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SPD fordert Volksentscheid zu "Stuttgart 21"

Der SPD-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, Nils Schmid, hat Ministerpräsident Stefan Mappus aufgefordert, sich für einen Bürgerentscheid zu "Stuttgart 21" einzusetzen. So ein Großprojekt könne man nicht über die Köpfe der Bürger hinweg entscheiden, sagte Schmid, der selber das Umbauprojekt für notwendig hält.

Nils Schmid im Gespräch mit Christian Bremkamp |
    Christian Bremkamp: Heftige Zusammenstöße, zahlreiche Verletzte - gestern eskalierte die Lage in Stuttgart, nachdem die Polizei damit begonnen hatte, den Schlossgarten der Stadt wegen einer geplanten Baumfällaktion im Rahmen des Bahnprojekts "Stuttgart 21" zu räumen. Zum Einsatz kamen Wasserwerfer und Pfefferspray, zahlreiche Demonstranten klagten über Reizungen der Augen und der Atemwege. Die Proteste gingen allerdings weiter, bis in die Nacht, letztlich aber ohne Erfolg. Von Mitternacht an fielen die ersten Bäume. - Am Tag darauf werden vor allem zwei Fragen heftig diskutiert: Wie konnte sich die Situation derart hochschaukeln? Und: War der Polizeieinsatz in dieser Form angemessen? Am Telefon begrüße ich jetzt Nils Schmid, er ist SPD-Landeschef in Baden-Württemberg und stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Stuttgarter Landtag. Guten Tag, Herr Schmid.

    Nils Schmid: Guten Tag, Herr Bremkamp.

    Bremkamp: Eskalation im Schlossgarten - wer trägt aus Ihrer Sicht die Verantwortung?

    Schmid: Die politische Verantwortung dafür trägt Herr Mappus und Herr Rech als zuständiger Innenminister. Sie haben einseitig auf Konfrontation gesetzt, anstatt den Weg frei zu machen für einen Volksentscheid, damit die Bürger das letzte Wort über dieses umstrittene Großprojekt haben.

    Bremkamp: Der Volksentscheid, so etwas lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen. Hätte dieser Gewaltausbruch auch gestern, vorgestern, vorvorgestern verhindert werden können?

    Schmid: Ja, mit einem Baustopp, denn wer einen Volksentscheid ernsthaft anstrebt, muss bis dahin einen Baustopp verhängen, damit nicht weitere vollendete Tatsachen geschaffen werden. Deshalb hat Herr Mappus seinen Weg für die Zukunft Baden-Württembergs gestern gezeigt, nämlich Konfrontation, Spaltung der Gesellschaft, anstatt die Möglichkeit, über einen Volksentscheid die Gesellschaft wieder zusammenzuführen.

    Bremkamp: Aber ist es nicht die Pflicht einer Regierung, wenn nötig auch mit Härte vorzugehen, wenn ein Projekt über Jahre geprüft, rechtlich begutachtet wurde und es letztlich ja auch eine Einigung gab?

    Schmid: Die Pflicht einer Landesregierung ist, die Gesellschaft zusammenzuführen und nicht zu spalten, und wenn die Akzeptanz für ein solches Großprojekt bröckelt, dann muss man die demokratische Legitimation verstärken. Deshalb haben wir vorgeschlagen, einen Volksentscheid anzubahnen, denn gegen erheblichen Widerstand in der Bevölkerung Großprojekte durchzuboxen, das ist obrigkeitsstaatliches Denken, das ist nicht Politik in einer Gesellschaft mündiger Bürger.

    Bremkamp: Sie sagen "Volksentscheid", aber machen Sie es sich damit nicht etwas einfach, denn eigentlich sind Sie ja auch ein Projektbefürworter.

    Schmid: Wir sind für "Stuttgart 21" und die Neubaustrecke nach Ulm, weil sie für das Land einen wichtigen Beitrag in der Verkehrsinfrastruktur darstellen. Aber ein solches Großprojekt kann man nicht über die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger hinweg durchsetzen. Es geht schon lange nicht mehr um den Bahnhof. Es geht vielmehr um eine grundlegende Vertrauensstörung im Verhältnis vieler Bürger und der Politik hier im Lande, und da ist die vornehme Aufgabe eines Regierungschefs, nicht weiter zu spalten und auf Eskalation zu setzen, um den starken Maxen zu markieren in einer Landtagswahl, sondern die Menschen zusammenzuführen, und da haben Rech und Mappus versagt.

    Bremkamp: Volksentscheid, das hört sich erst mal gut an, ist für Sie vielleicht auch die bequemste Option, denn Sie wollen ja Ministerpräsident werden.

    Schmid: Ich will natürlich gerne Ministerpräsident werden, aber als ein Ministerpräsident, der für alle da ist, der auch unterschiedliche Meinungen respektiert und der wichtige Entscheidungen, vor allem wenn sie das Volk so spalten wie "Stuttgart 21", der diese auch über die Bürger entscheiden lässt, denn wir können heute solche Großprojekte nur mit einer breiten Akzeptanz durchsetzen. Ich werde aber auch im Falle eines Volksentscheides für die Akzeptanz pro "Stuttgart 21" kämpfen, weil ich glaube, die Argumente sind gut, man braucht sich deshalb auch vor dem Volk nicht zu verstecken.

    Bremkamp: Mal angenommen, Sie würden Ministerpräsident von Baden-Württemberg und ein Volksentscheid würde ergeben, Projekt stoppen, würden Sie es dann auch stoppen?

    Schmid: Dann würde ich das respektieren, denn ein Volksentscheid in Baden-Württemberg hat Gesetzeskraft. Aber ein Ausstieg wäre mit erheblichen Kosten verbunden, mit hohen Entschädigungszahlungen, und der Preis wäre Stillstand in der Schieneninfrastruktur auf viele Jahre hinweg. Deshalb meine ich, dass im Falle eines Volksentscheides viele Bürgerinnen und Bürger des Landes in der Sachfrage für dieses wichtige Verkehrsvorhaben stimmen.

    Bremkamp: Das hört sich jetzt ein bisschen schwammig an. Volksentscheid respektieren ja, aber auch umsetzen?

    Schmid: Natürlich! Ein Volksentscheid in Baden-Württemberg hat Gesetzeskraft. Das ist ein sogenanntes Volksgesetz und das wird dann umgesetzt. Wenn das Volk den Ausstieg beschließt, dann ist das in Gesetzesform und dann wirkt das sofort. Deshalb müssen alle Bürgerinnen und Bürger sich auch über die Konsequenzen ihres Handelns und ihres Votums im Klaren sein, nämlich hohe Entschädigungszahlungen und ein Stopp eines wichtigen Infrastrukturvorhabens. Das bedeutet, dass auf Jahre hinweg in Baden-Württemberg nichts geschehen wird an der ICE-Strecke und am Bahnhof. Deshalb meine ich, wenn man mal die Bühne frei hat für die Sachargumente und der Unmut der Bürger, dass sie nicht gehört werden, weggeräumt ist, dass man dann auch die Unterstützung für dieses wichtige Infrastrukturprojekt gewinnen kann. Wenn man aber nur neue Informationskampagnen schaltet und neue Projektsprecher einsetzt, die nichts Neues zu sagen haben und nur den Unmut der Bürger weiter schüren, weil sie selbst nicht entscheiden dürfen, dann wird man nicht vorankommen.

    Bremkamp: Nur, Herr Schmid, wenn Sie so für dieses Projekt sind, warum ziehen Sie sich dann so hinter einen Volksentscheid zurück? Warum sagen Sie nicht ganz klar und offen, wie das die Vertreter anderer Parteien ja auch machen: Ich bin für "Stuttgart 21", es muss gebaut werden?

    Schmid: Ich bin auch der Meinung, es muss gebaut werden, aber nicht in einer Situation, wo Wasserwerfer und Tränengas gegen Jugendliche und alte Menschen eingesetzt wird. Das ist nicht mein Bild von Baden-Württemberg und es ist auch nicht der Politikstil, den ich pflegen werde als Ministerpräsident, sondern es geht darum, Akzeptanz für das Projekt zurückzugewinnen, und das geht nur, indem die Bürgerinnen und Bürger das letzte Wort haben.

    Bremkamp: Wie gesagt, mal angenommen, Sie würden Ministerpräsident, ein Volksentscheid würde sagen, Projekt stoppen, würden Sie auch die Konsequenzen tragen, sprich auch dafür bezahlen?

    Schmid: Dann müsste das Land Entschädigungszahlungen leisten, und ich glaube, dass ...

    Bremkamp: In Milliardenhöhe!

    Schmid: In Milliardenhöhe! Deshalb glaube ich, dass im Falle einer Volksabstimmung die Mehrheit des Landes als gute Schwaben sagen wird: Lieber zahlen wir ein paar Milliarden und bekommen eine ordentliche Neubaustrecke und einen ordentlichen Bahnhof, als wir zahlen erhebliche Entschädigungssummen und bekommen gar nichts. Das, glaube ich, ist die Frage, vor der die Bevölkerung steht, und wenn man sie mal in dieser Deutlichkeit formuliert und die Bürgerinnen und Bürger die Argumente wägen, dann hat man bei einem Volksentscheid gute Chancen, für dieses Projekt eine Mehrheit zu bekommen.

    Bremkamp: Mal rechtlich gesehen: Hätte ein solcher Volksentscheid denn überhaupt Bestand? Die entscheidenden Verträge sind doch längst geschlossen.

    Schmid: Ja, das ist richtig, aber ein Gesetz des Landtages kann das Land aus den vertraglichen Verpflichtungen lösen, um den Preis hoher Entschädigungszahlungen. So wie ein Gesetz jederzeit vergangene Gesetze aufheben kann, kann natürlich auch ein neues Gesetz vertragliche Verpflichtungen des Landes aufheben. Aber der Preis ist hoch, Entschädigungszahlungen. Und deshalb meine ich, wenn die Bürgerinnen und Bürger im vollen Bewusstsein dieser Folgen abstimmen, werden sie einen Ausstieg ablehnen.

    Bremkamp: Warum plädieren Sie eigentlich erst jetzt für einen Volksentscheid?

    Schmid: Wir müssen offen zugeben, dass wir die Brisanz des Protestes unterschätzt haben. Es geht nicht nur um eine Umgehungsstraße, wo ein paar Anwohner demonstrieren, sondern der Widerstand reicht weit über Stuttgart hinaus und es geht schon lange nicht mehr um die Frage, Bahnhofsumbau ja oder nein, sondern es geht darum, dass eine zunehmende Politikverdrossenheit und Distanz vieler Bürgerinnen und Bürger zur Politik entstanden ist. Und das kann man nicht auflösen, indem man sie weiter bombardiert mit Sachargumenten, sondern man muss ihnen die Chance geben, gehört zu werden mit ihren Einwänden und Sorgen, um dann auch selbst entscheiden zu können über die Fortführung dieses wichtigen Projekts oder nicht.

    Bremkamp: Wie sieht Ihr Plan aus für die nächsten Monate, außer dass Sie Stefan Mappus ablösen wollen?

    Schmid: Wir werden unseren Antrag zur Volksabstimmung noch im Oktober im Landtag behandeln und hoffen auf Einsicht. Mappus hat die letzte Chance, eine weitere Eskalation in dem Land zu verhindern. Das ist auch seine Verantwortung als Ministerpräsident. Und im Übrigen werden bis zur Landtagswahl Themen wie gerechte Bildungschancen, Energiewende und die Chancen für den Mittelstand in Baden-Württemberg, aber auch ausreichende Ausstattung des Personals in der Polizei und in der Steuerverwaltung für uns Sozialdemokraten besonders wichtig sein.