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SPD-Mitgliedervotum
Die sozialdemokratische Handschrift im Koalitionsvertrag

Am Sonntagvormittag wird das Ergebnis des SPD-Mitgliedervotums bekannt gegeben. Die meisten Beobachter rechnen - trotz aller Unzufriedenheit - mit einem knappen Ja für die GroKo. Hört man bei der Basis nach, dann ist da vor allem eins zu hören: das Grummeln der Genossen und die Frage nach der SPD-Handschrift.

Von Catrin Stövesand und Frank Capellan |
    Ein Helfer klebt ein Logo für das SPD-Mitgliedervotum auf eine Tür am Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale. Hier werden die Stimmen für das SPD-Mitgliedervotum ausgezählt. Die Auszählung beginnt am 03.03.2018. Am 04.03.2018 wird das Ergebnis bekanntgegeben. Dann steht fest, ob CDU/CSU und SPD in eine große Koalition eintreten können.
    Vorbereitungen für die Auszählung des SPD-Mitgliedervotums (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)
    "Mit Ja haben gestimmt: 256.643 – das entspricht 75.96 Prozent!"
    Am 14. Dezember 2013 kannte der Jubel im Willy-Brandt-Haus keine Grenzen. Barbara Hendricks, damals SPD-Schatzmeisterin und Vorsitzende der Zählkommission, verkündete das Ergebnis des ersten sozialdemokratischen Mitgliedervotums über einen Koalitionsvertrag. Parteichef Sigmar Gabriel fiel ein Stein vom Herzen.
    "Ich war lange nicht mehr stolz, Sozialdemokrat zu sein wie in diesen Wochen und Monaten."
    So euphorisch dürfte die Stimmung an diesem Sonntag wohl kaum sein, wenn am Vormittag das Ergebnis des Votums verkündet wird. Die sozialdemokratische Führung will erst gar nicht über ein Scheitern der am heutigen Abend endenden Mitgliederbefragung nachdenken. Und auch die meisten Beobachter rechnen - trotz aller Unzufriedenheit - mittlerweile mit einem knappen Ja. Doch selbst wenn die gut 463.000 Mitglieder mehrheitlich dafür stimmen werden, ein drittes Mal mit und unter Angela Merkel zu regieren – so deutlich wie 2013 dürfte die Abstimmung dieses Mal nicht ausgehen.
    "Ich begrüße Euch ganz herzlich! – Lauter! – Haben wir jetzt eine anständige Akustik? Kannst Du ein bisschen hochdrehen?"
    Wie sehr sich die SPD-Basis gegen das Regieren sträubt, bekommt auch der Bundestagsvizepräsident zu spüren. Es gibt Verständigungsprobleme - zwischen den einfachen Mitgliedern und denen "da oben in Berlin". Thomas Oppermann will reden - über den Vertrag, über den Zustand der Partei.
    "Ich kenne keinen Unterbezirk, der in den letzten drei Monaten drei Mitgliederversammlungen durchgeführt hat."
    Geprägt von den Querelen der letzten Zeit
    Es gibt viel zu besprechen, auch in Niedersachsen, auch im SPD-Unterbezirk Göttingen, wo Oppermann der Chef ist. Auf der lila-Wand hinter ihm steht ein weißer Schriftzug: "Party Lounge". Gut 100 Sozialdemokraten sind ins Jugendgästehaus von Osterode am Fuße des Harzes gekommen, auch um über die Zukunft ihrer Partei zu diskutieren.
    "Als ich hier eben meine Tasse sah, habe ich zwei Teesorten gefunden, die eine heißt 'Hol Dir Kraft'und die andere heißt 'Innere Ruhe', habe ich gedacht, ist ja ein super Veranstalter."
    LöMö spricht als Referentin zu den Genossen. LöMö wird sie wegen ihres ungewöhnlichen Doppelnamen genannt. Gabriele Lösekrug-Möller ist SPD-Vorstandsmitglied, vor allem aber hat die 66-Jährige lange mit Andrea Nahles zusammengearbeitet – als Staatssekretärin der Arbeitsministerin. Folglich wirbt auch sie für den Koalitionsvertrag.
    "Der war gerade noch gedruckt und noch warm, da fing unsere Personaldebatte an. Und sie hat alles überschattet, was an guten Dingen in diesem Vertragsentwurf ist. Ich bedaure das sehr!"
    Auch sie kommt an den Querelen der letzten Wochen nicht vorbei. Sie geht auf den Wunsch vieler SPD-Mitglieder ein, die erfahren wollen, wer ins Kabinett gehen wird. Ich verstehe das, meint Lösekrug-Möller:
    "Aber noch wichtiger als die Person ist die Frage, welcher Partei wird das Ressort denn zugeordnet."
    "Ihr habt sie abgezockt!"
    In Osterode reicht es vielen Mitgliedern nicht, was bei der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen ausgehandelt wurde. Auch die Bürgerversicherung, von der Union längst abgelehnt, bringt einer wieder auf den Tisch. Und ein anderer beklagt, in der Flüchtlingspolitik habe man sich de facto eben doch eine Obergrenze reinverhandeln lassen. Punkten kann die SPD-Spitze nur mit der Ressortverteilung: Arbeit und Soziales, Außen- und Finanzministerium geholt – damit lasse sich doch sozialdemokratische Politik gestalten, unabhängig davon, was sonst noch alles so im Vertrag steht, sagt dieses Mitglied:
    "Wenn man mit der CDU, verhandelt, mit den Schwarzen, dann habt Ihr das unter dem Aspekt richtig gut gemacht, und hinsichtlich der Ministerien kann man sagen: Ihr habt sie abgezockt!"
    Die Jusos im Saal sind dennoch unzufrieden. Dennis Zittelmann, ein junger Mann mit langem krausen Haar und krausem Bart, ist im Februar in die Partei eingetreten, um gegen die GroKo zu stimmen.
    "Weil ich glaube, dass die SPD in einer GroKo denselben Weg gehen wird wie die Sozialdemokraten in den Niederlanden und unter die zehn Prozent fallen wird und dann in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Und in vier Jahren haben wir dann die Wahl zwischen den zwei Volksparteien CDU und AfD!"
    "Ja liebe Genossinnen und Genossen, ich bin entsetzt!", meldet sich dann eine alte Dame mit silbergrauem Haar zu Wort.
    "Und das sagt Euch eine Genossin, die seit '46, nicht seit 46 Jahren, sondern seit 1946 für diese Partei kämpft!"
    Sie schimpft darüber, dass Sigmar Gabriel, "der einzige Staatsmann, den wir noch haben, in die Wüste geschickt werden soll", sagt sie wörtlich. Was hat Euch da geritten, fragt sie anklagend. Aber:
    "Ich bin bereit, nachzudenken. Aber ich will wissen, wer unser Außenminister wird."
    Immer wieder die Personalfrage
    Wieder sind die Genossen bei der Debatte ums Personal angekommen. Wie so oft verdrängt die Frage nach den Köpfen die Diskussion über Inhalte:
    "Was ich nicht verstehe ist, dass es in der Parteiführung eine bornierte Lust am Zerstören gibt. Es sind so viel Fehler, selbst von unserem großen Vorsitzenden, gemacht worden, der mit 100 Prozent gewählt worden ist. Das alleine war schon Strafe für ihn."
    Der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz verlässt am 21.01.2018 beim SPD-Sonderparteitag in Bonn (Nordrhein-Westfalen) das Podium.
    Martin Schulz verlässt die politische Bühne. Die SPD verliert weiter in der Wählergunst. (Oliver Berg / dpa)
    Martin Schulz erregt die Gemüter - immer noch! Seine Wende hin zur GroKo haben die Mitglieder dem zurückgetretenen Parteivorsitzenden noch verziehen, nicht aber die Sache mit dem Kabinettsposten. Es geht um Glaubwürdigkeit - auch für Jörg Magull, der aus Göttingen angereist ist, um seinem Ärger Luft zu machen.
    "Niemand hat Martin Schulz gezwungen zu sagen: Ich gehe niemals in ein Kabinett Merkel. Hat er aber! Gibt es im Willy Brandt niemanden, der ihn mal untern Arm geklemmt hat und gesagt hat: ´Werde nicht Außenminister!´ Das versteht man nicht, absolut unnötig!"
    Und auch die mutmaßlich künftige Parteivorsitzende wird von Kritik nicht verschont. Kungelei! Ruft einer. Dass Andrea Nahles nach dem Vorsitz griff und dafür – wie es heißt - Martin Schulz in die Regierung schicken wollte, sorgt für Grummeln bei den Genossen:
    "Was ich gut finde ist, dass wir es endlich, schaffen, nach 153 Jahren eine Frau an der Parteispitze zu haben. Ob es die richtige ist, weiß ich noch nicht."
    Widerstand auch gegen Andrea Nahles
    Raunen in der Menge! "Die doch nicht!", ruft ein älterer Herr mit lichtem Haar. Und auch Wolfgang Dernedde, langjähriger Bürgermeister von Osterode, lässt kein gutes Haar an Nahles.
    "Klüngel ist das Wenigste, was wir gebrauchen können. Von daher ist auch Frau Nahles für mich als Vorsitzende verbrannt."
    Andrea Nahles auf der Regionalkonferenz in Kamen
    Werben für den Koalitionsvertrag: Andrea Nahles auf der Regionalkonferenz in Kamen (dpa/Ina Fassbender)
    Andrea Nahles muss also kämpfen: Erst für das Ja zur GroKo, dann um die eigene Reputation. Dass sie als Bundesarbeitsministerin unter Angela Merkel gegen viele Widerstände den Mindestlohn durchgeboxt hat, haben viele Sozialdemokraten zwar nicht vergessen. Ob ihr das allerdings bei der für Ende April angesetzten Vorstandswahl helfen wird? Beobachter wagen noch keine Prognose. Der mit der Union ausgehandelte Koalitionsvertrag trage eine eindeutig sozialdemokratische Handschrift, wird die SPD-Spitze nicht müde zu betonen. Doch was genau bedeutet das? Welche Ziele, welche Veränderungen werden definiert, die die Bezeichnung sozialdemokratisch erfüllen. An der Parteibasis jedenfalls sind längst nicht alle zufrieden mit dem, was für die traditionelle SPD-Klientel im Koalitionsvertrag steht – gemeint sind Einkommensschwache.
    "Zeit für mehr Gerechtigkeit" - so lautete der Titel des Programms der SPD für die Bundestagswahl im September 2017. Soziale Gerechtigkeit, Angleichung der Lebensverhältnisse und der Aufstiegschancen - das sind Ziele, für die die Sozialdemokratie lange stand. Das Bundestagswahlprogramm, also das Regierungsprogramm sollte dies wieder zum Ausdruck bringen. Was davon den Weg in den Koalitionsvertrag geschafft hat, darüber ist die Partei uneins.
    "Mit einer sozialdemokratischen Handschrift, die dieser Vertrag in großen Teilen trägt. Ich denke, das ist nicht nur eine gute Nachricht für uns, die wir verhandelt haben, sondern auch für die Menschen, die von der Politik, die wir hier verabredet haben, profitieren werden. Wir brauchen eine Sozialwende und keine Pflaster. Lasst uns wieder als Partei für soziale Gerechtigkeit erkennbar sein, lasst uns wieder ursozialdemokratische Werte auch leben. Und das geht nicht in einer Großen Koalition."
    "Ich glaube, das ist eine klare SPD-Handschrift"
    Carsten Schneider, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, hat den Vertrag mit ausgehandelt. Er sieht die Positionen seiner Partei vor allem in folgenden Punkten vertreten:
    "Wir haben sehr stark die Frage Gerechtigkeit, gerechte Finanzierung des Staates in den Mittelpunkt gerückt. Das heißt, es wird eine Bildungsoffensive geben, die Chancengleichheit sichert, in der Größenordnung von etwa 12 Milliarden Euro. Dann werden wir 8.000 neue Pflegerinnen und Pfleger einstellen und dafür die Voraussetzungen schaffen. Und wenn Sie die Frage von Kapital und Arbeit nehmen: Klassische SPD-Position ist natürlich, die Position der Arbeitnehmer zu stärken. Da wird es bei der Krankenversicherung wieder eine gleiche Beitragszahlung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern geben. Von daher glaube ich, ist das klare SPD-Handschrift."
    Beim politischen Aschermittwoch der SPD in Schwerte am 14.02.2018 hält ein Mann ein NoGroKo-Schild hoch.
    NoGroKo: Viele Genossen sind verärgert (dpa / picture-alliance)
    Was gerecht ist, ist natürlich subjektiv. Gerechtigkeit im sozialdemokratischen Sinne bedeutet für manche Umverteilung von oben nach unten - zum Beispiel durch Steuerreformen. So etwa für den SPD-Bundestagsabgeordneten Marco Bülow.
    "Die Umverteilung von unten nach oben, die stattgefunden hat, wird damit nicht beendet. Es gibt keinen Spitzensteuersatz, es gibt bei der Bürgerversicherung keinen wirklichen Wechsel. "
    Im SPD-Wahlprogramm war vorgesehen, dass Menschen mit hohen Einkommen und Vermögen einen Beitrag dazu leisten sollten, die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern. Etwa über eine höhere Steuer auf große Erbschaften. Im Koalitionsvertrag steht nun allerdings nichts davon.
    Wo ist die Entlastung für Menschen mit geringem Einkommen?
    Umverteilung von oben nach unten funktioniere ohnehin nur selten, erläutert der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Ihm fehlen im Steuerkonzept der geplanten Großen Koalition andere Punkte:
    "Wichtiger für mich als Ökonom ist die Frage, wie kann man Menschen mit geringen Einkommen entlasten. Das sollte eigentlich die erste Priorität sein. Und da ist in der Tat der Koalitionsvertrag sehr bescheiden."
    Fratzscher wird auch konkret: Die geplante Entlastung über den Solidaritätszuschlag, der ab 2021 nur noch von zehn Prozent der Bevölkerung, also den höchsten Einkommensgruppen bezahlt werden soll, komme nicht den "kleinen Leuten", sondern eher Menschen mit überdurchschnittlichen Einkommen zugute. Das räumt auch der SPD-Politiker Carsten Schneider ein:
    "Das ist ein Mittelschicht-Programm, in der Tat. Aber auch die brauchen eine finanzielle Entlastung. Und zum anderen wird es für Menschen, die etwa 1.300 Euro brutto im Monat verdienen, eine Senkung ihrer Sozialabgaben geben. Der Rentenversicherungsbeitrag dort wird aus Steuermitteln erstattet und sie haben netto mehr in der Tasche. Das betrifft vor allem Teilzeitjobs und war auch 1:1 Wahlprogramm der SPD."
    "Eigentlich hätte eine Mehrwertsteuersenkung gerade für Menschen mit geringen Einkommen am meisten gebracht, was sie unmittelbar mehr in der Tasche gehabt hätten. Denn Menschen mit geringen Einkommen zahlen natürlich einen sehr viel höheren Anteil ihres Einkommens als Mehrwertsteuer."
    DIW-Chef Fratzscher zufolge profitieren also vor allem Besserverdienende von den finanzpolitischen Koalitionsvorhaben. Der SPD-Finanzexperte Schneider hält dagegen und weist auf die Punkte hin, die die SPD in diesem Kapitel aushandeln konnte.
    "Das Wichtigste ist, wir werden das Finanzministerium führen. Das ist entscheidend, weil ganz viele Steuerfragen auch europäische Fragen sind, also Steuerdumping auf europäischer Ebene zu verhindern oder zum Beispiel die Finanztransaktionssteuer einzuführen. Das geht nur, wenn man mit Verve dahintersteht und das auch verhandelt. Der zweite Punkt ist: Die Besteuerung von Kapital und Arbeit wird gleich gestellt. Also, wir werden Zinserträge genauso besteuern, mit dem gleichen Steuersatz wie Erträge aus Arbeit. Da ist ein Haken dran, das haben wir erledigt. Wir haben es nicht geschafft, höhere Vermögen stärker zu besteuern. Das hat die Union blockiert."
    Wichtiger als Geldtransfers sind Bildungschancen
    Blockiert hat die Union auch das Vorhaben der SPD, das Kindergeld künftig nach Einkommen zu bemessen. Jetzt gibt es mehr Kindergeld für alle. Für DIW-Chef Fratzscher kein gutes Konzept.
    "Meine Sorge ist, dass viele in der Politik noch immer glauben, mit mehr Geld könnte man Probleme lösen. Viel wichtiger als Geld sind Chancen, ist eine gute Bildungsinfrastruktur."
    Mehr Chancengleichheit, Aufstiegsmöglichkeiten durch Bildung. Hier liest sich der Entwurf des Koalitionsvertrags deutlich sozialdemokratischer als beim Thema Finanzpolitik. Aufgeführt ist etwa das Ziel, gerechte Bildungschancen für alle zu ermöglichen, es soll eine Investitionsoffensive für Schulen geben und für alle Kinder im Grundschulalter einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung.
    "Es ist wirklich hervorragend, was im Koalitionsvertrag zum Thema Bildung steht. Die Große Koalition hat jetzt endlich erkannt, dass das Bildungssystem in Deutschland von der Qualität her nicht hinreichend ist, um diesen Wohlstand zu sichern. Ich halte es auch für positiv, dass man das Kooperationsverbot abschaffen oder eingrenzen will, so dass der Bund endlich mehr Verantwortung auch in den Kommunen übernehmen kann."
    Lobt Marcel Fratzscher. Unklar sei allerdings, wie diese guten Ziele umzusetzen sind. Denn Bildungssysteme zu reformieren sei eine Langzeitaufgabe. Für Carsten Schneider liegen die sozialdemokratischen Erfolge im Bereich Bildung vor allem beim Ausbau der Betreuung und der Lockerung des Kooperationsverbots.
    "Wir haben uns ja durchgesetzt, dass wir gesagt haben: Diese Aufgabe ist so wichtig, dass wir die Verfassung ändern wollen. Und den Städten und Gemeinden so die Möglichkeit zu geben, Geld zu investieren - vom Bund. Das war bisher ausgeschlossen. Es wird die Möglichkeit geben, in den Gebäudebestand zu investieren, aber auch die Bildungsplanung stärker abzustimmen. Ich habe den Eindruck, immer mehr schätzen einen stärkeren Einfluss des Bundes auch in der Bildungspolitik. "
    Aufstiegs-BAföG, bessere Weiterbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten im Beruf. Auch das sind Punkte im wohl künftigen Regierungsprogramm, die deutlich sozialdemokratisch klingen, die auf Chancengleichheit und soziale Mobilität abzielen.
    Was die Absicherung fürs Alter anbelangt, gibt im möglichen Koalitionsertrag einmal ein üppig ausgestattetes Rentenpaket - samt Ausweitung der Mütterrente - und Förderung von Wohneigentum. Letzteres allerdings fast ausschließlich für Familien. Und eine entscheidende Hürde bleibt: das fehlende Eigenkapital. DIW-Chef Marcel Fratzscher meint dazu:
    "Das fehlende Vermögen in Deutschland ist ein Riesenproblem. 40 Prozent der Deutschen haben praktisch nichts Erspartes. Und das, was jetzt im Koalitionsvertrag steht, löst das Problem überhaupt nicht. Sprich: Baukindergeld. Eine vierköpfige Familie mit einem Einkommen von 25.000 oder 30.000 Euro im Jahr, die werden sich kein Eigenheim leisten können. Die werden davon nicht profitieren."
    Wie viel sozialdemokratische Handschrift steckt im Koalitionsvertrag?
    Mit dem Rentenpaket ist Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, dagegen weitgehend zufrieden.
    "Die Rentenformel wird geändert. Wir haben ja gesagt, wir wollen, dass das Rentenniveau bei 48 Prozent stabil bleibt. Das passiert selten im Bundestag, und deswegen, glaube ich, ist das eine Entscheidung, die nicht so einfach wieder korrigiert werden kann durch eine andere politische Mehrheit, die es natürlich immer geben kann. Angesichts der Beschäftigungssituation sehe ich kurz- und mittelfristig keine Schwankungen in der Rentenversicherung."
    Eine langfristig angelegte Reform des Rentensystems stellt der Vertragsentwurf zwischen Union und SPD in Aussicht.
    Berlin: Der Koalitionsvertrag liegt bei Sitzung im Fraktionssaal im Bundestag auf dem Tisch. Union und SPD haben sich auf die Verteilung der Ministerien verständigt und eine Einigung in den Koalitionsverhandlungen geschaffen.
    Der ausgehandelte Koalitionsvertrag - Grundlage für viele Auseinandersetzungen (picture-alliance / dpa /Britta Pedersen)
    Bildung, Kinderbetreuung, Arbeit – für Carsten Schneider ist die sozialdemokratische Handschrift im Koalitionsvertrag also erkennbar. Er blickt deshalb optimistisch auf den Mitgliederentscheid und auf die weitere nahe Zukunft:
    "Das ist ja bisher nur Papier. Wenn das sukzessive umgesetzt wird, wenn das tatsächlich auch in Baumaßnahmen ankommt, wen der Rechtsanspruch auf die Ganztagsbetreuung an Grundschulen kommt - das sind qualitative Verbesserungen, die dieses Land verändern werden. Und dann glaube ich, wird vieles, das bisher nur auf dem Papier steht, viele noch nicht kennen, auch doch, hoffe ich, zu einer Zustimmung zur SPD irgendwann mal wieder führen."
    Diese Zustimmung beim Wähler kann es aber nur geben, wenn die SPD nach außen wieder einig auftritt. Und das Spitzenpersonal Seit an Seit schreitet - so wie die Genossinnen und Genossen es zum Ende eines jeden Parteitages gerne besingen. Andreas Nahles, aber auch Interims-Parteichef Olaf Scholz wissen sehr wohl, welch katastrophales Bild die Parteiführung in den Monaten seit der Wahl am 24. September abgegeben hat.
    Sollten sich die GroKo-Befürworter knapp durchsetzen, wird Andrea Nahles als künftige Parteichefin vor der Aufgabe stehen, eine gespaltene SPD wieder zusammenführen zu müssen. Wenn die Mitglieder mit Nein stimmen, dürfte sich das für sie erledigt haben –kaum vorstellbar, dass Nahles dann tatsächlich die SPD-Führung übernehmen könnte.
    Noch aber gehen sie im Willy-Brandt-Haus davon aus, dass Angela Merkel am 14. März erneut zur Kanzlerin einer neuen schwarz-roten Koalition gewählt werden kann. Bis dahin haben die Sozialdemokraten dann noch ein paar Personalfragen zu klären. Als Thomas Oppermann in Osterode von einem seiner Genossen vorgeschlagen wird, er könne doch Nachfolger von Sigmar Gabriel als Außenminister werden, lächelt er das gekonnt weg. Für Sonntag immerhin verbreitet Oppermann Optimismus:
    "Ich rechne mit einer Mehrheit, weil viele jetzt klar erkennen, wenn wir die Regierung ablehnen, kann das die SPD noch weiter nach unten reißen."