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SPD in Baden-Württemberg
Das Erwachen aus der Schockstarre

12,7 Prozent! Das Ergebnis bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg war ein Schock, nicht nur für die Landes-SPD. Fünf Wochen nach dem Votum sucht die Partei noch immer nach den Lehren aus der Pleite. Ein Besuch in Mannheim, einst Genossen-Hochburg, heute in AfD-Hand.

Von Uschi Götz |
    Mitarbeiter eines Werbemittelherstellers bauen ein Wahlplakat mit dem SPD-Spitzenkandidaten Nils Schmid ab
    Mitarbeiter eines Werbemittelherstellers bauen ein Wahlplakat mit dem SPD-Spitzenkandidaten Nils Schmid ab (picture alliance/dpa/Patrick Seeger)
    Schönau im Norden von Mannheim. Der Weg zum SPD-Bürgerbüro führt entlang an großen, renovierten Wohnblocks. In den vergangenen Jahren floss viel Geld in den Stadtteil Schönau, alle Schulen wurden saniert oder gleich neu gebaut.
    Mit der Landtagswahl im März ist die Schönau, wie die Mannheimer das Viertel nennen, bundesweit bekannt. Hier ging eine der letzten historischen SPD-Hochburgen verloren. Ausgerechnet an die AfD. Noch 2011 holte Stefan Fulst-Blei mit 34 Prozent in Mannheim-Nord das einzige SPD-Direktmandat im ganzen Land überhaupt. Doch das hat er im März bei der Landtagswahl an Rüdiger Klos verloren. Der bis dato Vielen unbekannte AfD- Kandidat holte aus dem Stand heraus allein auf der Schönau 30,1 Prozentpunkte.
    "Die habe ich dieses Mal sogar gewählt und sonst immer SPD, aber nur wegen den Flüchtlingen." Eine Rentnerin tritt beim Bäcker neben dem SPD Bürgerbüro am Danziger Baumgang ihre Zigarette aus. Sechs Kinder habe sie großgezogen, erzählt sie. Ihre Rente und eine gute Witwenrente reichen für ein schönes Leben, ihr fehle es an nichts: "Aber die nächste Generation, die hat doch keine gute Zukunft."
    Viele Menschen haben hier Angst vor der Zukunft. Angst davor, dass das bisschen, was man endlich hat, verloren gehen könnte. Flüchtlinge kennen die meisten nur aus dem Fernseher, und doch haben viele SPD-Wähler dieses Mal ihr Kreuzchen bei der AfD gemacht. "Das ist nur Trotz, weil eben Flüchtlinge alles kriegen. Wir haben auch Arbeitslose, wir haben auch unter der Brücke schlafende, da wird nichts gemacht."
    "Die klassischen Arbeiterviertel gibt es nicht"
    Wie keine andere Partei setzt sich die SPD gerade hier für die Nöte der einfachen Menschen ein: Das Bürgerbüro liegt mitten im Stadtteil, die Lokalpolitiker sind dort oft anzutreffen. Die SPD unterstützt bei der Jobsuche, bei Problemen am Arbeitsplatz gibt es Parteiexperten, die helfen, ein sogenanntes Kümmertelefon steht außerdem bei Fragen in allen Lebenslagen zur Verfügung. Wie konnte also ausgerechnet hier ein AfD-Kandidat das Direktmandat holen?
    "Sie verbinden es nicht mit uns. Die Reaktionen, die ich von fast allen gekriegt habe ist: Ihr seid es ja nicht! Wir haben hier CDU-Leute, die klar CDU-Wähler immer sind, in Landtags- und Bundestagswahlen, die uns jedes Mal mitwählen bei Kommunalwahlen. Weil sie sagen, ihr macht ja genug." Karl-Christian Schroff ist Bezirksbeirat in dem Stadtviertel. Der Tierarzt ist seit fast 30 Jahren SPD-Mitglied, seine Praxis liegt genau neben dem SPD-Bürgerbüro. Schroff schont seine Partei nicht. Der SPD-Landtagswahlkampf sei eine Katastrophe gewesen: "Wenn ich ein Plakat mache: 'Wert" – 'Arbeit', mit einer lila Fläche, kann kein Mensch etwas damit anfangen, wenn ich plakatiere: 'Mehr Bildungsgerechtigkeit', kann es sich die Hälfte der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht erklären, was das soll."
    Das sieht der Mannheimer Landtagsabgeordnete Stefan Fulst-Blei auch so. Die klassischen Arbeiterviertel gebe es nicht mehr in Mannheim, erzählt er. In den Vororten hat eine sozialstrukturelle Änderung stattgefunden. Die Arbeiter als Zielgruppe sind für die Sozialdemokraten kaum noch greifbar: "Man sagt ja immer, der Daimler-Arbeiter ist rot am Fließband und auf dem Weg nach Hause wird er dann plötzlich zum Schwarzen und beim Einkaufen ist er dann Grüner, weil er es sich leisten kann."
    Die SPD in Baden-Württemberg verlor Wähler an die Grünen, bei dieser Landtagswahl vor allem an den Grünen-Spitzenkandidaten, Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Zur Linkspartei zieht es schon länger vor allem gewerkschaftsnahe Genossen und nun kommt mit der AfD auch noch von rechts ein Konkurrent. Gerade am Beispiel Mannheim zeigt sich, in welchem Dilemma die Sozialdemokraten nicht nur in Baden-Württemberg stecken. Stefan Fulst-Blei: "Wenn sie sich jetzt nach links bewegen, kriegen sie möglicherweise in bestimmten Stadtteilen Zugewinne, verlieren aber in der bürgerlichen Mitte. Die SPD Mannheim hat sich immer dadurch ausgezeichnet, auch mit unserem Oberbürgermeister, dass wir sehr breit, auch in Richtung bürgerliche Mitte, ausgestrahlt haben. Ich rede von der SPD immer als linksbürgerliche Kraft."
    Vor der Erneuerung steht die Erkenntnis
    So kann es nicht weitergehen, darüber sind sich die Sozialdemokraten einig. Die Landtagsfraktion, von 35 auf 19 Mitglieder geschrumpft, wählte jüngst Andreas Stoch zum neuen Fraktionschef. Der 46-jährige Jurist hat sich bereits als Kultusminister einen Namen gemacht, ihm traut man zu, seiner Partei wieder Leben einzuhauchen. Der Partei mangle es an Emotionalität, sagt Stoch. Das trifft vor allem auf Landeschef Nils Schmid zu, der zwar blitzgescheit ist, doch von sich selbst sagt, er habe Nerven wie Eiswasser. Rücktrittsforderungen schmettert der Landeschef seit Wochen ab. Personalfragen werde man am Ende eines Erneuerungsprozesses klären, betont er dabei.
    Vor der Erneuerung allerdings steht die Erkenntnis, was denn künftig anders werden soll. Nach einer Klausursitzung am vergangenen Samstag fasst Nils Schmid das Ergebnis einer ganztägigen Diskussion so zusammen: "Wir brauchen eine sozialdemokratische Erzählung, eine Gesamtschau, die übrigens nicht nur das klassische Thema der sozialen Gerechtigkeit aufgreift, sondern auch Lust auf Zukunft macht. Da geht es um das Lebensgefühl der Menschen, der Bürgerinnen und Bürger anzusprechen, auch mit Emotionen und nicht nur über Inhalte."
    Die SPD erfährt täglich mehr über sich. In einer landesweiten Telefonkonferenz, an der sich nach Parteiangaben Tausende beteiligten, waren viele Anrufer der Meinung, die SPD müsse wieder sozialdemokratische Politik machen. Am Samstag kommen über 500 Sozialdemokraten zu einer Basiskonferenz zusammen. Da wird es krachen, sind sich schon jetzt viele langjährige Parteimitglieder sicher.