SPD im Osten
Erklärungen für den Abstieg der Sozialdemokraten

In manchen Landkreisen Ostdeutschlands ist die SPD mittlerweile fast bedeutungslos. Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen könnte sie an der Fünfprozent-Hürde scheitern. Warum stecken die Sozialdemokraten im Osten so tief in der Krise?

    Zu sehen sind die Reste zweier demolierter Wahlplakate in Thüringen (Waltershausen). Nur das hintere ist noch zu identifizieren. Es zeigt des Spitzenkandidaten der Thüringischen SPD, Georg Maier.
    Ein demoliertes SPD-Wahlplakat in Thüringen (hinten). Besonders dort – und ebenso in Sachsen und Sachsen-Anhalt – haben es die Sozialdemokraten momentan nicht leicht. (IMAGO / Jacob Schröter / IMAGO / Jacob Schröter)
    Ostdeutschland und die SPD – bei dieser Misserfolgsgeschichte ist vor allem eines auffällig: Das Vertrauen in die Sozialdemokraten scheint besonders in jenen Gemeinden niedrig zu sein, in denen lokale Wählergruppen aktiv sind. Fest steht jedenfalls: Der SPD dürfte es schwerfallen, ihre verlorenen Wählerinnen und Wähler wiederzugewinnen. Aus verschiedenen Gründen.

    Inhalt

    Wie steht es um die SPD im Osten?

    Das ist abhängig vom jeweiligen Bundesland. Insgesamt betrachtet: eher schlecht. Besonders in dreien der insgesamt fünf nicht mehr ganz so „neuen“ Länder. Mehrfach hat die Thüringer SPD bei Wahlen nur sieben bis acht Prozent bekommen. In Sachsen sieht es ähnlich aus. In Sachsen-Anhalt kam die SPD 2021 auf 8,4 Prozent.
    In Umfragen kommt die SPD in Sachsen auf sechs, in Thüringen auf sieben und in Sachsen-Anhalt auf acht Prozent. (Stand 22.08.24). In Thüringen und Sachsen wird am 1. September gewählt.
    Das Diagramm zeigt für die Bundesländer Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern jeweils zwei Werte für die SPD: die Stimmenanteile bei den letzten Landtagswahlen sowie die Stimmenanteile bei der Sonntagsfrage.
    Es geht abwärts für die SPD ((Deutschlandradio / Andrea Kampmann / imago / Ikon Images))
    Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern bilden derzeit Ausnahmen mit teils deutlich zweistelligen Ergebnissen für die SPD bei den vergangenen Landtagswahlen. Aber auch dort liegen die aktuellen Umfragewerte unter den Ergebnissen der vorherigen Landtagswahlen, in Mecklenburg-Vorpommern um fast 40 Prozent. Und: In beiden Ländern wurde sie in den Umfragen von der AfD auf den zweiten Platz verdrängt.
    Für die verhältnismäßig starke Position der SPD in Brandenburg sieht der SPD-Politiker und frühere DDR-Bürgerrechtler Thomas Krüger einen bestimmten Grund in der Historie: Aufbauhilfe aus dem Westen. Vor allem die Sozialdemokraten aus Nordrhein-Westfalen hätten in den Jahren nach der Wiedervereinigung viel Unterstützung und Engagement geboten. „Das ist in den anderen Bundesländern am Anfang nicht so realisiert worden, weil die SPD in Sachsen, in Thüringen, in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern zunächst nicht in der Regierungsverantwortung oder eher als Juniorpartner dabei war. Und da ist sozusagen in Brandenburg einfach eine andere, stabilere Infrastruktur entstanden“, sagt Krüger.

    Welche Erklärungen gibt es für die geringe Zustimmung?

    Es existieren verschiedene Erklärungsansätze zugleich.
    Gefühl der Vernachlässigung
    Immer wieder berichten Akteure aus Politik oder Sozialwissenschaft von einem Gefühl des abgehängt-Seins in Teilen der ostdeutschen Bevölkerung. „Die Grundstimmung im Osten ist: Es wird über unsere Köpfe hinweg regiert.“ So beobachtet es zum Beispiel Saskia Esken. „Verletzungen durch Ungerechtigkeiten bei der Wiedervereinigung sitzen noch tief“, sagte die Parteivorsitzende der Bundes-SPD dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
    Vernachlässigung des eigenen Markenkerns
    Laut einer Analyse der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hat sich der „Drang der Volksparteien zur Mitte“ als wenig hilfreich erwiesen. „Er ließ ein Vakuum an den rechten und linken Rändern des Parteiensystems entstehen, in das kleinere Parteien erfolgreich hineinstoßen konnten“, zitiert die bpb den Politikwissenschaftler Frank Decker.
    Jürgen Klimpke, SPD-Vorsitzender im thüringischen Saale-Orla-Kreis, erkennt für seine Partei manchmal eine Priorisierung von Themen, die womöglich an der Lebensrealität der Bevölkerung vorbeigehen könnten. Er meint Vorhaben wie das Selbstbestimmungsgesetz, also die Möglichkeit für Transmenschen, ihren Geschlechtseintrag im Ausweis zu ändern. „Wir haben manchmal das Gefühl, dass Nebenthemen für sicherlich eine Gruppe von Menschen, die mehr Beachtung verdienen, hoch gespielt werden – man kann auch das Gendern nehmen beispielsweise (…).“
    Wirtschaftliche Gründe
    Nach anfänglicher Euphorie über das Ende der SED-Diktatur hat sich bei vielen ostdeutschen Bürgern in den 90er-Jahren schnell Ernüchterung breit gemacht – aufgrund von Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit. Dass selbst eine renommierte Arbeiterpartei diese Entwicklung nicht aufhalten konnte, habe die SPD im Osten mit tiefem Misstrauen bezahlen müssen, sagt Thomas Krüger über die Zeit, in der „75 Prozent der Leute ihren Job verloren haben und 80 Prozent nochmal auf die Schulbank mussten, also man sich kollektiv als Bürger zweiter Klasse erfahren hat.“
    Aufstieg lokaler Wählerbündnisse
    Besonders auf Kreis- und Gemeindeebene ist seit den vergangenen Jahrzehnten eine Entwicklung im Gang, die eher wenig Beachtung findet: Die „Sonstigen“ werden stärker.
    Beispiel: Bad Tabarz
    In dem Thüringer Kurort wurde die SPD bei der – Achtung – Kreistagswahl im Mai 2024 mit 26,5 Prozent stärkste Kraft. Aber: Im Gemeinderat von Bad Tabarz selbst ist sie nicht vertreten, ebenso wenig CDU, Linke, Grüne und auch nicht die AfD. In Bad Tabarz sind alle Gemeinderatssitze von der Freien Wählergruppe FC VG besetzt.
    Gruppierungen wie die diese oder auch „Zukunft Saalburg-Ebersdorf“ (ebenfalls Thüringen) gehören zu den sogenannten „Sonstigen“. Diese sind in den ostdeutschen Bundesländern schleichend zu einem Machtfaktor geworden. In Thüringen waren „Sonstige“ bei den letzten Gemeinderatswahlen mit 46 Prozent stärkste Kraft. Vor 30 Jahren waren sie nur halb so stark.
    Bad Tabarz und Saalburg-Ebersdorf stehen beispielhaft für die Verhältnisse in aktuell 411 der 599 Thüringer Gemeindeparlamente. In ihnen kommen überregional bekannte Parteien zusammen bestenfalls auf knapp unter 50 Prozent, sofern sie überhaupt vertreten sind. Solche Gemeinden haben nur wenige hundert bis ein paar tausend Einwohner. Doch in Summe lebt gut ein Fünftel der Thüringer in Gemeinden mit solchen Mehrheitsverhältnissen.
    Ähnlich sieht es in Brandenburg und Sachsen aus. Auch hier sind die „Sonstigen“ stärkste Kraft in den Gemeindevertretungen.
    Amelie Feuerer gehört zu einer Forschungsgruppe von Politologen, die statistische Zusammenhänge von sächsischen Wahlergebnissen und regionalen Wirtschaftsdaten untersucht hat. Eine ihrer Erkenntnisse: Freie Wählervereinigungen werden zumindest in Sachsen überwiegend von Menschen unterstützt, die im ländlichen Raum leben und das Gefühl haben, dass ihnen zu wenig Infrastruktur für das tägliche Leben bereitsteht – dass also Grundschulen, Apotheken oder Supermärkte fehlen.
    Diese Menschen fühlten sich deutlich stärker von Wählervereinigungen repräsentiert als von etablierten Parteien, erklärt Feuerer. „Und das hängt wiederum damit zusammen, dass Wählervereinigungen sich lokalpolitisch auch dafür einsetzen, dass sachpolitische Entscheidungen getroffen werden und dass beispielsweise infrastrukturelle Probleme gelöst werden.“

    Wie könnte die SPD Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen?

    Für alle drei Ampelparteien sieht der Soziologe Steffen Mau nur geringe Chancen, dass diese ihr Standing in den östlichen Bundesländern verbessern könnten. Die SPD hält er sogar von einer „starken Verzwergung“ bedroht.
    SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert zieht den Schluss, dass seine Partei in den Ostländern einen anderen Wahlkampf machen müsse – „dass die Politik nicht aus Berlin ausschwärmt und den Leuten eine Geschichte vom Pferd erzählt, sondern dass wir wirklich auch zuhören und miteinander ins Gespräch kommen.“
    Das Vertrauen soll laut Kühnert vor allem über Alltagsthemen und soziale Fragen zurückgewonnen werden. Eine Idee der Sozialdemokraten: Menschen, die nur eine geringe Grundrente erhalten, sollen Anspruch auf 500 Euro Weihnachtsgeld bekommen.
    Wenn Kühnert auf die Wahlplakate in Thüringen und Sachsen schaut, wird er nachdenklich. Dort sehe man Parolen zu allem möglichen – für Weltfrieden oder zum Krieg in der Ukraine. „Aber eben nicht für die Alltagsfragen der Leute. Ich finde, wir müssen auch ein bisschen lauter bleiben und sagen: Das ist hier eine Landtagswahl und es geht hier um die Frage, wie das Land in den nächsten fünf Jahren regiert wird.“
    jma