Sandra Schulz: Vor genau drei Wochen ist den Sozialdemokraten völlig überraschend ihre Vorsitzende abhandengekommen. In einem heftigen Machtkampf um den SPD-Fraktionsvorsitz zog Andrea Nahles die Reißleine, gab Partei- und Fraktionsvorsitz ab und legte sogar ihr Bundestagsmandat nieder. In einem Brief an die SPD-Mitglieder schrieb sie: "Der zur Ausübung ihrer Ämter notwendige Rückhalt sei nicht mehr da."
Jetzt stecken die Sozialdemokraten wieder mitten drin in einer turbulenten Personaldebatte, an der vor allem eines auffällt: Bisher hat niemand offiziell seine Kandidatur erklärt. Im Gegenteil: Die drei, die kommissarisch an der Parteispitze stehen, Manuela Schwesig, Thorsten Schäfer-Gümbel und Malu Dreyer, die haben schon klargestellt, dass sie das Amt nicht wollen. Heute will der SPD-Parteivorstand wichtige Weichen stellen.
Am Telefon ist Sarah Philipp, Parlamentarische Geschäftsführerin der Nordrhein-Westfälischen SPD-Landtagsfraktion. Schönen guten Morgen!
Sarah Philipp: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Bei der CDU konnte man ja so schnell gar nicht gucken, wie die Kandidaturen erklärt wurden, als Angela Merkel im Herbst ihren Rückzug vom CDU-Parteivorsitz erklärt hat. Warum hat sich bei den Sozialdemokraten bisher noch niemand getraut zu sagen, dass er oder sie an die Spitze der SPD will?
Philipp: Das kommt vielleicht etwas merkwürdig daher. Aber ich weiß gar nicht, ob das mit Trauen dann am Ende so viel zu tun hat. Natürlich haben erst mal viele abgesagt, aber ich glaube, wenn heute die Parteispitze die Vorschläge ausgewertet hat, diese über 23.000 Vorschläge, wenn man sich auf ein Verfahren einigt und man ein bisschen mehr weiß, wo geht die Reise hin, Doppelspitze ja oder nein - ich bin mir ziemlich sicher, dass dann auch mehr Kandidaten vielleicht aus der Deckung kommen und mehrere Leute dann auch ihr Interesse bekunden. Ich glaube, da kommt noch was.
"Es geht eindeutig in Richtung Mitgliederentscheid"
Schulz: Ihr Fraktionschef in Düsseldorf, Thomas Kutschaty, der hat sich ein bisschen aus der Deckung gewagt. Er sagt, großen Herausforderungen darf man nicht hinterherlaufen, aber man darf auch nicht davor weglaufen. Warum hat er nicht einfach seine Kandidatur erklärt?
Philipp: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das müssen Sie ihn selbst fragen. Ich glaube, der Satz, zu sagen, man darf vor Verantwortung nicht weglaufen, das ist ja erst mal richtig. Ich habe das auch so interpretiert, dass das eine Reaktion darauf war, dass bislang noch keiner sich so richtig aus der Deckung getraut hat oder ganz konkret seinen Hut in den Ring geworfen hat. Ich glaube, die Kandidatenlage wird sich in den nächsten Tagen ein bisschen lichten und dann werden auch genug Leute sagen, dass sie gerne Verantwortung für die SPD übernehmen wollen.
Schulz: Kandidieren Sie?
Philipp: Nein, ich kandidiere nicht.
Schulz: Okay. Das hätten wir geklärt. Wie muss der Prozess jetzt laufen für die Kür des oder der nächsten Vorsitzenden?
Philipp: Diese 23.000 Vorschläge, die die Mitglieder eingebracht haben, das ist, glaube ich, schon mal eine eindeutige Ansage. Die Leute wollen eingebunden werden. Die Partei möchte beteiligt werden. Das ganz normal, so wie es immer gelaufen ist, auf einem Parteitag zu beschließen, was der Parteivorstand vorher besprochen hat, das wird so nicht funktionieren. Man muss sehen, wo da jetzt die Tendenzen hingehen.
Aber ich glaube, Richtung Urwahl beziehungsweise Mitgliederentscheid geht es ganz eindeutig. Eine Urwahl klassischer Weise, dass die Parteimitglieder entscheiden und dann ist es durch, das geht ja nicht. Aber, dass man eine Urwahl macht und dann ein Votum für einen Parteitag abgibt, ich bin mir ziemlich sicher, dass das eine wahrscheinliche Variante ist.
Und dann ist natürlich noch die Frage nach der Doppelspitze eine sehr spannende. Ich finde das grundsätzlich gut, auch wenn es mit sehr viel positiven, aber auch mit negativen Gefahren verbunden ist. Aber ich glaube, da geht ein bisschen die Reise hin. Das kann man zumindest auch in Gesprächen mit den Genossinnen und Genossen vor Ort ein bisschen ablesen.
"Wie kann man als Partei spannender werden?"
Schulz: Laufen sich Lars Klingbeil und Franziska Giffey warm?
Philipp: Das weiß ich nicht. Das kann ich von Düsseldorf aus, so wie ich das beobachte, nicht beurteilen. Sie haben noch nicht gesagt, dass sie es nicht machen wollen. Von daher warte ich jetzt mal ab, wie sie sich die nächsten Tage äußern.
Schulz: Sie sagen ja gerade, das muss ein offener Prozess sein. Da darf jetzt auf keinen Fall der Vorstand der Basis was vorsetzen. Mit anderen Worten: Wenn heute zwei Kandidaten verkündet würden, bei dieser Sitzung heute, die zum Beispiel Klingbeil und Giffey hießen, das wäre für die SPD in NRW dann das Szenario, in dem Sie aufstehen würden, aufstehen im Sinne von protestieren?
Philipp: Das Szenario halte ich heute bei dem ganzen Vorlauf für wirklich unwahrscheinlich. Da würde man sich auch, glaube ich, keinen Gefallen tun, wenn man die Mitglieder erst mal fragt, schickt mir mal eine Mail und macht mir mal Vorschläge, wie es laufen soll, das wird gesammelt und dann sprechen sich ganz viele, wahrscheinlich sogar die meisten für ein beteiligtes Verfahren aus, und dann sagt die Parteispitze heute Nachmittag oder heute Abend, wir haben hier zwei Kandidaten, das halte ich für unwahrscheinlich.
Schulz: Was ist mit dem Vorschlag, der jetzt von Thomas Oppermann kommt, der noch den Schritt weiter geht als die Mitgliederbefragung, der sagt, wir müssten diese Befragung eigentlich auch nicht SPD-Mitgliedern öffnen? Wie stehen Sie dazu?
Philipp: Das ist eine sehr spannende Frage. Grundsätzlich spricht, glaube ich, viel dafür, immer wieder zu überlegen, wie kann man als Partei spannender werden, wie kann man sich nach außen öffnen. Ich glaube, da muss man sich grundsätzlich mit beschäftigen.
Man stößt bei so einer Frage, wie weit öffne ich mich, gerade auch bei Personalentscheidungen, immer auch an Grenzen, wenn es darum geht, was hat eigentlich meine Mitgliedschaft noch für einen Wert, werte ich das SPD-Mitglied, was teilweise seit Jahren schon mitarbeitet, was ja auch einen Beitrag bezahlt, werte ich das ab, wenn ich diese Entscheidungen für alle öffne. Das ist sehr kompliziert. Sich für bestimmte politische Fragen öffnen, ist grundsätzlich immer gut, aber die Grenzen sind da sehr schwierig abzustecken.
"Ich bin grundsätzlich Fan einer Doppelspitze"
Schulz: Eine schwierige Abwägung, das habe ich verstanden. Wie würden Sie die für sich persönlich entscheiden? Ist das eine gute Idee mit den Nichtmitgliedern oder nicht?
Philipp: Ich habe, ohne das jetzt zu Ende diskutiert zu haben in aller Ausführlichkeit, erst mal grundsätzlich Bauchschmerzen.
Schulz: Das große Thema ist ja jetzt für die SPD nun ehrlicherweise schon seit längerer Zeit eine Erneuerung. Das wird dann leichter mit einer Doppelspitze, die dann ja ehrlicherweise wahrscheinlich aus beiden Flügeln kommt und ehrlicherweise auch relativ viel mit sich selbst zu tun haben wird?
Philipp: Das ist genau die Gefahr in einer Doppelspitze. Ich bin grundsätzlich Fan einer Doppelspitze, schon seit Jahren. So richtig nach vorne getrieben haben wir das nie. Deswegen ist das jetzt eine gute Gelegenheit, darüber nachzudenken, ob das gut ist. Entscheidend ist aber, dass das ein Team sein muss, was funktioniert.
Das ist ja eine absolute Horrorvorstellung, dass dann da am Ende zwei Leute an der Spitze sind, die sich überhaupt nicht leiden können, die überhaupt nicht in der Lage sind, zusammenzuarbeiten. Ich glaube, das ist genau die Gefahr. Man muss sich im Einzelfall selbst zurücknehmen können. Man muss thematisch, glaube ich, die Felder abgesteckt haben. Jeder muss wissen, wann er was zu sagen hat. Die dürfen sich natürlich keinesfalls in der Öffentlichkeit widersprechen. Das ist von der Kommunikation und von der Arbeitsweise sicherlich eine große Herausforderung. Aber das schließt trotzdem nicht aus, dass es gut werden kann, und von daher ja, sicherlich eine Option.
Schulz: Wenn es eine Doppelspitze wird, haben dann die Stimmen recht, die wir jetzt aus Ostdeutschland hören, dass ein Teil der Parteispitze auch aus dem Osten kommen muss?
Philipp: Ich glaube, man muss schon sehen, dass das natürlich am Ende so ausgestaltet wird, dass viele Mitglieder sich auch wiederfinden. Und es ist auch eine Frage durchaus von regionalen Themen und wie ich das Ganze auch aufteile, rein organisatorisch. Von daher muss man gucken, dass sich da viele wiederfinden. Aber am Ende ist Geographie weniger entscheidend, glaube ich, als Themen, die dann auch zusammen passen, und dass diese beiden, wer auch immer das dann sein wird, wenn es soweit kommt, dann gut zusammenarbeiten. Das ist das Allerwichtigste.
Schulz: Und wann wissen Sie, ob die SPD in der schwarz-roten Koalition wird bleiben können?
Philipp: Das ist eine spannende Frage. Wenn ich Ihnen das beantworten könnte, dann wäre das, glaube ich, sehr viel. Ich glaube, das ist auch eine Frage, die sich natürlich beantworten wird, die jetzt aber nicht ganz oben steht. Die Koalition arbeitet ja weiter. Es ist jetzt auch noch eine Sitzungswoche in Berlin diese Woche, bevor es dann in die Sommerpause geht, und da muss man einfach sehen, was ist inhaltlich noch möglich.
Es gab letzte Woche eine Einigung beim Soli, das Klimaschutzgesetz ist auf den Weg gebracht, wir haben immer noch eine ungeklärte Baustelle beim Thema Grundrente, da muss man ganz genau sehen, wie sich CDU und CSU dabei verhalten. Es gibt noch viele andere wichtige Themen, Pflege, der Bereich Wohnen, und dann muss man mit der Union schauen, was da noch geht, und hoffentlich so viel wie möglich umsetzen. Wenn man aber an den Punkt kommt, wo man merkt, inhaltlich ist da nicht mehr viel rauszuholen und unsere Ziele sind nicht mehr durchzusetzen, dann muss man auch darüber reden, dass man es beendet.
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