Dirk-Oliver Heckmann: CDU und CSU hatten bereits ihre Personalien für eine künftige neue schwarz-rote Koalition benannt. Was noch fehlte war das Personal-Tableau der Sozialdemokraten, die sich ja erst mal darüber einig werden mussten, ob sie überhaupt das Wagnis eingehen sollten, in eine neue GroKo einzutreten.
Heute wollte die SPD ihre Kandidaten für die Ministerposten benennen. Außenminister Sigmar Gabriel, der wollte aber so lange offenbar nicht warten und gab gestern bereits über Twitter bekannt, dass er dem neuen Kabinett nicht angehören werde. Außerdem kursierte eine Liste mit Namen. Heute um zehn Uhr eine Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus.
In unserem Hauptstadtstudio begrüße ich den Kollegen Daniel Friedrich Sturm von der Tageszeitung "Die Welt", langjähriger Beobachter der SPD ebenfalls. Herr Sturm, die SPD verzichtet auf den derzeit beliebtesten SPD-Politiker, nämlich Sigmar Gabriel. Ist das eine gute Idee?
Daniel Friedrich Sturm: Na ja, einerseits so, andererseits so. Ich bin mal gespannt, in welch schneller Zeit womöglich Heiko Maas der beliebteste Politiker Deutschlands werden wird, oder zumindest ein sehr beliebter Politiker. Das geht ja beim Außenminister meistens doch relativ schnell.
Sigmar Gabriel – der Kollege Capellan hat es angesprochen – hat so viele Menschen in der SPD, auch ihm Nahestehende verprellt, verletzt, dass dieser Abschied aus dem Kabinett zum Schluss doch zu erwarten war. Ich finde es dennoch bedauerlich, weil Sigmar Gabriel, was man auch immer über ihn sagen mag, und auch, was jeder Kritiker bestätigen wird: Er war ein Mann mit Ecken und Kanten, ein politischer Typ, wie wir in den Medien sie ja eigentlich immer vermissen.
Heckmann: Sigmar Gabriel wird jetzt erst mal Hinterbänkler. Was meinen Sie, wird er sich in Zukunft zurückhalten können?
Sturm: Das entspricht nicht seinem Charakter, sich zurückzuhalten. Ich hoffe für ihn, dass er nicht allzu schnell in die Wirtschaft wechseln wird und der Gier sozusagen nachgibt. Eigentlich ist er viel zu klug und auch viel zu politisch, als dass er in die Wirtschaft wechseln könnte. Vielleicht gelingt es ihm ja, ein bisschen einen Weg einzuschlagen a la Joschka Fischer, sich erst mal ein bisschen zurückzuhalten, dann vielleicht internationale Netzwerke aufzubauen, Vorträge zu halten, ein bisschen Elder Statesman zu machen.
Ich fürchte aber, ihm droht ein Weg, wie ihn Gerhard Schröder gegangen ist, und das heißt natürlich dann doch wenig staatsmännisches Format.
"Drei großen Ressorts gehen an Männer, die drei kleinen Ressorts gehen an Frauen"
Heckmann: Jetzt haben wir, denke ich, erst mal genug über Sigmar Gabriel gesprochen. Kommen wir zu den Figuren der Zukunft. Heiko Maas als neuer Außenminister. Hat er aus Ihrer Sicht genug außenpolitische Erfahrung?
Sturm: Hat er bisher sehr, sehr wenig. Er ist – Frau Nahles hat das ja angesprochen – als Saarländer natürlich gewissermaßen ein geborener Europäer. Aber die Europapolitik spielt ja im Auswärtigen Amt eigentlich gar keine Rolle mehr. Das ist Sache des Bundeskanzleramtes und auch des Bundesfinanzministers. Ich bin gespannt, ob es nicht doch auch ein paar Friktionen geben wird zwischen dem Außen- und dem Finanzminister in europapolitischen Fragen.
Bisher konnte das Auswärtige Amt immer sagen, ah, da sitzt ja auch der ganz böse Herr Schäuble mit seiner Austeritätspolitik. Jetzt sitzt da der Kollege Scholz, der ja auch noch der Chef von Herrn Maas ist als Vizekanzler. Ich bin gespannt, ob das alles so einig und gemeinsam funktionieren wird.
Heckmann: Dann blicken wir noch mal auf das Gesamt-Tableau. Franziska Giffey als Familienministerin, Svenja Schulze neue Umweltministerin, Katarina Barley als Justizministerin. Die SPD-Ministerriege wird weiblicher und jünger. Sind die Sozialdemokraten damit gut aufgestellt und wie ist das einzuordnen, dass es doch sehr stark um Quote und Proporz geht?
Sturm: Absolut darum geht es, und ich will jetzt doch etwas Wasser in den Wein gießen. Wenn man sich die drei Ressorts anguckt, die als stark gelten, dann ist es das Auswärtige Amt, das Finanzministerium und das Ressort Arbeit und Soziales. Diese drei großen Ressorts gehen an Männer und die drei kleinen Ressorts – Gerhard Schröder würde sagen, die Gedöns-Ressorts -, die gehen an die Frauen.
Das ist vielleicht schon ein kleiner Schönheitsfehler. Natürlich: Der Proporz spielt eine Rolle. Der Kollege Capellan hat das ja gerade angesprochen: Osten, NRW, Niedersachsen. In dem ganzen Tableau scheint mir in der Tat die aus Nordrhein-Westfalen stammende künftige Umweltministerin bisher der schwächste Posten, aber vielleicht kann sie ja noch ein bisschen was daraus machen.
"Jemand wie Olaf Scholz steht für das solide Regieren"
Heckmann: Die SPD steht jetzt vor der Herausforderung, auf der einen Seite pragmatische Regierungspolitik abliefern zu müssen. Auf der anderen Seite muss sich die SPD stärker profilieren, stärker als in der vorherigen Großen Koalition - mit Andrea Nahles an der Spitze, die ja nicht Teil des Bundeskabinetts ist, ganz bewusst nicht. Das heißt, worauf müssen wir uns jetzt einstellen?
Sturm: Das wird eine ganz, ganz schwere Aufgabe. Jemand wie Olaf Scholz steht ja für das solide Regieren. So propagiert er es ja immer und so wird er es wahrscheinlich auch praktizieren. Er ist ja ein solider Politiker. Aber das wird der SPD natürlich nicht reichen. Sie muss über den Tag hinausdenken, über die Legislaturperiode hinaus, über den Koalitionsvertrag hinaus. Das wird die Aufgabe von Andrea Nahles sein.
Das wird sicher auch zu Friktionen führen und da droht dann die Gefahr, dass es wieder zwei SPD gibt, und das hat es schon einmal gegeben, nämlich in der Großen Koalition von 2005 bis 2009. Da war der damalige Parteivorsitzende Kurt Beck nicht Mitglied des Parlaments.
Heckmann: Das könnte ja auch ein Vorteil sein, oder?
Sturm: Das kann ein Vorteil sein, aber es birgt die Gefahr, dass die Regierungs-SPD und die SPD-SPD auseinanderfallen. Ich will das nicht beschwören, aber das gibt es. Ich bin gespannt, ob die beiden das abgrenzen können. Frau Nahles und Herr Scholz kennen sich ja sehr, sehr lange und gut und arbeiten verlässlich miteinander. Die Mitarbeiter kennen sich gut. Die Chancen sind ganz gut, dass es besser gelingt. Aber bei der SPD, der kompliziertesten Partei und auch manchmal der selbstzerstörerischsten Partei Deutschlands, kann man da sich nie ganz sicher sein.
Heckmann: Daniel Friedrich Sturm war das von der Tageszeitung "Die Welt". Herr Sturm, schönen Dank, dass Sie ins Studio gekommen sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.