalte, das ist Olaf Scholz wichtig. Martin Schulz fordert zur Kapitalismuskritik auf. Olaf Scholz plädiert für einen pragmatischen Kurs, eine Verbindung von Wachstum und sozialer Gerechtigkeit. Hat Scholz recht?
    Stegner: Die Sache ist doch die: Wir haben eine Volkspartei mitte-rechts, das ist die Union, und wir brauchen eine Volkspartei mitte-links, die SPD, die mit dieser Union immer um Platz eins ringt. Da gibt es ein paar Fragen grundsätzlicher Natur, wo wir die Unterschiede stärker rausarbeiten müssen; dass wir die Europa- und Friedenspartei sind; dass wir die Fragen globaler Gerechtigkeit deutlicher in den Vordergrund rücken. Wir sehen ja bei Leuten wie dem Bernie Sanders oder bei Corbyn, aber auch bei Trudeau, dass das viele junge Menschen auch anzieht, wenn man solche Fragen anspricht. Und wir müssen bei den Fragen schauen, die die Gerechtigkeitsthemen berühren: Arbeit, Bildung, Steuern, Rente, Pflege, dass wir bei diesen Fragen zwar praktische Antworten haben, da hat Olaf Scholz recht, aber schon solche, die deutlich anders ausfallen als bei einer Union, die sich eigentlich hauptsächlich um die kümmert, die schon oben sind.
    "Wir sind eine große Partei mit einer größeren Vielfalt"
    Heinemann: Herr Stegner, Scholz sagt ja, genau das reicht nicht. Er sagt, auch in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung werde eine florierende Wirtschaft eine zentrale Voraussetzung sein, um eine fortschrittliche Agenda zu verfolgen. Können Sie mit Olaf Scholz’s Analyse leben?
    Stegner: Natürlich brauchen wir eine florierende Wirtschaft. Aber klar muss sein, dass diese Wirtschaft für die Menschen da ist und nicht umgekehrt. Wenn große Konzerne hier keine Steuern bezahlen, obwohl sie riesen Erträge haben, dann ist das nicht in Ordnung. Wenn wir den globalen Kapitalismus sehen, der die Demokratie herausfordert, dann muss man das angehen. Und in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung kann das nicht heißen, dass Arbeitnehmerrechte über den Deister gehen, sondern da müssen wir über kollektive Sicherung von Arbeitnehmerinteressen sprechen. Da geht es um gleichen Lohn für gleiche Arbeit bei Männern und Frauen. Da muss man was gegen prekäre Beschäftigung und befristete Beschäftigung tun. Also die Wirtschaft muss schon florieren, aber die Wirtschaft dient den Menschen, nicht umgekehrt. Das ist schon immer die Auffassung der Sozialdemokratie gewesen. Wir müssen modern bleiben und die Veränderungen auch annehmen, die es gibt, aber wir müssen sie sozial ausgestalten. Und es ist doch gut, dass es in der SPD einen lebhaften innerparteilichen Diskussionsprozess jetzt gibt zu den Fragen. Olaf Scholz ist dabei und ich auch und andere auch und es geht jetzt darum, Martin Schulz zu unterstützen, diesen Reformprozess, den wir vor uns haben, für die nächsten Jahre auch erfolgreich zu machen, damit wir bei der nächsten Bundestagswahl wieder besser dastehen als dieses Mal.
    Heinemann: Aber Scholz setzt schon andere Schwerpunkte als Schulz.
    Stegner: Na ja. Wir sind eine große Partei mit einer größeren Vielfalt. Das ist ja auch gut so. Eine Volkspartei muss ja unterschiedliche Milieus auch erreichen. Klar ist aber doch ganz offenkundig, dass die Wählerinnen und Wähler gesagt haben, wir unterscheiden uns nicht genug, übrigens auch in der Sprache nicht. Wir brauchen mehr Leidenschaft. Die Menschen müssen erkennen können, es gibt einen Unterschied zur Machtpartei Union. Wenn das nicht der Fall ist, dann erleben wir doch, dass die Populisten gewinnen, die sagen, die da oben unterscheiden sich doch gar nicht.
    Heinemann: bleiben wir bei der SPD. Positioniert sich Scholz gegen Schulz?
    Stegner: Ich glaube, dass Martin Schulz in der SPD große Zustimmung und große Zuneigung hat und dass wir ihn unterstützen sollten dabei, dass wir diesen Erneuerungsprozess auch auf den Weg bekommen. Dazu müssen alle beitragen, auch die Stellvertreter. Davon ist einer Olaf Scholz und der andere ist Ralf Stegner, und es gibt noch ein paar mehr. Das sollten wir alle miteinander tun. Wichtig ist im Übrigen, wenn ich das mal sagen darf, dass wir verstehen, dass die Gegner nicht in der eigenen Partei sind, sondern wir müssen uns mit den anderen Parteien auseinandersetzen. Und je mehr Erfolg wir dabei haben bei unserem Reformprozess - da geht es ja nicht nur um Inhalte, sondern es geht auch um Kampagnefähigkeit, die wiederhergestellt werden muss; es geht um Personalentwicklung, wir haben ein Durchschnittsalter von über 60 wir müssen auch wieder jüngere Menschen für uns gewinnen. Das schafft man nicht allein mit einem, ich sage mal, technokratischen Ansatz und nur mit Analysen, sondern auch mit Leidenschaft und Begeisterung und auch mit unterschiedlichen Menschen, unterschiedlichen Köpfen, Männern und Frauen, die das zusammenbringen, und das werden wir tun.
    "Niemand sollte sich jetzt momentan besonders wichtig nehmen"
    Heinemann: Sprechen wir über die unterschiedlichen Männer und Frauen. Da gab es die Kür des designierten Generalsekretärs Lars Klingbeil, die des Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages Thomas Oppermann und den Abgang der Bundesgeschäftsführerin Juliane Seifert. Die Süddeutsche Zeitung berichtet heute über eine SPD-Bundestagsfraktionssitzung vom vergangenen Montagabend, und ich zitiere jetzt aus der Zeitung: "Nun kamen immer wieder einzelne Abgeordnete aus dem Saal und selbst solche, die sonst stets die Parteidisziplin wahren, schüttelten den Kopf über Schulz und seine jüngsten Fehler. Er kann es nicht! Dieser Satz fiel immer wieder." Kann er’s nicht?
    Stegner: Ich halte von solchen Betrachtungen, ehrlich gesagt nichts. Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich finde, niemand sollte sich jetzt momentan selbst besonders wichtig nehmen, sondern dazu beitragen, dass wir wieder rauskommen aus dem Keller. Man hat in Niedersachsen gesehen, dass man auch große Rückstände aufholen kann, wenn die Partei sich entschlossen aufstellt, wenn sie kämpft, wenn sie sich nicht mit innerparteilichen Querelen beschäftigt, sondern über die Inhalte redet und sich von den anderen unterscheidet. Natürlich hat das den einen oder anderen aufgeregt, dass man den Eindruck hat, es ginge hauptsächlich um Personen. Um Personen geht es auch. Die wählen wir dann in der Führung beim Parteitag im Dezember. Aber es geht zunächst mal hauptsächlich um die Inhalte, und da muss man dann doch auch mal feststellen, wir haben auch eine deutliche Veränderung. Wir hatten vor der Wahl zwei Männer an der Spitze bei Partei und Fraktion; jetzt ist Andrea Nahles neue Fraktionsvorsitzende geworden. Wir stellen uns in Teilen neu auf, wir bekommen einen neuen Generalsekretär. Und ich finde, da müssen sich Einzelne zurücknehmen: Das schlecht übereinander reden, das hat noch nie was gebracht. Davon halte ich gar nichts. Die Grundwerte, für die wir stehen, die müssen wir auch untereinander praktizieren. Dafür setze ich mich jedenfalls ein. Und ich erlebe an der Basis überall, dass das unsere Mitglieder auch wollen. Die wollen eine stolze, selbstbewusste SPD, die für Gerechtigkeit kämpft und wo die führenden Leute miteinander gut umgehen und nicht schlecht übereinander reden.
    Heinemann: Herr Stegner, mit wem kommt die SPD aus dem Keller? Mit einem Parteichef Schulz oder mit einem Parteichef Scholz?
    Stegner: Mit einem Parteichef Martin Schulz, der eine große Zustimmung in der Partei hat und mehreren Stellvertretern, zu denen auch Olaf Scholz und Ralf Stegner gehören. Wir sind eine große Volkspartei. Wir brauchen beide Flügel. Wir müssen verschiedene Milieus ansprechen als Volkspartei. Das kann man nicht verengen, um einer ausgelaugten Union, die nur eine Machtpartei ist, gegenüberzutreten, und im Übrigen einer schwarzen Ampel, die ein reines Machtbündnis werden wird. Da wird nicht viel von Sozialem die Rede sein. Da ist eine gute Chance für uns, das zu nutzen, in der Opposition uns wieder zu profilieren und dann auch wieder Erfolge zu haben. Wichtig ist nicht, dass man nicht verliert. Das passiert immer mal wieder. Sondern wichtig ist, dass man wieder aufsteht, und das tun wir.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.