Die rund 600 Delegierten entscheiden auf dem Parteitag, ob die Sozialdemokraten Verhandlungen mit der CDU und der CSU über eine Zusammenarbeit bei der Regierungsbildung aufnehmen sollen. Eine Neuauflage einer Großen Koalition ist unter ihnen umstritten. Sie hatten sich nach der Bundestagswahl entschieden, in die Opposition zu gehen. Nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche von CDU, CSU, FDP und Grünen sehen viele die SPD und die Union in der Verantwortung.
Jusos gegen Große Koalition
Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Hoffmann, hat die SPD zu Gesprächen mit CDU und CSU über eine mögliche Regierungsbildung aufgerufen. Auch der Geschäftsführer der SPD im Bundestag, Carsten Schneider, forderte seine Parteifreunde auf, für die Gespräche mit der Union zu stimmen. Sollte der Antrag abgelehnt werden, stünde die gesamte Führung der SPD zur Debatte. SPD-Fraktionschefin Nahles erklärte, sie werde ergebnisoffen in Gespräche mit der Union gehen. Sie ergänzte allerdings: "Ich sage Euch eins zu: Wir verschenken nichts. Wir müssen hart reden mit denen." Der SPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Dreyer plädierten für eine Minderheitsregierung.
Der Juso-Vorsitzende Kühnert lehnte vor den rund 600 Delegierten eine Neuauflage der Großen Koalition ab. An den Gründen, in die Opposition zu gehen, habe sich auch nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen nichts geändert. Er sei aber angesichts der schwierigen Lage der SPD gewillt, dem Vorsitzenden Martin Schulz einen Vertrauensvorschuss zu geben, sagte Kühnert vor Beginn des Parteitags im Deutschlandfunk.
Schulz wirbt für Gespräche mit Union
Parteichef Schulz warb in Berlin für die Unterstützung von Gesprächen mit der Union über eine Regierungsbildung. Man müsse nicht um jeden Preis regieren, sagte Schulz. Aber man dürfe auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen. Entscheidend sei, was die SPD inhaltlich durchsetzen könne.
In seiner Rede warb Schulz für ergebnisoffene Gespräche mit der Union - und verwies auf zahlreiche Forderungen seiner Partei:
- Arbeitnehmerrechte wahren
- sachgrundlose Befristungen abschaffen
- prekäre Beschäftigung eindämmen
- Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit
- Ende der Kohleverstromung
- Ein Einwanderungsgesetz in der Flüchtlingspolitik
- Mehr Integrationsangebote
- Keine Obergrenze bei Flucht vor Krieg und Verfolgung
- Bessere Bezahlung für Polizisten
- Besser ausgestatte Justiz
- Mehr bezahlbaren Wohnraum
Vereinigte Staaten von Europa bis 2025
Mit Blick auf Europa drängte der Parteichef auf einen Kurswechsel. Vier weitere Jahre Europa-Politik wie mit dem früheren Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) könne sich die EU nicht leisten. Schulz lehnte Ausgabenkürzungen ab und verlangte mehr Investitionen. Nötig sei ein europäischer Finanzminister, der den Unterbietungswettbewerb bei der Steuerpolitik eindämme und der Steuerflucht ein Ende bereite, betonte Schulz. Zudem will er die Europäische Union bis 2025 in die Vereinigten Staaten von Europa umwandeln. Notwendig dafür sei ein gemeinsamer Verfassungsvertrag. Jene EU-Mitglieder, die dieser föderalen Verfassung nicht zustimmten, sollten die EU dann verlassen, sagte Schulz.
Schulz will es besser machen
Auf dem Parteitag stellt sich Schulz auch zur Wiederwahl. Er wolle als Parteichef seinen Beitrag dafür leisten, es künftig besser zu machen, sagte Schulz. Er bitte für seinen Anteil an der bitteren Niederlage um Entschuldigung. In den vergangenen 20 Jahren habe die SPD die Hälfte ihrer Wählerschaft verloren. Schuld daran trügen nicht Bundeskanzlerin Merkel, die Medien oder der Neoliberalismus, sondern die Partei selbst. Sie habe ihr klares Profil verloren.
(rei/fwa/tgs)