Entsprechende Regelungen müsse Arbeitsminister Hubertus Heil schon in der kommenden Woche im Kabinett auf den Weg bringen, sagte der SPD-Norbert Walter-Borjans im Dlf-Interview der Woche. Von staatlichen Hilfen, die "mit der Gießkanne ausgeschüttet werden" hält Walter-Borjans nichts. Wie sehr die Corona-Krise den Haushalt tatsächlich belasten werde, könne derzeit niemand absehen.
Schnelle Hilfe für Flüchtlinge in Griechenland geboten!
Norbert Walter-Borjans drängt auf eine unmittelbare deutsche Unterstützung für Flüchtlinge in Griechenland. "Es geht um jetzt!" Die Europäische Union dürfe nicht zusehen, wie Kinder sterben, etwa 1000 unbegleitete Minderjährige müssten schnell aus den Flüchtlingslagern herausgeholt werden.
Der SPD-Chef setzt auf die Beteiligung anderer europäischer Staaten. Aber: "Wir werden die Menschen nicht sterben lassen, wenn diese Lösung nicht schnell herzustellen ist, dann muss Deutschland handeln, erst recht, wenn SPD-geführte Bundesländer und viele Kommunen die Bereitschaft erklärt haben, diese überschaubare Zahl von Menschen aufzunehmen."
Darüber hinaus brauche Griechenland Unterstützung bei der Aufnahme von Flüchtlingen – EU-Staaten die sich nicht beteiligen, müssten seiner Ansicht nach bei den Haushaltsbeschlüssen entsprechend sanktioniert werden.
Koalitionsausschuss soll Milliardeninvestitionen beschließen
Ungeachtet der wirtschaftlichen Folgen, die durch die Corona-Krise entstehen könnten, fordert Walter-Borjans Milliardeninvestitionen, um Deutschland zukunftfähig zu machen. Er verlangt, Milliardeninvestitionen auf allen Ebenen. Ob das zu einer Aufgabe der Schwarzen Null und zu einer Neuverschuldung führt, ist nach Ansicht von Walter-Borjans noch offen: "Da sind wir im Moment nicht. Wir sind jetzt gemeinsam der Auffassung, im Moment sind die Mittel da, die setzen wir ein!"
Das Interview in voller Länge:
Frank Capellan: Herr Walter-Borjans, als Sie hier eben ins Studio gekommen sind, haben wir uns per Handschlag begrüßt – auch in Zeiten von Corona –, andere sehen das mittlerweile schon anders. Hat sich Ihr Alltag schon verändert durch diese Epidemie?
Norbert Walter-Borjans: Also, ich nehme das ernst, ich nehme auch ernst, dass sich Menschen Sorgen machen, aber ich gehöre ganz ehrlich gesagt zu denen, die sich In ihrem Verhalten nicht geändert haben. Für mich hat immer dazugehört, dass ich mir am Tag immer wieder die Hände wasche, und dass ich vorsichtig bin, aber ich schüttele Hände und ich fahre U-Bahn, ich fahre S-Bahn, die sind oft ziemlich voll und dann sehe ich, ehrlich gesagt, keinen Unterschied darin, dann anschließend auch in eine Veranstaltung zu gehen, in der viele Menschen sind.
Wie gefährlich ist das neue Coronavirus?
Die Zahl der Infizierten mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 steigt trotz Gegenmaßnahmen weiter - auch in Deutschland. Die Weltgesundheitsorganisation hat Ende Januar den "internationalen Gesundheitsnotstand" ausgerufen.
Die Zahl der Infizierten mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 steigt trotz Gegenmaßnahmen weiter - auch in Deutschland. Die Weltgesundheitsorganisation hat Ende Januar den "internationalen Gesundheitsnotstand" ausgerufen.
Capellan: Und dieses Krisenmanagement, dass der Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU da betreibt, halten Sie für gut?
Walter-Borjans: Na ja, ich meine, es ist immer eine neue Herausforderung, vor der man steht, insofern kann jeder wenig zurückgreifen auf etwas, was man immer schon so gemacht hat. Ich finde es nicht richtig, wenn man dann, nur, wenn man Parteivorsitzender einer anderen Partei ist, sofort versucht, das Haar in der Suppe zu finden. Ich finde, wir müssen hier den Menschen eine sehr klare Orientierung geben, die stelle ich mir manchmal etwas besser vor, aber es gibt jetzt keinen Anlasse, das im Detail auseinanderzupflücken.
Capellan: Diese Orientierung, die Sie ja möglicherweise da vermissen, wir erleben das, dass in Italien die Schulen geschlossen werden, in Deutschland nicht. Wir erleben, dass gerade Südtirol zum Krisengebiet erklärt worden ist, Menschen, die von dort gekommen sind, sollen zunächst mal zu Hause bleiben, gewissermaßen in Quarantäne, auf der anderen Seite haben wir an diesem Wochenende auch wieder Fußballspiele. Sie kommen aus Nordrhein-Westfalen, Sie sind ein Fan des 1. FC Köln, der hat gerade gewonnen, von daher sind Sie guter Laune, aber diese Spiele finden – anders als in Italien – nicht vor leeren Rängen statt. Also, da fragt sich doch der Bürger, wie kann das sein, dass die einen so entscheiden, die anderen so?
Walter-Borjans: Jetzt könnte ich natürlich sagen, der FC hat wiedermal gewonnen und wenigstens in einem kleinen Stadion in Paderborn, insofern mit geringerer Gefahr. Aber ich will das nicht runterspielen.
Capellan: Aber wir haben das Krisengebiet Heinsberg, wo Mönchengladbach spielt...
Walter-Borjans: Wir haben eindeutig gerade in Nordrhein-Westfalen mehr Fälle als anderswo. Und natürlich muss man dann Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, wir müssen dafür sorgen, dass jetzt mal neuralgische Punkte nicht unnötig, sozusagen, zu Bakterien oder zu Virenüberträgern werden, aber …
Capellan: Aber steht uns da, pardon, wenn ich Sie unterbreche, steht uns manchmal auch der Föderalismus im Weg, dass beispielsweise bei Großveranstaltungen die Entscheidung darüber, welche abgeblasen werden, ist nicht beim Bund, sondern bei den Behörden vor Ort, bei den Ländern. Ist das richtig?
Walter-Borjans: Na ja, ich war ja mal lange Jahre Minister in einer Landesregierung. Wir haben immer großen Wert darauf gelegt, das tue ich immer noch, dass der Föderalismus in Deutschland eine wichtige Größe ist, wenn man mal ein Land wie Nordrhein-Westfalen nimmt, das ist so groß wie die Niederlande, die Niederlande machen auch ihre eigenen Regelungen, also, ich kann jetzt nicht erkennen, dass das davon abhängt, ob man eine bundesweit zentrale Durchgriffsmöglichkeit hat. Aber man sieht an dieser Unterschiedlichkeit, egal, ob es zwischen den Bundesländern ist oder zwischen den Staaten Europas der Fall ist oder der Welt, dass man unterschiedliche Wege für die richtigen hält. Ich sitze morgens in der U-Bahn, die ist überfüllt, ich müsste mir dann Gedanken machen, ob man nicht sagt, der öffentliche Personennahverkehr muss eigentlich eingestellt werden. Also, wenn ich das in Fußballstadien mache, ist okay, das eine ist freiwillig, das andere muss man tun.
"Keine Konjunkturpakete, die mit der Gießkanne ausgeschüttet werden"
Capellan: Das hat ja auch Folgen, wenn solche Veranstaltungen abgeblasen werden, insgesamt sind die wirtschaftlichen Folgen dieser Epidemie, wenn ich daran denke, dass Lufthansa die Hälfte aller Flüge jetzt streichen will, wir haben Lieferketten, die unterbrochen sind, weil die Ersatzteile aus China fehlen. Wie geht man damit um als Staat, wie viel Hilfe kann die deutsche Wirtschaft da erwarten?
Walter-Borjans: Also, ich halte nicht viel davon zu sagen, wir brauchen jetzt Konjunkturpakete, die mit der Gießkanne ausgeschüttet werden, sondern die Frage ist, in welchen Branchen, in welchen Unternehmensgrößen vor allen Dingen auch, trifft es am schnellsten. Und dann werden wir feststellen, das sind all die Unternehmen, die von Lieferketten etwa nach China abhängig sind, etwa im Veranstaltungsgewerbe, im Konferenzgewerbe oder im Verkehr und die können sehr schnell in Liquiditätsprobleme kommen und dafür muss der Staat zum Beispiel jetzt Instrumente bereithalten.
Capellan: Das ist ja jetzt auch Thema, also, dieser Sonntag steht ja ganz im Zeichen des Koalitionsausschusses und da wird ja sicherlich das Coronavirus eine große Rolle spielen. Und was der Staat da tun kann. Da wird geredet jetzt beispielsweise über ein gelockertes Kurzarbeitergeld.
Walter-Borjans: Das ist zum Beispiel ein Punkt, wenn jetzt Branchen betroffen werden, dann werden Menschen in ihrem Arbeitsleben betroffen. Und das bedeutet, wir müssen darüber nachdenken, dass Menschen jetzt nicht nur, wenn der Gesamtmarkt gestört ist, Kurzarbeit oder Unternehmen Kurzarbeit beantragen können, sondern, dass das auch branchenbezogen und betriebsbezogen gehen kann. Wir wollen auch bei Teilmarktstörungen die Möglichkeit haben, dass bis zu zwei Jahren Kurzarbeitergeld zur Verfügung steht, was jetzt sehr schnell in Kabinett und Parlament auch umgesetzt werden muss.
Capellan: Wie viel Geld muss man …
Walter-Borjans: Das wird der Arbeitsminister Hubertus Heil auch tun.
Capellan: Wie viel Geld muss man da in die Hand nehmen?
Walter-Borjans: Ja, da geht es jetzt erst mal gar nicht um die Frage, wie viel Geld man in die Hand nehmen muss, sondern wie die Regelung aussieht. Und daraus wird sich natürlich ableiten, wie viel Geld es kostet. Hubertus Heil wird damit am Mittwoch ins Kabinett gehen und das ist genau der richtige Weg, finde ich, dass man bezogen auf die Branchen, die betroffen sind, eine schnelle Möglichkeit schaffen muss, dass die Arbeitsmarktpolitik flexibel wird, da sind wir auf dem richtigen Weg.
Walter-Borjans: Mehr Geld in die Hand nehmen, um zukunftsfähig zu sein
Capellan: Aber bringt diese Epidemie Ihre Vorstellungen über ein Investitionsprogramm der Bundesregierung ins Wanken, weil man eben da doch viel mehr Geld jetzt ganz aktuell bereitstellen muss?
Walter-Borjans: Im Gegenteil. Ich würde sogar sagen, es macht sichtbar, wie schnell wir beginnen müssen. Weil das Investitionsprogramm, das wir debattieren werden im Koalitionsausschuss, das wird sich mit einer langfristigen, verlässlichen Investitionsgrundlage beschäftigen. Jeder kann sehen und fühlen, wie unsere Schulen aussehen, wie unsere Straßen und Brücken aussehen, wie es um den öffentlichen Personennahverkehr bestellt ist, wie die Mobilfunkverbindungen sind. Jeder weiß, dass ein Land, wie Deutschland, das Zukunft haben will, viel mehr Geld in die Hand nehmen muss, um zu investieren.
Capellan: Da wollen wir gleich noch drüber sprechen.
Walter-Borjans: So, kurz noch, für zehn Jahre mindestens. Bei der Frage der Konjunkturflaute oder -delle mit dem Coronavirus, da reden wir ja nicht von dem, was in drei, vier oder fünf Jahren passieren muss, sondern, was jetzt passieren muss. Und auch da haben wir ja schon einen Teil in unserem Vorschlag drin, das eine ist, wir wollen die Abschaffung des Soli für 90 Prozent der Bevölkerung ein halbes Jahr vorziehen, …
Capellan: Das kostet Geld, das Vorziehen.
Walter-Borjans: Das kostet fünf Milliarden in diesem Jahr und wären fünf Milliarden Konjunkturprogramm, weil diese Bevölkerungsgruppen, die das kriegen würden, die geben einen großen Teil des Geldes, das sie einsparen, auch aus, stecken das in die Wirtschaft und fangen etwas auf, was an anderer Stelle verlorengeht.
"Ich halte die Soli-Abschaffung für extrem wichtig"
Capellan: Wie wichtig ist es für Sie, dass die Union, die sich ja noch sträubt, da am Ende mitspielt, wirklich die Soli-Abschaffung, die Teilweise-Soli-Abschaffung, für etwa 90 Prozent der Zahler, dass Sie die vorzieht auf den Juli?
Walter-Borjans: Also, ich halte die für enorm wichtig aus den gerade genannten Gründen. Und ich verstehe überhaupt nicht, dass, wenn man das will, dass man es ab 2021 umsetzt und gemeinsam beschlossen hat, warum man jetzt etwas dagegen haben könnte, in dieser Situation diese fünf Milliarden Konjunkturimpuls auch schon im Jahr 2020 in die Hand der Menschen zu geben, die damit entscheiden, was sie tun. Wir müssen eigentlich ein Interesse haben, genau das jetzt zu tun, das ist vernünftig, das ist richtig und es kommt bei den richtigen Menschen an.
"Unmenschliche Bedingungen bei denen, die EU nicht zusehen kann"
Capellan: Also, ich verstehe Sie jetzt so, dass das auch gewissermaßen eine rote Linie ist, eine Forderung, mit der Sie in den Ausschuss gehen. Eine andere, das haben wir gehört von Ihrem Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, soll die Flüchtlingshilfe sein, dass man zumindest – wir erleben eine dramatische Situation an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei –, dass man zumindest minderjährige Kinder schnell aus Griechenland von den griechischen Inseln nach Deutschland holt, nach Europa holt. Da war gesagt worden, das muss entschieden werden, jetzt endlich im Koalitionsausschuss.
Walter-Borjans: Absolut. Weil das ist ein Thema, bei dem wirklich nicht die Frage ansteht, muss das im März, April, Mai, Juni sein oder im nächsten Jahr, sondern es geht um jetzt. Wir haben jetzt unerträgliche, unmenschliche Bedingungen für Menschen, die schon auch zu einem großen Teil in der Europäischen Union sind, die auf Lesbos sind, in Griechenland sind, bei denen keine Europäische Union, die auch Werte vertritt, was Humanität angeht, was Menschlichkeit angeht, zusehen kann, wie Menschen, wie Kinder, wie unbegleitete Jugendliche, wie kranke Kinder dort quasi sterben, nur, weil man irgendwelche Prinzipien aufrechterhalten will.
Capellan: Der Bund entscheidet, wer geholt werden darf, auch welche Kinder geholt werden dürfen. Sie haben viele sozialdemokratisch geführte Länder und Kommunen, die sagen, wir könnten die Menschen aufnehmen.
Walter-Borjans: Ja.
Capellan: Boris Pistorius, Innenminister aus Niedersachsen, war dort, hat gesagt, wir reden da über tausend Kinder möglicherweise, nicht mehr. Warum ist das so schwierig, die schnell nach Deutschland zu holen?
Walter-Borjans: Also, es gibt wenige Bereiche, in denen die Realität einen so überrumpelt, wie gerade diese Außen- und Sicherheitspolitik, weil wir es immer wieder zu tun haben mit Menschen, die Despoten sind, die skrupellose Machtpolitiker sind, die Menschen missbrauchen zur Durchsetzung ihrer Interessen. Und es ist einfach enorm schwierig, eine Lösung zu bringen, die den Menschen, die da praktisch als Instrument benutzt werden, dient, ohne damit gleichzeitig dem dahintersteckenden Diktator oder Machtpolitiker das Signal zu geben, du kannst machen, was du willst. Das ist einfach, es ärgert einen immer wieder, das muss ich ganz klar sagen. Aber es darf dann trotzdem nicht so sein, dass man dann sich zurücklehnt und sagt, dann haben diese Menschen eben Pech gehabt. Und wir reden von europäischen Werten, dann kann es nicht sein, dass Deutschland alleine ist. Und das ist es ja auch nicht. Es gibt ja einige Länder, die sogenannten Willigen von Portugal bis Finnland, die sich beteiligen würden. Allerdings muss Deutschland dann auch dazugehören.
"Wir werden die Menschen nicht sterben lassen"
Capellan: Ja, wo ist dann das Problem? Also, wenn man …
Walter-Borjans: Das wollen wir, deswegen haben wir ja auch gesagt, wir wollen in dieser Koalition diese Lösung herbeiführen, die muss im Koalitionsausschuss herbeigeführt werden und die sieht so aus, dass wir mit europäischen Staaten zusammen eine Lösung finden werden. Dass wir aber auch sagen, wir werden die Menschen nicht sterben lassen, wenn diese Lösung nicht schnell herzustellen ist. Dann muss Deutschland handeln und erst recht, wenn SPD-regierte Bundesländer und viele Kommunen, die Bereitschaft erklärt haben, diese überschaubare Zahl von Jugendlichen aufzunehmen.
Capellan: Das wäre genau meine nächste Frage. Weil die Grünen gehen ja deutlich weiter. Die sagen, wir müssen auch die Menschen, die jetzt es schon nach Griechenland geschafft haben, die müssen wir geordnet auch aufnehmen. Wir hören Gegenteiliges aus Griechenland. Ein Kollege von mir ist in den vergangenen Tagen dagewesen, hat davon berichtet, dass es eben diese Push-Back-Aktionen gibt, dass die Griechen die Menschen auch wieder zurückdrängen, auf zweifelhafte Art und Weise. Es gibt einen rechten Mob etwa auf Lesbos, Schlägerbanden, die auf Flüchtlinge losgehen, auf NGOs, das sind doch alles Dinge, die eine Partei – wie die SPD – eigentlich nicht mitmachen darf, oder?
Walter-Borjans: Nein. Das macht sie auch nicht mit. Nur …
Capellan: Aber sie sind trotzdem nicht bereit, solche Menschen nach Deutschland zu holen – im Rahmen von Kontingenten etwa – wie es die Grünen sagen.
Walter-Borjans: Doch, wir haben ja gesagt, wir müssen eine Abwägung finden zwischen der unmittelbar notwendigen humanitären Hilfe, die eine Verpflichtung für jeden zivilisierten Menschen, ob Sozialdemokrat, Grüner oder sonst wer sein muss. Die müssen wir hinkriegen mit zugleich einer natürlich auch Akzeptanz in der Bevölkerung. Wir haben nichts davon, wenn wir nicht Überzeugungsarbeit geleistet bekommen und es gibt in Deutschland eine große Welle von Bereitschaft – auch heute noch – Menschen aufzunehmen. Wir dürfen uns von den rechten Pöblern, die da Stimmung machen, auch nicht aus dem Konzept bringen lassen.
Capellan: Aber wie soll man es machen? Was schlagen Sie vor?
Walter-Borjans: Ja, aber wir dürfen auch nicht gleichzeitig ein Signal an die Türkei, an die Machthaber in Syrien, lenken und sagen, guck mal, Ihr müsst nur einfach durchführen, durchschleusen, und dann wird das sich schon irgendwo lösen. Das müssen wir hinkriegen. Und ich bin sehr sicher, dass wir das sehr umfassend im Koalitionsausschuss behandeln werden, und dass wir eine Lösung finden werden, die man nicht hinbekommen hätte, wenn man einfach nur einem Bundestagsantrag zugestimmt hätte.
"Dass Griechenland nicht alleine gelassen wird"
Capellan: Also, machen Sie sich für Kontingente stark?
Walter-Borjans: Ich mache mich stark dafür, dass Menschen, die in Not sind und erst recht, die schon in Europa sind, dass man die nicht einfach den Griechen überlässt, sondern, dass wir uns in Europa für eine Lösung stark machen müssen, die dafür sorgt, dass diese Menschen ein menschenwürdiges Leben haben, aber dass auch Griechenland nicht alleine gelassen wird.
Capellan: Wie viele Menschen könnte Deutschland aufnehmen?
Walter-Borjans: Das ist immer so eine Hausnummer, die dann erwartet wird. Ich finde, wir brauchen eine europäische Lösung, und zwar eine mit denen, die in Europa schon mal bereit sind. Allerdings sage ich genau so, die, die in Europa sich dieser Solidarität immer entziehen, die dürfen nicht am Ende nur Nutznießer sein und immer bekommen, was sie brauchen, aber sich nicht beteiligen an dem, was auch Pflichten sind in Europa.
Capellan: Also, die müssen über die Haushaltsberatungen bestraft werden?
Walter-Borjans: Ich bin sehr stark dafür, dass sich das in der Zurverfügungstellung von Mitteln der Europäischen Union auch auswirken muss.
"Natürlich müssen wir die Außengrenzen schützen"
Capellan: Sie sagen aber auch, man muss die europäischen Außengrenzen schützen und notfalls auch die deutschen Grenzen, so wie es von der Union jetzt gefordert wird, stärker kontrollieren, damit sich die Bilder von 2015 nicht wiederholen. Dahinter steckt auch die Sorge vieler Politiker – so habe ich den Eindruck – dass die AfD noch stärker werden könnte. Denn 2015 ist die erst durch die Flüchtlingskrise stark geworden.
Walter-Borjans: Ja, natürlich müssen wir die Außengrenzen schützen. Ich wäre natürlich sehr stark dafür, dass wir das, was wir gewonnen haben in den letzten Jahrzehnten, nämlich einen freien, nicht nur Waren- und Güterverkehr, sondern auch Personenverkehr innerhalb dieses Europas aufrechterhalten. Das hängt aber dann davon ab, dass wir denen, die die Außengrenzen sichern, helfen, es sind nicht nur Griechenland, nicht nur Italien, die dann dafür zuständig sind, sondern das ist auch Europa.
"Die AfD ist ein Brandbeschleuniger"
Capellan: Die AfD spricht bereits wieder vom drohenden Kontrollverlust. Es wird auch wieder Stimmung gemacht gegen Flüchtlinge. Welchen Anteil hat – nach Ihrer Einschätzung – die AfD daran, dass wir zu diesem vergifteten Klima in Deutschland gekommen sind und auch zu den Anschlägen in Hanau?
Walter-Borjans: Die AfD ist ein ganz klarer Brandbeschleuniger. Die AfD, das muss man ganz klar sagen, die nimmt den Unmut, den es immer in einer Gesellschaft gibt, auf und macht ihn erst zu einer Waffe. Und sie kann sich nicht dahinter zurückziehen, dass dann Täter, die etwas verursachen, eigentlich ja nichts mit der AfD zu tun haben. Sie bildet das Klima dafür, dass Menschen – ich habe das mal Schwarmterroristen genannt –, dass die sozusagen aus eigenem Antrieb meinen, dieser Sache zu dienen, die unsere Gesellschaft am Ende zerfrisst. Und da ist die AfD absolut verantwortlich.
Capellan: Und Sie nehmen der AfD nicht ab, was sie jetzt nach den Anschlägen von Hanau gesagt hat, dass sie sich auch in der Sprache zügeln will?
Walter-Borjans: Na ja, also, ich meine, es ist ja schön, wenn sie sich jetzt erst mal zügeln will, den Beweis dafür, den wird sie erst noch antreten müssen. Ich kenne nur die Sprache, die sie schon gewählt hat in den vergangenen Jahren und die ist ja der Ausgangspunkt dafür gewesen. Man muss sich ja nur in den sozialen Netzwerken bestimmte Wiederholungen anderer angucken, dann ist das der O-Ton, den die Höckes und anderen in dieser Republik schon gewählt haben und insofern sich dann hinterher mit Krokodilstränen zu schmücken, das halte ich ehrlich gesagt für scheinheilig.
"Olaf Scholz und ich haben eine gute Gesprächsgrundlage entwickelt"
Capellan: Lassen Sie uns beim Geld bleiben und noch ein wenig reden über den Koalitionsausschuss. Sie fordern ein milliardenschweres Investitionsprogramm, es gibt derzeit auch viel Geld zu verteilen, auch wenn nicht absehbar ist etwa, was die Coronakrise kosten wird – wir haben darüber gesprochen – 17 Milliarden Euro Überschuss aus dem Jahr 2019. Wir haben immer den Eindruck, dass Sie sich nicht so ganz einig sind mit Olaf Scholz, dem Finanzminister, wofür das Geld verwendet werden soll. Sie gelten so ein bisschen als der Schatten-Finanzminister, der viele steuerpolitische Vorschläge auch gemacht hat, worauf es dann wenig Reaktion gibt von Olaf Scholz. Wie funktioniert diese Arbeitsteilung? Kann sie auf Dauer funktionieren?
Walter-Borjans: Also, ich kann diese Einschätzung, die gerne mal in der Öffentlichkeit so dargestellt wird, nicht teilen. Ich glaube, dass meine Wahl zum Vorsitzenden Impulse für diese Investitions- und Finanzpolitik in die SPD und damit auch in die Politik hineingebracht hat. Und ich glaube, dass umgekehrt auch Olaf Scholz und ich dazu eine wirklich gute Gesprächsgrundlage entwickelt haben. Wenn ich mir angucke, was wir jetzt in den Koalitionsausschuss einbringen, dann muss man ganz klar sagen, da ist die Handschrift von beiden drin und um das ging es auch. Wir haben ja nicht kandidiert nach dem Motto, der eine gewinnt und der andere muss sich völlig zurückziehen, sondern es ging darum, dass wir gesagt haben, die gewinnen (haben natürlich), setzen Akzente, aber auf der anderen Seite geht es darum eine gemeinschaftliche Lösung zu finden. Wir sind jetzt dabei, dass wir der CDU/CSU präsentiert haben, etwas, was ja nicht nur von Arbeitnehmerseite oder von der SPD entwickelt worden ist, sondern hier sind ja Bundesverband der Deutschen Industrie und Gewerkschaften gemeinsam der Auffassung, dass in diesem Land massiv Sanierungsbedarf, Entwicklungsbedarf für Digitalisierung, aber eben einfach Reparaturbedarf da ist. Wir haben über Jahrzehnte auf Verschleiß in dieser Republik gelebt. Und so kommt ja diese Zahl zustande, dass nicht wir die erfunden haben, sondern die Institute von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die sagen, wir brauchen fast eine halbe Billion, also 450 Milliarden, in zehn Jahren, um das überhaupt wieder auf ein Niveau zu bringen, dass Deutschland wirklich ein zukunftsorientierter Industriestaat ist.
Capellan: Auf der anderen Seite, auch darüber werden Sie ja wohl sprechen, gibt es einen Investitionsstau und Milliarden, zig Milliarden werden nicht abgerufen.
Walter-Borjans: Ja.
Capellan: Das Geld ist da und muss zurückgegeben werden.
Walter-Borjans: Ich wollte auch erst mal sagen, diesen Rahmen, den ich eben benannt habe, sehen Olaf Scholz und ich gemeinsam. Und Sie sprechen das Richtige an, sicher zu sein, dass es über zehn Jahre auch diese Mittel gibt, weil, wenn Sie nicht sicher sind, dann werden Sie in einer Kommune keine Planungskapazitäten aufbauen, dann werden Sie, wenn Sie in der Bauindustrie tätig sind, weder die Maschinen kaufen, noch die Leute einstellen. Und das heißt in dem Moment, wo das Geld da ist, fließt es nicht ab, weil die Kapazitäten nicht ausreichen. Und genau das wollen wir machen, dass wir durch eine klare Aussage, dass wir auf allen Ebenen des Staates – Bund, Länder und Gemeinden – runde 45 Milliarden Euro jedes Jahr zur Verfügung stellen für diese wichtigen Dinge, von Straßen über ÖPNV bis zu Krankenhäusern und Sportstätten. Dass mit dieser Sicherheit auch die Planungskapazitäten da sind, um es abfließen zu lassen.
"Wir müssen auch das Planungsrecht überarbeiten"
Capellan: Geht das ohne zusätzliche Neuverschuldung – Stichwort "Schwarze Null"?
Walter-Borjans: Das ist der Punkt, der mir immer wichtig war, nicht, dass wir die Schwarze Null nicht einhalten, wenn das Geld da ist, das ist doch bei jedem Privathaushalt auch so, dann freue ich mich darüber, dass ich wichtige Anschaffungen ohne Kredite leisten kann. Nur, wenn ich wegen des mangelnden Geldes in den nächsten Jahren dann wieder aufhöre zu investieren, dann verschiebe ich doch Schulden in Form von maroden Schulen und Straßen in die Zukunft auf die nächste Generation. Dann halte ich es für richtiger zu sagen, ich darf dann mit der Kassenlage bitte nicht aufhören, das Investieren, und dann muss man auch in der Lage sein, in dieser Zeit einen Kredit aufzunehmen, da sind wir im Moment aber nicht, wir sind jetzt gemeinsam der Auffassung, im Moment sind die Mittel da, die setzen wir ein. Es gibt aber noch einen Punkt, außer der Planungssicherheit durch zur Verfügung stehendes Geld, wir müssen auch das Planungsrecht so überarbeiten, dass das, was gemacht werden soll, auch in kurzer Zeit umsetzbar ist, und dass es nicht Jahre dauert, bis man irgendeinen Mast für Mobilfunk beispielsweise aufstellt.
Capellan: Sie sagen, das Geld muss da sein. Notfalls muss man sich auch wieder verschulden. Die Union sagt, das Geld ist da, auch um Unternehmenssteuern zu senken. Und wir müssen das gerade jetzt tun, wo Deutschland in der Gefahr steht, in eine Rezession zu rutschen. Stichwort auch Coronavirus.
Walter-Borjans: Ja. Ja, ich kenne das.
Capellan: Warum sträuben Sie sich so dagegen?
Walter-Borjans: Weil das wieder dieses Gießkannen-Prinzip ist. Also, die CDU und auch früher die FDP kommen immer und sagen, wenn es gut läuft, ja, ist doch viel Geld da, statt jetzt zu investieren, gebt es zurück, wie das dann immer so schön heißt. Das heißt senkt die Steuern, wenn es gut läuft, wenn es schlecht läuft, sollen die Steuern gesenkt werden, damit es wieder besser läuft, das heißt, das Rezept ist immer dasselbe zu jeder Zeit und es würde dazu führen, dass wir am Ende praktisch einen handlungsunfähigen Staat haben. Und dann gleichzeitig auch zu sagen, wenn dann Corona oder irgendwas anderes kommt, dann gibt es auch Konjunkturprogramme für die Branchen, die es wirklich brauchen und nicht nach dem Motto, wir senken mal überall die Steuern und die einen können sich freuen, weil sie gar keine Lasten damit verbunden haben und die anderen, die haben zu wenig, um ihre Lasten wirklich auffangen zu können.
"Unternehmenssteuer runter bei sprudelnden Gewinnen, wäre nicht gerecht"
Capellan: Also, die Senkung der Unternehmenssteuern ist mit Ihnen absolut nicht zu machen?
Walter-Borjans: Wir haben beide im Übrigen – Olaf Scholz und ich – gesagt, immer zu rufen Unternehmenssteuern runter, bei sprudelnden Gewinnen in bestimmten Branchen, das wäre auch nicht gerecht.
Capellan: Könnte das die Koalition gefährden? Nach Thüringen, die Verwerfungen, die es da gegeben hat, und jetzt der Blick auf die neue Unionsspitze, der Koalitionspartner ist viel mit sich selbst beschäftigt, wie sicher ist die Koalition?
Walter-Borjans: Sie sprechen etwas an, was jetzt von der Seite der CDU/CSU kommt, dass man merkt, es verhärten sich Fronten in ganz bestimmten Fragen, etwa des Investierens, der Entlastung der Kommunen von ihren Altschulden …
Capellan: Wegen des Vakuums und wegen des Führungsstreits.
Walter-Borjans: Wo man merkt, dass da jetzt offenbar Unklarheit besteht, wie die künftige Ausrichtung der CDU – vor allen Dingen – aussieht.
Capellan: Am 25. April haben Sie Klarheit, auch Sie als SPD.
Walter-Borjans: Ja, natürlich.
Capellan: Können Sie mit Friedrich Merz leben?
Walter-Borjans: Wir haben, also, erst mal sage ich jetzt, wenn man sich anguckt, was im Moment in der CDU vor sich geht, dann gibt es Grund zur Unsicherheit. Und wir haben immer gesagt, diese Große Koalition ist zustande gekommen unter der Bedingung, dass die Kanzlerin Angela Merkel heißt und inwiefern die Richtungsentscheidung, die die CDU jetzt treffen wird, was ihren Vorsitz angeht, inwiefern die dann diese Große Koalition und das Amt der Kanzlerin erschwert oder belastet, das wird man sehen.
Capellan: Mit wem könnten Sie denn eher leben, mit Friedrich Merz oder Armin Laschet?
Walter-Borjans: Da kann man gar nicht anders, als sich dann immer auch ein paar taktische Überlegungen zu machen. Natürlich ist eine Profilierung der CDU, ich sage jetzt mal, mehr in eine Art möglicherweise, wie sie von Herrn Merz vertreten wird, eine Absetzbewegung zu dem, wie sich SPD profilieren sollte und müsste.
"Ob die Koalition bis 2021 hält, kann ich nicht sagen"
Capellan: Aber Sie gehen davon aus, dass die Koalition bis 2021 hält?
Walter-Borjans: Das kann ich nicht sagen, weil diese Frage von Unsicherheit, die sich im Moment aus der CDU heraus ausbreitet, nicht bloß personell, sondern auch in der Frage, welche Position nimmt sie in der Koalition ein, schnell zu einem Punkt kommen kann, wo man sagt, da gibt es Unvereinbarkeiten.
Capellan: Dann stellt sich die Frage für die SPD, wie schnell können Sie in den Wahlkampfmodus gehen? Und Sie müssen sich fragen lassen, wer wird Kanzlerkandidat?
Walter-Borjans: Die Frage lasse ich mir auch stellen, weil ich auch den Anspruch habe, als Mitvorsitzender zusammen mit Saskia Esken, dass dieses Vorsitzenden-Duo einen Vorschlag macht. Ich glaube eben, dass wir gute Politikerinnen und Politiker haben, die in der Lage sind, ein solches Amt auszufüllen und …
Walter-Borjans: SPD nicht über Personen, sondern über Themen definieren
Capellan: Pardon, Sie haben aber auch gesagt in den Regionalkonferenzen, dass ist nicht die vordringlichste Aufgabe, jetzt einen Kanzlerkandidaten zu bestimmen. Da haben viele sofort gesagt, die SPD verzichtet auf den Anspruch überhaupt einen Kanzlerkandidaten zu stellen. Falsch verstanden worden?
Walter-Borjans: Nein, nein, ist nicht falsch verstanden worden. Aber so ist das immer mit Zusammenhängen. Man muss darauf hinweisen, dass war in einem der Duelle zwischen Klara Gallwitz und Olaf Scholz, die neben uns saßen – Saskia Esken und mir – und es ging um die Frage, dass der eine Kandidat gesagt hat, ja, ich kann mir das vorstellen und mache das dann auch selbst. Und der andere, das war ich, der gesagt hat, Leute, wir sollten nicht am Schopf einer Person versuchen die SPD, sozusagen, wieder nach oben zu ziehen, sondern wir sollten uns über ihre Inhalte, über ihre Aussagen Gedanken machen, damit sie wieder in eine Größe kommt, dass wir dann auch über die richtige Person reden können. Dabei bleibe ich. Ich glaube allerdings, wenn man sich im Moment anguckt, dass wir jetzt sogar wieder die 20 Prozent-Marke erreicht haben, in der Sonntagsfrage 16 Prozent, das zeigt, wir kommen in eine Größenordnung, in der man sicher darüber nachdenken kann, wer dann in einer SPD-geführten Regierung die Rolle des Kanzlers oder der Kanzlerin einnimmt.
Capellan: Gerhard Schröder hat an diesem Wochenende mehrere Namen genannt. Mögliche Kanzlerkandidaten der SPD. Ihr Name ist da nicht gefallen, aber Olaf Scholz ganz oben, können Sie damit leben? Könnte Olaf Scholz die SPD in den Wahlkampf führen?
Walter-Borjans: Ich habe bis jetzt das Vorschlagsrecht der Vorsitzenden so verstanden, dass es bei den aktuellen Vorsitzenden und nicht bei den früheren Vorsitzenden liegt, aber dass die sich Gedanken machen können, das ist ja niemandem verwehrt.
Capellan: Norbert Walter-Borjans, besten Dank für den Besuch hier im Studio.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.