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SPD-Bundesparteitag
Sehnsucht nach dem Neustart

Agenda 2010 korrigieren, Europa stärken, Renten sichern: Auf dem Parteitag am Sonntag legen die Sozialdemokraten ihr Programm für die Bundestagswahl fest. Die Partei hofft auf ihren Aufschwung - verabschiedet aber ein Wahlprogramm, das notfalls auch zusammen mit der Union umgesetzt werden könnte.

Von Frank Capellan |
    SPD-Kanzlerkandidat Schulz stellt das Steuerkonzept der SPD auf einer Pressekonferenz am 19. Juni in Berlin vor.
    SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist die Hoffnung der Partei für einen Neuanfang (AFP / Odd Andersen )
    "Wenn Sie heute die Schlagzeilen gelesen haben … Schulz will Agenda 2010 korrigieren, stand da!"
    Ende Februar ist die Welt bei der SPD noch in Ordnung. Klaus Barthel kommt gar nicht dazu, seinen Gedanken zu Ende zu führen. Der Chef des Arbeitnehmerflügels der Partei begrüßt den frisch gekürten Kanzlerkandidaten zu einem Kongress in der Bielefelder Stadthalle. Und dass Martin Schulz gerade angekündigt hat, sich das Arbeitslosengeld vorzuknöpfen, ruft nicht nur bei Barthel Fröhlichkeit hervor.
    "… und jetzt freuen wir uns auf den, der die SPD gerade glücklich macht: Martin Schulz!"
    Glücklich macht er die Partei gleich mit seinem ersten innenpolitischen Aufschlag. Groß ist die Überraschung darüber, dass Schulz eine Hoffnung weckt - die, dass er endlich mit Schröders Reformen aufräumt, jener Agenda, die zur Spaltung der Partei geführt und von der sich die SPD bis heute nicht wirklich erholt hat.
    "Auch wir haben Fehler gemacht. Fehler zu machen ist nicht ehrenrührig. Wichtig ist: Wenn Fehler erkannt werden, dann müssen sie korrigiert werden. Wir haben sie erkannt!"
    Reform der Reform: Arbeits- und Sozialpolitik zentrales Thema
    Hinter ihm ein Helm, ein Hammer, eine Schraubzwinge - Insignien der Arbeiterschaft, deren Fürsprecher die Schulz-SPD wieder sein will. Da verwundert es nicht, dass der Chef die Arbeits- und Sozialpolitik zum zentralen Punkt macht und ganz nach oben stellt. In Bielefeld deutet er nur an, was ihm vorschwebt, doch die Reaktionen darauf, der überschwängliche Kult um seine Person, die in den Himmel schießenden Umfragewerte machen deutlich, wie sehr sich die Genossen offensichtlich nach einem "Neustart" sehnen. Politikwissenschaftler Gero Neugebauer:
    "Es ist immer als ein Zeichen von Ungerechtigkeit empfunden worden, dass jemand, der lange gearbeitet hat, nach relativ kurzer Frist im Arbeitslosengeld 1 dann auf das Hartz IV runterkatapultiert worden ist. Und die Schulz-Rede geht ja auf die, die da momentan noch im Job sitzen und die Angst haben, den zu verlieren und sagen: Dann habe ich zwölf bis 24 Monate Arbeitslosengeld 1 und danach wird es mir schlecht gehen!"
    Logo der Bundesagentur für Arbeit mit Menschenmenge.
    Menschen ohne Arbeit sollen nach den Plänen der SPD zukünftig bis zu vier Jahre Arbeitslosengeld 1 beziehen können. (imago / Ralph Peters)
    In vielen Teilen orientiert sich das Wahlprogramm der SPD nicht an dem, was ist, sondern daran, was sein könnte. Die wirtschaftliche Lage ist sehr gut, die Arbeitslosenzahlen sind auf einem Tiefststand. Nur: Bleibt das so? Und junge Leute klagen darüber, dass ihnen nur noch schlecht bezahlte, befristete Arbeitsverhältnisse angeboten werden. Auch das thematisiert Schulz, was als ein Grund dafür angesehen wird, dass er gerade bei unter 30-Jährigen ausgesprochen gut ankommt.
    Martin Schulz verspricht: Wer arbeitslos wird, soll deutlich länger als bisher Anspruch auf Arbeitslosengeld 1 haben, also auf 60 Prozent bis 67 Prozent des letzten Lohnes. Voraussetzung: Die Betroffenen nehmen an einer Qualifizierungsmaßnahme der Bundesagentur für Arbeit teil. Der Name des Ganzen: Arbeitslosengeld Q, im Extremfall kann es vier Jahre lang gezahlt werden, bisher sind es maximal zwei.
    Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht das durchaus positiv. "Bessere Qualifizierung, zielgenauere Qualifizierung, der Schlüssel liegt wirklich in der Qualifizierung, deshalb sehe ich den Ansatz als absolut richtig an!"
    Verlässliche Rente als Wahlkampfversprechen
    Als Agenda-Abkehr wird dieser Vorstoß von den einen bejubelt, von anderen beklagt. Tatsächlich ist es vor allem eine Schwerpunktverschiebung mit Blick auf das Schrödersche "Fördern und Fordern". Etwas mehr Fördern eben. Wenn die Sozialdemokraten am Sonntag auf ihrem Parteitag in Dortmund diese Beschlüsse in ein Programm für die Bundestagswahl gießen, steht dahinter eine Botschaft: Die Arbeiterpartei kümmert sich auch um die Arbeitslosen - und um die künftigen Rentner.
    "Erstens: Wir stoppen das Absinken des Rentenniveaus. Zweitens: Wir sorgen dafür, dass, wer jahrzehntelang gearbeitet hat, im Alter nicht zum Sozialamt gehen muss, drittens: Wir garantieren auch der jungen Generation eine auskömmliche Rente und viertens: Mit uns wird es keine Erhöhung des Renteneintrittsalters geben!"
    Andrea Nahles hat ein Rentenkonzept mit diversen Haltelinien zusammengestellt, wie es die Arbeitsministerin gern formuliert. Das Rentenniveau soll bei 48 Prozent des Durchschnittslohnes eingefroren, der Rentenbeitragssatz bei 22 Prozent gedeckelt werden.
    "Eine verlässliche Rente ist ein Kernversprechen einer solidarischen Gesellschaft. Die SPD will, dass sich alle auf die Rente verlassen können. Alt und Jung, Arm und Reich, Frauen und Männer!"
    Bundessozialministerin Nahles gestikuliert während der Erläuterungen zu ihrem Rentenkonzept mit der rechten Hand.
    Bundessozialministerin Andrea Nahles verspricht weitere Millarden für künftige Rentner. (picture allince /dpa /Kay Nietfeld)
    In der zurückliegenden Legislaturperiode spielte dieser Gerechtigkeitsgedanke in der Großen Koalition keine große Rolle. Die Union setzte eine milliardenschwere Mütterrente durch, Nahles die Rente mit 63 ohne Abschläge für langjährige Beitragszahler. Beides Wahlkampfversprechen, Geschenke an die Älteren, denen es im Allgemeinen heute so gut geht wie nie zuvor.
    Diesen Vorwurf muss sich die Sozialministerin bis heute von den Jüngeren gefallen lassen - jetzt entdeckt sie die künftigen Rentner und kündigt an, abermals Milliarden lockerzumachen. Denn um die Versprechen für die kommenden 13 Jahre einzulösen, bedarf es steigender Steuerzuschüsse - nach eigenen Berechnungen kostet das SPD-Rentenkonzept bis 2030 fast 80 Milliarden Euro zusätzlich.
    Wie es danach mit der Rente bei einer weiter sinkenden Zahl von Beitragszahlern und gleichzeitig steigender Lebenserwartung weitergehen könnte, vermögen die Sozialdemokraten nicht zu sagen. Aber die SPD legt sich fest: Niemand wird gezwungen sein, länger als bis zum Alter von 67 Jahren zu arbeiten. Eine klare Absage an das Konzept von CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble, der das Rentenalter an die Lebenserwartung koppeln will.
    Europa - ein wichtiges Thema auf dem Spargeldampfer
    Ende Mai auf dem Berliner Wannsee. Traditionelle Spargelfahrt des konservativen Seeheimer Kreises der SPD. Gemächlich dampft die "Havelqueen" über das glatte Wasser. "Martin Schulz, der zukünftige Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Martin, Du hast das Wort!"
    Seeheimer-Chef Johannes Kahrs verbreitet Optimismus. Der Kanzlerkandidat geht hier traditionell an Bord. Der Parteichef ohnehin. Und Martin Schulz fühlt sich besonders wohl, greift zum Vergleich mit der kaiserlichen Truppe in der römischen Antike … "Die Seeheimer sind eine Prätorianergarde aller Bundeskanzler. So wollen wir es auch künftig halten. Meine frühere Adresse war Seeheimer Straße Nr. 1 - ganz klar!"
    Unvergessen, wie vor zehn Jahren Vizekanzler Franz Müntefering seinen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck auf dem Seeheimer-Schiff in den Senkel stellte. Beck redet über Spargel, Müntefering übers Wahlkämpfen. Heute heißt der Vizekanzler Sigmar Gabriel. Martin Schulz hat seinen Vorgänger im Amt des SPD-Vorsitzenden gerade in höchsten Tönen gelobt. Gabriel wiederum redet gar nicht, jedenfalls nicht hier. Oft hingegen ist der Außenminister in jüngster Zeit zu hören, wenn es um die Zukunft Europas geht. Martin Schulz weniger. Und dann ist da die Kanzlerin. Die hat unlängst erklärt, dass die Vereinigten Staaten unter Donald Trump kein verlässlicher Partner mehr seien und sich gerade deswegen Europa auf sich selbst besinnen müsse.
    Da wirkt es fast trotzig, wie der frühere EU-Parlamentspräsident nun hier auf dem Spargeldampfer versucht, sich im Kampf um die europäische Idee nicht den Schneid abkaufen zu lassen, nicht von einer Frau, mit der er früher gut konnte, die er aber nun attackiert und beerben will: "Ich bin seit über zwei Jahrzehnten in der Europapolitik tätig gewesen. Ich habe für diese Werte in Brüssel, in Straßburg gekämpft, und viele der Dinge, die jetzt plötzlich - ob in Kabinettsälen, in Palästen oder in Bierzelten - diskutiert werden, habe ich über 20 Jahre mit meinen Kollegen vorgetragen. Das sind Teile unserer Parteiprogramme gewesen, und bei uns gab es nie einen Euro-Skeptizismus, den ich allerdings in vielen Bierzelten in Bayern während Wahlkämpfen gehört habe - in einem Stil wie Victor Orban es nicht besser machen könnte … . Deshalb: Wenn der Wahlkampf auch ein Wahlkampf um Glaubwürdigkeit in der Europapolitik ist, dann Genossinnen und Genossen, dann gewinnen wir diesen Wahlkampf in jedem Fall!"
    Nein zur Zwei-Prozent-Abgabe für die Verteidigung
    Schulz betrachtet es inzwischen als Fehler, seine europapolitische Kompetenz nur wenig eingebracht zu haben. Denn nach Trump-Wahl und Brexit-Votum ist die Sorge um die Zukunft Europas bei vielen Wählern groß. Gabriel und Schulz setzen auf die deutsch-französische Achse. Eine Rolle spielt auch der Aufbau einer gemeinsamen europäischen Armee. Martin Schulz wird nicht müde zu betonen, dass sich damit Ressourcen bündeln und Geld sparen ließe.
    Dem Drängen des US-Präsidenten, jeder NATO-Staat müsse mindestens zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung in die Verteidigung stecken, widersetzt sich der Kanzlerkandidat hingegen deutlich, ungeachtet der Tatsache, dass Frank-Walter Steinmeier als sozialdemokratischer Außenminister diese Zielvorgabe mitgetragen hatte. Die SPD als Friedenspartei - Schulz will von Schröder lernen, der 2002 mit einem entschlossenen Nein zum Irak-Krieg seine Wiederwahl möglich machte.
    Auch Außenminister Sigmar Gabriel stellt sich US-Präsident Trump in der Debatte um das Zwei-Prozent-Ziel selbstbewusst entgegen. "Wir leisten weit mehr als andere im Bereich der Hilfen für Stabilität, für Entwicklungszusammenarbeit für Flüchtlinge und Migration, 30 bis 40 Milliarden im letzten Jahr für knapp eine Million Flüchtlinge, die übrigens das Ergebnis von verfehlten militärischen Interventionen in der Welt sind."
    Überwachungskameras an einer Hauswand des Schleswig-Holsteinischen Landtags in Kiel.
    Verstärkte Videoüberwachung ist Teil des neuen Sicherheitskonzepts der SPD. (picture alliance / dpa / Markus Scholz)
    Aufrüsten wollen die Sozialdemokraten hingegen mit Blick auf die innere Sicherheit. Mehr Videoüberwachung, 15.000 zusätzliche Polizisten, Null-Toleranz gegenüber Islamisten - die Partei fährt einen ungewohnt harten Kurs. Seit dem Scheitern des Nordrhein-Westfalen Ralf Jäger ist Boris Pistorius, Innenminister im rot-grün geführten Niedersachsen, nun das Schwergewicht der Partei auf diesem Feld.
    "Die Antwort auf viele Probleme lautet Europa", betont Pistorius, der wegen seiner klaren Positionen etwa hinsichtlich der Abschiebung von straffälligen Asylbewerbern immer wieder mit Gerhard Schröders ehemaligem "Minister für Recht und Ordnung" verglichen wird, mit Otto Schily. "Nach dem Vorbild des FBI brauchen wir in einem Raum wie Europa, der definiert ist durch die Schengen-Außengrenzen, auch eine gemeinsame polizeiliche Arbeit, die nicht davon abhängig ist, in welchem Maße einzelne Mitgliedsstaaten Informationen, die sie haben, liefern oder nicht."
    Versprochen werden auch gezieltere Maßnahmen gegen die wachsende Einbruchskriminalität in Deutschland. Dabei verschärfen die Sozialdemokraten hörbar den Ton. Fraktionschef Thomas Oppermann: "Ich will, dass die Straftäter in Deutschland die ganze Härte des Gesetzes spüren!"
    Harmonie zwischen rechtem und linkem Parteiflügel
    Zurück auf dem Spargeldampfer des Seeheimer Kreises. Zu Gast ist diesmal an Bord auch die parlamentarische Linke der SPD, Kürzel: PL. Deren Chef, der Bundestagsabgeordnete Mathias Miersch, sitzt einträchtig am Tisch mit dem konservativen Seeheimer Johannes Kahrs. Rechte und linke Sozialdemokraten haben ihren Vorsitzenden in der Vergangenheit oft genug das Leben schwer gemacht, Martin Schulz aber hat momentan wohl allen Grund, den Flügeln zu schmeicheln. Fast schon geht ihm die derzeitige Harmonie ein Stück zu weit.
    "Ich habe jetzt in den letzten Monaten etwas gelernt. Die Seeheimer und die PL nähern sich in dramatischer Weise an - Gelächter - Genossinnen und Genossen, sie nähern sich an, aber sie müssen ihre Unterschiede schon noch ein Stück behalten, weil, wir sind eine Partei, die verschiedene Milieus bedienen muss. Wir können nicht nur für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe Politik machen."
    Spagat beim Steuerkonzept
    Das zeigt sich ganz deutlich am Steuerkonzept, das Schulz erst in dieser Woche vorstellte. Bis zuletzt hatte die SPD-Führung gezögert und gerechnet - die finanzpolitischen Vorstellungen einer Partei gelten schließlich gemeinhin als Lackmustest für deren Regierungsfähigkeit. Und in der Tat versuchen die Sozialdemokraten den Spagat: Einerseits soll die alte Klientel bedient werden - Geringverdienern mit einem Monatseinkommen von weniger als 1.300 Euro werden sinkende Sozialabgaben in Aussicht gestellt.
    Das Zimmermädchen oder die Friseurin, oftmals in Teilzeit tätig, nimmt Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel, Mitautor des Steuerkonzeptes, in den Blick. Mit Steuersenkungen sind die untersten Berufsgruppen nicht zu erreichen, weil sie ohnehin keine Einkommenssteuer zahlen. Wenn die SPD regiert, sollen sie mehr im Portemonnaie haben: "Das sind immerhin für jemanden, der um die 850 Euro im Monat verdient, am Ende Entlastungen von 300 Euro im Jahr, also erheblich, angesichts der Verdienstsituation, die wir dort haben."
    Andererseits kann Martin Schulz keinen glaubwürdigen Gerechtigkeitswahlkampf führen, ohne die Wohlhabenden stärker zur Kasse zu bitten. Ab einem Jahreseinkommen von 250.000 Euro fordert die SPD einen Spitzensteuersatz von 48 Prozent inklusive drei Prozent Reichensteuer. Damit sind sie meilenweit von der Linkspartei entfernt, die den Superreichen 75 Prozent abverlangen will. Zugleich aber macht die SPD einen entscheidenden Schritt auf die sogenannte politische Mitte zu, ohne die sich keine Wahl gewinnen lässt.
    Olaf Scholz, Hamburgs Bürgermeister und ebenfalls Parteivize, bringt auf den Punkt, worum es geht: "Sie wissen alle, dass es große Klagen darüber gibt, dass bei einem zu versteuernden Einkommen von 54.000 Euro etwa schon der heutige Spitzensteuersatz von 42 Prozent anfällt, da kann sich mancher vorstellen, dass er darunter fällt. Es trifft viele, die sich selber nicht als sehr wohlhabend empfinden und das als ungerechten Zustand für sich wahrnehmen."
    "Kalte Progression" - Lohnerhöhungen gibt es dann nur auf dem Papier.
    Die Pläne zum Spitzensteuersatz stoßen sowohl bei der Wirtschaft als auch bei den Parteilinken auf Kritik. (dpa / picture-alliance / Armin Weigel)
    Deshalb die Idee der SPD: Erst ab einem Jahreseinkommen von 76.000 Euro soll ein Spitzensteuersatz von 45 Prozent greifen. Für den Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer ein konsequenter Ansatz des SPD-Kanzlerkandidaten. "Da ist er wie Merkel, er zielt auf die Mitte der Gesellschaft. Das ist das Feld, um das beide sich kümmern und auf dem sie die Stimmen holen wollen, die sie brauchen, entweder eine Mehrheit zu behalten - die Union - oder eine Mehrheit zu kriegen wie die SPD."
    Allerdings bekam Schulz erst in dieser Woche zu spüren, wie sehr er den Zorn der Wirtschaft mit seinem Steuerkonzept auf sich zieht. Personengesellschaften werden im Einkommenssteuerrecht wie Einzelpersonen behandelt, so die Klage, die Pläne der Sozialdemokraten im oberen Einkommensbereich würden damit mittelständische Unternehmer treffen. Das umso mehr, da die Sozialdemokraten zwar den Solidaritätszuschlag ab 2020 abschaffen wollen, zunächst aber nur für Steuerzahler mit maximal 52.000 Euro Jahreseinkommen.
    Der Linken in der SPD hingegen gehen die vorgesehenen Belastungen für die Wohlhabenden noch nicht weit genug. Dass die SPD-Führung auf die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer verzichtet, dürfte beim Programmparteitag am Sonntag also noch für Diskussionen sorgen. Der große Aufstand aber wird nicht erwartet.
    Nach Schulz-Hype: Umfragewerte abgestürzt
    Und doch läuft nichts wirklich rund bei den Genossen: Schulz liegt nach kurzzeitigem Hype in den Beliebtheitswerten wieder meilenweit hinter Merkel, die Partei befindet sich in aktuellen Umfragen wieder da, wo sie vor der Ernennung des Spitzenkandidaten dümpelte: im mittleren 20-Prozent-Bereich. Holprig verlief auch die Vorstellung der Eckpunkte des Wahlprogramms durch die Programmkommission. Und Katharina Barley geriet als Generalsekretärin nach drei verlorenen Landtagswahlen in die Kritik, weil sie die Abteilung Attacke nicht offensiv genug besetze. Der Vorsitzende wollte dennoch an ihr festhalten, nutzte nach dem Ausscheiden von Manuela Schwesig aber die Gelegenheit, sie zur Familienministerin zu machen.
    Familiengeld, Familienarbeitszeit, Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit, Abschaffung der Kita-Gebühren, die Ehe für alle, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf - das Wahlprogramm enthält einiges, was Barleys Ressort betrifft. Als Ministerin hingegen wird sie in der verbleibenden Regierungszeit praktisch nichts mehr bewirken können. "Insgesamt lege ich die Arbeit natürlich so an, dass sie über diese Arbeit hinausgeht. Wir haben viele Grundlagen, die wir jetzt zu legen haben. Die Berichte, die wir jetzt vorlegen, gehören dazu, denn um die richtigen Maßnahmen anzustoßen, braucht man erst einmal eine gute Beschreibung des Zustandes!"
    Gleichstellungsbericht, Jugendbericht, Pflegebericht - es sind Bilanzen schwarz-roter Regierungsjahre. Und nicht nur Katharina Barley hört sich häufig - trotz aller Wahlkampfrhetorik - so an, als würde sie sich durchaus vorstellen können, diese Arbeit mit der Union notfalls fortsetzen zu können. Das Wahlprogramm, das die Partei in Dortmund verabschieden wird, steht dem jedenfalls grundsätzlich nicht im Wege.