Dirk Müller: Was ist los mit der SPD? Erst ein klares Nein zur Regierungsverantwortung, dann doch wieder ein Ja möglicherweise dazu, grünes Licht von einem Parteitag. Dann kommen die Sondierungen, bereit zu Verhandlungen, bereit zur Koalition, bereit zur Regierung, und jetzt gerät das Ganze wieder ins Wanken. Die Ministerpräsidenten wollen deutliche Nachbesserungen, mäkeln am Sondierungspapier herum. Die Jusos wollen unisono Nein sagen und die meisten Linken in der Partei wohl auch. Auch der Landesverband in Berlin sagt Nein. Am Sonntag fällt die Entscheidung auf dem Parteitag in Bonn. Noch vier Tage bis dahin.
Von einer Großen Koalition wollte auch Matthias Miersch bis zuletzt nichts wissen. Er ist Sprecher der parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsabgeordneten. Matthias Miersch brachte eine Tolerierung, genauer ein Kooperationsmodell mit der Union ins Gespräch. Jetzt ist er aber offenbar für die Große Koalition. Haben Sie zu viel Wackelpudding gegessen?
Matthias Miersch: Nein, gar nicht, sondern ich habe es mir von Anfang an nicht einfach gemacht. Ich wusste um die Stimmungslage der Partei und habe deswegen immer wieder auch an Alternativen gebastelt und ein Kooperationsmodell vorgeschlagen. Aber wir müssen feststellen nach den Sondierungen - und ich war ja Teil auch dieser Sondierungen -, dass Angela Merkel, dass die CDU/CSU absolut nicht bereit sind, über Alternativen mit uns zu reden, beziehungsweise auch diese Alternativen einzugehen, und ich muss auch selbstkritisch sagen, auch die Öffentlichkeit, auch die mediale Öffentlichkeit - man ist ja für diese Alternativen eher belächelt worden.
Dennoch sage ich: Vielleicht hat die Debatte was gebracht, denn in dem Sondierungspaket sind zwei Dinge, die ich sehr wichtig finde, nämlich einmal die Überprüfungsklausel nach zwei Jahren. Das kann ein sehr scharfes Schwert sein. Das sage ich auch gerade denen, die sagen, augenblicklich sind wir möglicherweise dann wieder in der Situation, wo wir nicht deutlich genug werden. Das könnte eine solche Maßnahme sein.
Müller: Und dann würden Sie ernsthaft rausgehen?
Miersch: Das kann ich jetzt überhaupt noch nicht sagen. Aber man kann eine Bilanz dann ziehen und sagen, zum Beispiel was ist erreicht und wo ist nicht geliefert worden. Insofern würde ich das jedenfalls nicht ganz gering bewerten.
"Orientierungsdebatten sind Bestandteil des Papiers"
Müller: Ist das wirklich glaubwürdig, wenn ich hier noch mal einhaken darf?
Miersch: Ich finde jedenfalls, dass eine solche Klausel eine sehr wichtige Neuerung ist, und es gibt eine Präambel in der Sondierung, die sagt, wir wollen unterscheidbar sein. Deswegen ist das für mich zum Beispiel auch ein Ansatzpunkt, wo ich sage, da müssen wir in weiteren Verhandlungen - und darum geht es ja jetzt erst mal, ob wir weiter verhandeln. Ich bleibe dabei: Wir haben in anderen Parlamenten beispielsweise eine Klausel, 'agree to disagree' heißt das. Wenn sich die Partner einig sind, dass kein guter Kompromiss rauskommen kann, kann man das freigeben. Und diese Orientierungsdebatten sind auch Bestandteil des Papiers.
Müller: Die Macht heilt ja in der Regel dann die Wunden.
Miersch: Nein! Ich glaube, dass es augenblicklich darum geht, nicht zu verdecken, dass in der Partei ganz kontrovers diskutiert wird. Aus dieser, sage ich mal, unterschiedlichen Gemengelage, auch schwierigen Situation kann die SPD gestärkt herausgehen, wenn diese zentrale Frage, nach Koalitionsverhandlungen liegt ein Ergebnis vor und dann muss der höchste Souverän - und das ist die Mitgliedschaft - die Möglichkeit haben, all die Dinge abzuwägen: Was ist bis dato verhandelt worden. Da können wir sagen, zumindest zum heutigen Zeitpunkt, es gibt für viele, viele Menschen in Deutschland Verbesserungen. Stichwort: Parität-Rückkehr, das Thema Grundrente, aber auch ein klares Bekenntnis zu einem solidarischen Europa.
Und dann muss ich abwägen, habe ich ein Konstrukt, eine Form von Koalition, die wieder Risiken birgt, oder überwiegt das andere, und das kann und muss, finde ich, in dieser Situation jedes Mitglied entscheiden. Das ist die Brücke, an die ich appelliere im Moment. Die kann befriedend wirken und das, finde ich, ist der Weg, wie wir aus dieser schwierigen Situation innerhalb der SPD rauskommen.
"Man kann die Argumente nicht einfach zur Seite schieben"
Müller: Herr Miersch, bei Ihnen hat das ja offenbar funktioniert während der Koalitionsverhandlungen, dass Sie "umgefallen" sind. Sie waren ja sehr, sehr skeptisch und haben zu irgendeinem Zeitpunkt während der Sondierungen gesagt, okay, da mache ich mit, ich trage die ganze Sache mit. Jetzt wird ja seit Tagen argumentiert, vor allen Dingen vom Parteichef, von Andrea Nahles ja auch, zugunsten dieses Kompromisses, was man da gefunden hat. Dennoch sind ja viele, viele Parteimitglieder nicht überzeugt. Viele lehnen es ja auch ab. Wir haben verschiedene Landesverbände; klar, es gibt Pro und Kontra, es gibt alle Stimmen jetzt in der SPD, verschiedene Stimmen. Warum ist das so schwierig, die Parteibasis zu überzeugen?
Miersch: Noch mal! Ich glaube, all die Argumente, die auf dem Tisch liegen, die kann man nicht einfach zur Seite schieben. Ich habe gesagt und deswegen weise ich den Vorwurf auch zurück, man sei umgefallen. Ich habe gesagt: Erstens, die Gemeinsamkeiten sind aus meiner Sicht erschöpft. Da haben wir jetzt in den Sondierungsgesprächen gesehen, an bestimmten Stellen bewegt sich nichts. An anderen Stellen, zum Beispiel so etwas wie Kooperationsverbot im Bildungsbereich, aber auch die von mir eben genannten Dinge, sind tatsächlich Innovationen. Dann gibt es ein zweites Argument und das würde ich auch nach wie vor und da habe ich Respekt auch vor allen, die sagen, das ist nach wie vor für mich ein schlagendes Argument, dass große Parteien, wenn sie zu lange koalieren, an ihrem eigenen Profil leiden. Das hat man in dem Sondierungspapier erkannt.
Müller: Das war ja auch so!
Miersch: Da kann, finde ich, auch noch nachgebessert werden. Und dann, sage ich, muss man jedem Mitglied der SPD die Möglichkeit geben abzuwägen. In dieser Situation bin ich auch und ich kämpfe auch in den nächsten Wochen. Deswegen sage ich auch noch nicht, ich mache noch nicht einen Haken daran, sondern ich nehme Koalitionsverhandlungen ernst. Am Ende kann dann jedes Mitglied entscheiden, reicht das oder reicht das nicht. Das ist ja auch eine sehr wichtige Frage für Europa und nicht nur für Deutschland. Deswegen finde ich, man soll jetzt nicht mit Sachen sagen, nehmt die Kritik nicht ernst, die kommt. In dieser Partei wird diskutiert und muss diskutiert werden.
SPD-Mitglieder ernst nehmen
Müller: Herr Miersch, reicht es Ihnen denn jetzt? Das was Sie jetzt auf dem Tisch haben, wenn das so bleibt, sagen Sie, okay, das reicht mir?
Miersch: Ich sage, es reicht mir, um zu sagen, dass ich jetzt Koalitionsverhandlungen führe. Koalitionsverhandlungen beinhaltet den Begriff Verhandlungen.
Müller: Also muss was dazukommen?
Miersch: Ich sage mit Kevin Kühnert, dass wir uns nicht jetzt vormachen dürfen, dass möglicherweise ganz, ganz neue Dinge dort vorkommen. Das kann ich nicht versprechen. Aber ich sage: Jetzt zu sagen an einem Parteitag, es lohnt sich nicht, weiter zu verhandeln und am Ende die Mitglieder zu befragen, das birgt die große Gefahr, dass sich viele Mitglieder in der SPD nicht mitgenommen fühlen. Deswegen bitte jedem Mitglied die Möglichkeit zu geben, Ja oder Nein zu sagen. Das kann eine Brücke sein. Ich habe das gestern in der parlamentarischen Linken vorgetragen, ob mein Kurs dort Rückhalt findet, und 90 Prozent der Anwesenden haben gesagt, das kann eine Brücke zwischen Befürwortern und Gegnern sein, diesen offenen Diskurs zu fahren.
Müller: Herr Miersch, wir müssen ein bisschen auf die Zeit achten. Wir haben noch eine Aussage, ein Statement von Andrea Nahles dazu. Was geht noch bei diesen Verhandlungen?
Verhandlungen sind Verhandlungen
Auszug O-Ton Andrea Nahles: "Trotzdem wird man gucken, was noch geht. Aber ich will auch ganz klar sagen: Man darf auch keine falschen Erwartungen wecken."
Müller: Es geht offenbar nicht mehr viel mehr. Das heißt, viel kann offenbar nicht mehr dazukommen. Sehen Sie das auch so?
Miersch: Ich sage, Verhandlungen sind Verhandlungen. Ich habe eben ja schon mal gesagt: Wenn oben in der Präambel CDU/CSU und SPD zugestanden haben, wir wollen eine neue Form von Politik, wir wollen erkennbar sein in dieser Großen Koalition, haben doch alle erkannt, dass es Gefahren gibt. Da sage ich, da kann weiter dran gearbeitet werden und da muss auch an der Arbeitsform weiter gearbeitet werden. Vielleicht kriegen wir ja die eine oder andere Innovation noch in dieser vertraglichen Vereinbarung hin. Ich würde es mir wünschen.
Müller: Meine Frage, Herr Miersch, ist jetzt noch mal vielleicht etwas präziser - habe ich eben schon mal gestellt. Wenn bei den Koalitionsverhandlungen, wenn es dazu kommt, keine weiteren Nachbesserungen zu Gunsten der SPD absehbar sind, reicht es Ihnen dann trotzdem zuzustimmen?
Miersch: Nein! Ich glaube, dass wir an der einen oder anderen Stelle Präzisierungen brauchen. Deswegen sage ich, Verhandlungen.
Müller: Auf jeden Fall?
Miersch: Verhandlungen auf jeden Fall. Und ich sage danach, es muss die Möglichkeit geben, dass in dieser Situation jedes SPD-Mitglied bewerten kann, reicht das mir oder reicht das nicht. Das ist eine sehr grundsätzliche Frage. Die Zweifel sind da, die Befürworter sind da. Wir haben ein Ergebnis, was für viele Leute eine Verbesserung bedeuten könnte. Das muss abgewogen werden. Meine Brücke sozusagen, die ich vorschlage, ist, dass wir die Möglichkeit geben, dass jedes SPD-Mitglied darüber entscheidet.
Müller: Noch reicht es nicht?
Miersch: So, jedenfalls in dieser Form – es ist ein Sondierungspapier. Und es ging ja auch nicht um die Frage, ob es reicht oder nicht, sondern der Bundesparteitag hat gesagt, wir wollen sondieren und dann sehen, reicht das Sondierungsergebnis aus, um dann in Koalitionsverhandlungen einzusteigen. Koalitionsverhandlungen beinhalten, dass man verhandelt, und ich gehe davon aus, dass wir Nachschärfungen bekommen, dass wir Präzisierungen bekommen, dass wir auch zum Beispiel über diese Dinge, über die wir eben geredet haben, Partner müssen weiter Profil haben, dass wir darüber in der Koalition verhandeln können.
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