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SPD-Politiker Erhard Eppler
Selbstbekenntnisse eines Linken und Wertkonservativen

In seinem Buch "Links leben. Erinnerungen eines Wertkonservativen" bietet der SPD-Politiker Erhard Eppler tiefe Einblicke in eine bis heute gespaltene Partei.

Von Norbert Seitz |
    Der frühere Bundesminister Erhard Eppler (SPD) nimmt am 15.05.2015 in Stuttgart (Baden-Württemberg) an der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises 2015 teil.
    Der frühere Bundesminister Erhard Eppler (SPD). (picture alliance / dpa / Daniel Naupold)
    "Ich selber war nie so ganz sicher: Bin ich ein Linker oder bin ich ein Wertkonservativer. Wahrscheinlich beides."
    Erhard Eppler auf der Präsentation seiner Erinnerungen im Berliner Willy-Brandt-Haus. Hinter solch kritisch anmutender Selbstprüfung verbirgt sich in Wahrheit der Anspruch, zwei ursprünglich einander fremde Richtungen in personam zusammengeführt zu haben. Die Rückschau des langgedienten Bundes- und Landespolitikers wimmelt von solchen grenzgängerischen Selbstbefragungen:
    "War ich wirklich ein eitler Intellektueller, der immer Recht haben wollte. Nein, ich war nie ein Intellektueller. Nichts zog mich in ihre Kreise. Der astreine Intellektuelle scheut langfristige Bindungen. Deshalb ist in solchen Kreisen die Mitgliedschaft in einer Partei nicht üblich, ja sogar verpönt."
    Nicht beim jungen Eppler, dem Sohn eines Gymnasialdirektors aus Schwäbisch Hall, der sich in seiner Empörung über Adenauers eigenwillige Politik der Wiederbewaffnung und Westintegration an die Seite des vormaligen CDU-Abtrünnigen Gustav Heinemann und dessen Gesamtdeutscher Volkspartei gesellte. Allerdings wurde der Bundestagskandidat 1953 mit kläglichem Resultat nach Hause geschickt. Eppler wurde Studienrat in Schwenningen, ehe ihn die SPD-Nachkriegsgröße Fritz Erler nach dem umkämpften NATO-Beitritt der Bundesrepublik vor die Entscheidung stellte:
    "Wenn Sie auf Ihrem Grabstein die Inschrift haben wollen: Er hat immer Recht gehabt, bleiben Sie, wo Sie sind. Wenn Sie Politik machen wollen, kommen Sie zu uns."
    1968 beerbte er Hans Jürgen Wischnewski als Entwicklungshilfeminister in der ersten Großen Koalition. Der Grundsatzstreit wurde unausweichlich: Denn während Eppler als Minister auf Dienstreisen die katastrophale Dürre in der Sahelzone miterlebte, versuchten seine Parteifreunde daheim auf keynesianische Art mit kreditfinanzierten Konjunkturprogrammen der ersten Ölpreiskrise beizukommen.
    Kanzler Schmidt ließ den Haushalt des BMZ gründlich zusammenstreichen, woraufhin Eppler seinen Rücktritt einreichte. Es war der 4. Juli 1974. Das Datum nagt noch heute an ihm.
    "Nein, in diese Regierung passte ich nicht. Vor Journalisten erklärte ein sichtlich erleichterter Kanzler: Jetzt habe ich ihn rausgeworfen. Das machte aus einer politischen Differenz eine menschliche Verletzung."
    Mit seinem sozialökologischen Weckruf "Ende oder Wende" trat Eppler sodann einen noch lange währenden Flügelstreit los. Die innerparteilichen Gegner in Bonn und Stuttgart hielten dem zweimal gescheiterten SPD-Spitzenkandidaten vor, mit seinen Themen die Grünen erst salonfähig gemacht zu haben.
    "Als ich dann Vorsitzender der Grundwertekommission war, da gab es so etwas wie zwei Parteien unter dem Schild SPD: Es gab eine stark ökonomisch-gewerkschaftlich-wachstumspolitisch orientierte Partei, für die sicherlich Helmut Schmidt die bedeutendste Figur war. Und dann gab es eben doch gerade unter den Mitgliedern, die in den frühen 70er-Jahren hinzugekommen waren, die Willy Brandt helfen wollten in der Ostpolitik, gab es eine fast ebenso große Gruppe von eher friedenspolitisch und zum Teil ökologisch motivierten Menschen."
    Im Streit um den NATO-Nachrüstung Anfang der 1980er-Jahre eskalierte der Konflikt zwischen Kanzler Schmidt, der die Raketenstationierung angemahnt hatte, und seinem schärfsten Widersacher, der als sozialdemokratischer Protagonist der Friedensbewegung in Erscheinung trat:
    "Ich bin wahrscheinlich als einer bekannt, der polarisiert hat, etwa in der Raketenfrage."
    Erhard Eppler mag es im Rückblick als sein politisches Verdienst ansehen, der fortschrittsoptimistischen Planierraupe SPD ökologisches Bewusstsein eingebläut zu haben. Der grün-alternativen Bewegung konnte er das Wasser damit aber nicht abgraben.
    Auch als Spiritus rector des Berliner Parteiprogramms von 1989 war dem Vordenker kein Glück beschieden. Eppler ist tief enttäuscht darüber, dass seine Botschaft nie in der deutschen Öffentlichkeit angekommen sei. Er schimpft aus dem Nähkästchen der Programmkommission. Oskar Lafontaine habe seine Rolle dort nur "egomanisch", "faul" und "destruktiv" wahrgenommen.
    "Dass Oskar Lafontaine jämmerlich gescheitert war, erfuhren nur Insider. Profilieren konnte man sich allenfalls, wenn man das Programm kritisierte, nicht wenn man es zitierte. Das Berliner Programm wurde von oben abgeblockt, in der Baracke erstickt."
    Die Aktualität des Buches liegt darin, dass es einen tiefen Einblick in das Innenleben einer bis heute gespaltenen Partei liefert. Dabei hebt sich Erhard Epplers Lebensbericht als Lesestoff wohltuend von der trockenen Referentenprosa üblicher Politikererinnerungen ab. Dennoch kann der Autor, gerade auch mit seinem alarmistischen Vermächtnis am Ende, den Eindruck einer eitlen Rechthaberschrift nie ganz verbergen.
    "Der 88-Jährige wagt die Behauptung, wenn mein Gedächtnis noch einigermaßen intakt ist: Ich habe nie gelogen, nie etwas behauptet, von dem ich bereits wusste, dass es nicht stimmte."
    Einspruch! Das folgende Bekenntnis wird man nach der Lektüre seiner Erinnerungen zumindest als nicht ganz der Wahrheit entsprechend werten müssen.
    "Dieses Buch ist kein Buch der Abrechnung, sondern es ist aus einem Gefühl der Dankbarkeit entstanden. Das ist ja auch was, wenn man so alt ist."
    Buchinfos:
    Erhard Eppler: "Links leben. Erinnerungen eines Wertkonservativen", Propyläen Verlag