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SPD-Debatte um Andrea Nahles
Esdar: Auf Ratschläge altgedienter Männer verzichten

In der Debatte um die SPD-Parteiführung hat Vorstandsmitglied Wiebke Esdar innerparteiliche Kritik an der Vorsitzenden Andrea Nahles zurückgewiesen. Nahles habe seit ihrem Amtsantritt gute Arbeit geleistet. De facto hätten die Sozialdemokraten aber ein Glaubwürdigkeitsproblem, sagte Esdar im Dlf.

Wiebke Esdar im Gespräch mit Rainer Brandes |
    SPD-Vorstandsmitglied Wiebke Esdar spricht im Bundestag
    Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles sei auf einem guten Weg, die SPD zu einer neuen Orientierung zu führen, sagte Partei-Vorstandsmitglied Wiebke Esdar im Dlf (dpa/Jens Büttner)
    Rainer Brandes: Einen Fahrplan wollte Andrea Nahles, einen Fahrplan für die Große Koalition. Bis wann werden welche konkreten Gesetze verabschiedet – am besten natürlich die, die der SPD wichtig sind. Die SPD-Chefin sieht darin den einzigen Weg, den GroKo-Zug nicht entgleisen zu lassen. Tja, aber dann kam es zu Störungen im Betriebsablauf, um im Bahnjargon zu bleiben. Zugchefin Angela Merkel steigt aus, zumindest aus dem Parteivorsitz, und jetzt redet niemand mehr über einen Fahrplan, sondern nur noch darüber, ob Andrea Nahles jetzt auch aussteigen sollte.
    Am Telefon ist Wiebke Esdar. Sie ist Mitglied im SPD-Parteivorstand, und sie war immer schon gegen die Große Koalition. Einen schönen guten Morgen!
    Wiebke Esdar: Guten Morgen!
    Brandes: Ausgerechnet Peer Steinbrück, der fordert jetzt einen deutschen Bernie Sanders, also einen dezidiert Linken, nur 30 Jahre jünger sollte er sein. Wie unfair ist das, wenn der Ex-Kanzlerkandidat der amtierenden Vorsitzenden durch die Blume sagt, sie solle gehen?
    Esdar: Ja, das ist ja leider ein Phänomen, was wir an mehreren Stellen, nicht nur durch Peer Steinbrück zu beobachten haben, dass eine Menge altgedienter, aber auch älterer und ein Stück ausgedienter Männer meinen, von der Seitenlinie Ratschläge zu machen. Meine Forderung wäre an deren Stelle, auf das zu verzichten.
    "Es ist ein Riesendruck da"
    Brandes: Andrea Nahles spürt ja offenbar auch schon den Druck. Sie hat heute der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, die Kritiker sollten sich jetzt mal offen zu Wort melden. Das heißt, wie groß ist der Druck auf sie?
    Esdar: Es ist natürlich ein Riesendruck da, weil wir schlechte Ergebnisse bei den Landtagswahlen eingefahren haben, und es ist ein Riesendruck da, weil die SPD vor allem – und das ist ein Ergebnis der Politik der SPD seit mehr als zehn Jahren und nicht des letzten Dreivierteljahres – ein Stück weit orientierungslos ist. Ich muss an der Stelle ganz klar sagen, dass Andrea Nahles, seit sie Vorsitzende ist, seit einem guten halben Jahr, seit einem Dreivierteljahr, wie ich finde, den Prozess hin zu dieser Orientierung sehr gut managt.
    Da sind wir jetzt ein bisschen in die Bredouille gekommen, weil das nicht schnell genug geht, weil die Zeiten sehr schnelllebig sind, aber diese Orientierung nach, was sagt die Basis, wir nehmen die Partei mit und wir klären mal Prozesse, die die vorherigen Vorsitzenden bisher nicht geklärt haben, finde ich an der Stelle noch gut.
    Brandes: Sie sagen, Andrea Nahles managt das gut. Es mangelt ja auch nicht an linker Programmatik in der SPD oder an Ideen, welche Politik man umsetzen will, aber es mangelt doch offensichtlich an Personen, denen die Menschen das abkaufen, denen sie das glauben. Also sind dann Andrea Nahles und auch der Rest des SPD-Vorstandes, sind das wirklich die richtigen Leute?
    Esdar: Sie haben ja recht, dass wir ein Glaubwürdigkeitsproblem haben, nur ohne Inhalte zu klären, den Vorsitz oder andere einzelne Personen auszutauschen, das wird am Ende nicht reichen, das wird aber auch jetzt nichts bringen, sondern wir stehen jetzt an dem Punkt. Und so werden wir auch jetzt am Ende des Wochenendes, Anfang nächster Woche in die Klausurtagung gehen, dass wir jetzt erst mal inhaltlich Sachen klären müssen, denn das Märchen davon, dass man nur eine Person, den Vorsitz zum Beispiel, austauschen müsste und danach würde alles gut, den setzt keiner mehr auf.
    "So tickt die SPD nicht"
    Brandes: Na ja, aber die CDU macht das ja gerade mit Angela Merkel, und alle atmen auf. Also vielleicht ist das ja doch nicht so schlecht.
    Esdar: Ich glaube, dass es schon zu recht gute und große Unterschiede zwischen der SPD und der CDU gibt. Die CDU versteift sich jetzt auf eine Debatte, wo drei Personen genannt wurden und sich selber benannt haben, um zu sagen, wir führen diese Partei irgendwo rein, aber wofür die CDU steht und, in welche Richtung die CDU möchte, das ist ja auch nicht so wirklich klar erkennbar. Und ich glaube, dass das auch in dem Prozess, den die CDU jetzt vor sich hat, ein Stück weit unklar bleiben wird beziehungsweise die Delegierten begeben sich dann an der Stelle in die Möglichkeit, zwischen drei Personen, hinter denen einzelne Konzepte stehen, auszuwählen.
    So tickt die SPD nicht, und ich glaube, dass es ein ganz wesentlicher Unterschied ist zwischen der SPD und der CDU. Die CDU-Mitglieder sind nach meiner Wahrnehmung in den letzten Jahren – die haben ja auch viele Wahlen verloren – in so eine Art von Lethargie verfallen. In der SPD führt das dazu, dass viele Vorschläge auch eben von unten, von der Basis, von verschiedenen Leuten kommen und dass man die dann zusammenführen, bündeln und zu einer gemeinsamen Positionierung der Partei zusammenführen müsste. Daher kann man CDU und SPD sich gut vergleichen.
    "Die Zeit haben wir nicht mehr"
    Brandes: Hat Ihre Partei da wirklich noch so viel Zeit, wie sich das die Parteiführung vorstellt, also erst im Herbst kommenden Jahres darüber zu entscheiden, ob man in dieser GroKo bleiben will oder nicht? Muss das nicht jetzt alles viel schneller gehen?
    Esdar: Genau, die Zeit haben wir nicht mehr, das hat ja auch die Parteispitze erkannt, und darum werden wir am Sonntag und am Montag darüber beraten, dass wir eben nicht mehr bis zum Herbst brauchen, sondern wie wir die Sache jetzt straffen.
    Brandes: Das heißt, am Montag erfahren wir, ob die SPD die GroKo platzen lässt.
    Esdar: Nein, am Montag erfahren wir, wie wir uns den Erneuerungsprozess vorstellen, und am Montag erklären wir auch oder erfahren wir auch, diskutieren wir, wie es in der Großen Koalition unter welchen Bedingungen weitergehen muss.
    Es mag vielleicht aufgrund der schlechten Wahlergebnisse unpopulär in der Großen Koalition sein, und ich war auch immer keine Freundin der Großen Koalition, ich habe dagegen geworben, hab dagegen gestimmt. Aber in einer Demokratie ist es doch so, wenn es einen Prozess gegeben hat, der zu einer Entscheidung geführt hat, dann müssen wir auf dieser Basis erst einmal weiterarbeiten. Und dann kann es nicht in der Sache liegende Gründe geben, wie zum Beispiel Landtagswahlen außerhalb oder auch generell immer wieder die Unzufriedenheit von Leuten, die damals anders abgestimmt haben, die sagen, wir müssen da jetzt raus, sondern werden wir die Große Koalition verlassen, ja oder nein. Und ich finde, das ist ein Punkt, den wir diskutieren müssen. Dann müssen es aber Gründe sein, die wir definiert haben, die in der Arbeit und in den Inhalten der Großen Koalition liegen und nicht darin, dass wir schlechte Umfragewerte haben oder das wir eine Landtagswahl verloren haben.
    Wiebke Esdar (SPD) hat im Dlf Innenminister Seehofer vorgeworfen, "unnötig" aus dem Koalitionsvertrag auszuscheren
    Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesinnenminister Horst Seehofer und SPD-Chefin Andrea Nahles (dpa / Rainer Jensen)
    Esdar: Zusammenarbeit in der Großen Koalition war geprägt von Respektlosigkeit
    Brandes: Das ist interessant, dass Sie das ansprechen. Es wird ja seit Längerem darüber gesprochen, dass es durchaus schon Szenarien in der SPD gibt, wie man aus der Großen Koalition aussteigen könnte. Man bräuchte dafür nur irgendwie das eine Thema, das man zur roten Linie erklären kann, das man dann der Union vorhält. Die Union lehnt es dann ab, und dann steigt man aus. Welches Thema kann das denn sein?
    Esdar: Ich glaube nicht, dass es das ein Thema geben wird, sondern ich glaube, wir müssen im Prinzip – und dafür dient halt auch der Entwurf des Fahrplans, und das werden wir weiterdiskutieren, dass es in so einer Großen Koalition, die davon lebt, dass es Kompromisse gibt, und es davon lebt, dass man einen Koalitionsvertrag hat, an dem gearbeitet wird. Und was wir jetzt in den letzten Monaten leider beobachten mussten, das war für mich bisher in der Form unvorstellbar, und ich glaube, das war für viele noch erfahrenere Politiker unvorstellbar, ist eine Form der Zusammenarbeit, die geprägt war insbesondere von Respektlosigkeit und unnötigem Ausscheren aus dem Koalitionsvertrag des Innenministers. Und das definieren wir jetzt als die Frage der Form der Zusammenarbeit, und da müssen wir gucken, dass sich das ändert.
    Und da werden jetzt wirklich rote Linien eingezogen, weil das nicht weitergehen kann. Und dann wird es am Ende nicht heißen, das ist jetzt das eine Thema und das bereiten wir jetzt drei Monate vor und dann gehen wir raus, sondern wir müssen jetzt und wir werden damit ringen, was ist für uns tragbar und was nicht. Das werden mehrere inhaltliche Punkte sein, die für uns wichtig sind, denn wir sind ja nicht aus Spaß an der Freude an die Regierung gegangen, sondern weil uns bestimmte Themen sehr wichtig sind.
    Und es hat was mit der respektvollen Zusammenarbeit zu tun, nicht weil wir gerne Nettigkeiten austauschen, sondern – und das ist das, was wir momentan am meisten Sorge macht – weil das Ansehen von Politik, die Ernsthaftigkeit und Nachvollziehbarkeit, mit der regiert wurde in den letzten Monaten, so gelitten hat, dass das zum Schaden der Demokratie am Ende ausläuft.
    Brandes: Und die CDU steht jetzt vor einer Neuwahl des Parteivorsitzenden. Angenommen, Friedrich Merz wird das jetzt oder auch Jens Spahn, also dezidiert konservative Menschen, die sich profilieren mit einem nationalkonservativen Programm. Kann die SPD dann noch in der Großen Koalition zusammenarbeiten?
    Esdar: Dann müssen als Erstes die beiden, je nachdem, wer es geworden ist, CDU-Vorsitzenden erklären, ob sie auf der Basis des Koalitionsvertrages weiterarbeiten müssen, und dann schauen wir weiter.
    Brandes: Ja, aber können Sie sich das vorstellen, mit einer veränderten CDU weiterzuarbeiten? Sie sind ja unter anderen Voraussetzungen eingetreten.
    Esdar: Auch wir werden das dann diskutieren müssen, aber als Erstes, wenn die CDU die Veränderung vornimmt, müssen die neuen Personen, die sich dort verändert haben, erklären, in welcher Form sie sich dann in der Großen Koalition auf Basis des Koalitionsvertrages oder eben nicht die Zusammenarbeit vorstellen. Und danach können wir das bewerten, und dann kommt man zu einer Einschätzung.
    Aber im Vorfeld, weil sich jemand gerade warmläuft für ein neues Parteiamt, schon zu prognostizieren, wie die Zusammenarbeit auf der Regierungsebene aussieht, halte ich für unseriös.
    Brandes: Das sagt Wiebke Esdar. Sie ist SPD-Linke und im Parteivorstand. Danke schön, dass Sie heute Morgen für uns da waren!
    Esdar: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.