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SPD-Politiker fordert mehr Druck in der Tschetschenien-Frage

Der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Rudolf Bindig hat Bundeskanzler Schröder und die europäischen Regierungschefs aufgefordert, in der Tschetschenien-Frage mehr Druck auf den russischen Präsidenten Putin auszuüben. Er hoffe, dass die Wirtschaftsbeziehungen als Transmissionsriemen für eine Verbesserung der Lage im Kaukasus dienen könnten.

Moderation: Friedbert Meurer | 11.04.2005
    Friedbert Meurer: Bundeskanzler Schröder hat gestern die Hannovermesse eröffnet. Das ist die größte Industriemesse der Welt. Diesmal ist Russland Partnerland der Industriemesse. Deswegen ist der russische Präsident Vladimir Putin gestern in Hannover eingetroffen, und eigentlich sollte er begleitet werden von den zwei Tschetschenienführern Präsident Alu Alchanow und dem Vizeregierungschef Ramsan Kadyrow. Dagegen hat es heftige Proteste gegeben, unter anderem von Amnesty International. Jetzt heißt es heute morgen, auf Intervention der Bundesregierung sei Kadyrow aus Moskau nicht mit nach Hannover gekommen. Am Telefon begrüße ich Rudolf Bindig. Er ist der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Berichterstatter des Europarates für Tschetschenien. Herr Bindig, wie sehr erleichtert sind Sie, dass Kadyrow offenbar nicht kommt?

    Rudolf Bindig: Ich bin sehr erleichtert, denn Herr Ramsan Kadyrow ist eine der schillerndsten und berüchtigten Figuren im Kaukasus und in Tschetschenien. Es wird ihm nachgesagt, dass er und seine Spezialtruppe, seine Miliz, an schweren Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind. Deshalb war ich schon sehr verärgert, als ich gehört habe, dass er zusammen mit Putin nach Deutschland reisen würde. Wenn er denn in Moskau geblieben ist und noch dazu auf Intervention der Bundesregierung, dann war das eine richtige Aktion der Bundesregierung, darauf zu bestehen, dass er nicht nach Deutschland kommt.

    Meurer: Wie schneidet in Ihrer Beurteilung der tschetschenische Präsident Alchanow ab, der offenbar mit in Hannover ist?

    Bindig: Er ist nicht die zentrale Figur dort, denn Herr Kadyrow ist ja der Nachfolger seines im Mai letzten Jahres ermordeten Vaters Achmed Kadyrow und hat letztlich dort die entscheidende Macht. Mit dem Präsidenten Alu Alchanow kann man zumindest verhandeln und sprechen. Es ist auch bisher nicht nachgewiesen, dass er in Menschenrechtsverletzungen involviert ist. Auf der anderen Seite ist er natürlich der treue Statthalter Moskaus in Tschetschenien und von daher zu kritisieren.

    Meurer: Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit Kadyrow gemacht? Sie hatten eine Sitzung in Straßburg im Europarat, da war er ebenfalls kein willkommener Gast und ist schließlich nicht gekommen.

    Bindig: Ja, wir haben vor drei Wochen einen runden Tisch zu Tschetschenien in Straßburg gehabt, wo wir sehr viele Beteiligte aus der Region eingeladen hatten, auch den Präsidenten Alu Alchanow, aber auch russische Politiker und Menschenrechtler, um über die Lage in Tschetschenien zu sprechen. Wir haben eben wegen der Verwicklung in schwere Menschenrechtsverletzungen Herrn Ramsan Kadyrow nicht dabei haben wollen, deshalb jetzt auch diese Kritik, die wohl zu Recht besteht. Es ist so, dass der Herr Kadyrow eine Spezialmiliz befehligt, die beim Tschetschenienkonflikt eine Rolle spielt. Die Russen wollen die sehr negativen Dinge nicht mehr machen, sondern das macht diese Miliz von Herrn Kadyrow, nächtlich in die Dörfer eindringen, Leute verhaften, sie foltern und sie verschwinden lassen, gar zu ermorden, und da ist er eben der berüchtigte Akteur.

    Meurer: Umso mehr fragt man sich, hätte die Bundesregierung davor schon auf die Notbremse treten müssen?

    Bindig: Ich weiß nicht genau, wann bekannt geworden ist, dass er zu der Reisegruppe um Putin gehören sollte, obwohl die Bundesregierung immer gesagt hat, er sei nicht Teil der offiziellen russischen Delegation. Dennoch: Wer auf die Idee gekommen ist, ihn aus diesem Anlass der Messe nach Deutschland mitzunehmen, das ist ja schon sehr zweifelhaft, da hat Herr Putin eine Aktion gemacht, die in der Tat korrigiert werden musste.

    Meurer: Vor einigen Wochen war der ehemalige Wahlkampfleiter Putins in Deutschland gewesen, in Berlin, der Beauftragte für Südrussland und Kaukasus. Sie haben sich, glaube ich, auch mit ihm getroffen. Gegenstand ist ein Kaukasuspakt. Was ist das für ein Pakt?

    Bindig: Es wird international erwogen, dass ähnlich wie beim Balkanpakt, Balkanprojekt, mehr Hilfe gegeben wird für Georgien, Aserbaidschan, Armenien und eben die Subjekte der Russischen Föderation, die im Kaukasus liegen. Das sind Kabardino-Balkarien, Nordossetien, Inguschetien, Tschetschenien und Dagestan. Aber die Vorstellungen der Russen sind wohl so gewesen, dass Europa zahlen soll und die Russen das Geld ausgeben, und da versickert ja derart viel in der Korruption, dass man da nicht viel weitergekommen ist. Was allerdings gemacht wird, es wird wohl mehr humanitäre Hilfe demnächst geben. Die EU hat weitere 22,5 Millionen Euro für die Opfer des Tschetschenienkonflikts zur Verfügung gestellt. Das finde ich eine richtige Aktion für Vertriebene und Flüchtlinge.

    Meurer: An wen geht das Geld?

    Bindig: Dieses läuft über humanitäre Hilfsorganisationen, Nichtregierungsorganisationen, die dort tätig sind, aus verschiedenen Nationen. Von Deutschland ist unter anderem die humanitäre Hilfsorganisation HELP dort beteiligt.

    Meurer: Aber die Idee, einen Kaukasuspakt analog zum Balkan zu beschließen, halten Sie im Moment noch für überhaupt nicht praktikabel?

    Bindig: Es ist extrem schwierig, für Georgien, Armenien und Aserbaidschan so etwas zu machen, dort zu einer Stabilisierung beizutragen, das ist richtig. Aber die Idee müsste ja sein, dass grenzüberschreitend gemeinsame Projekte gemacht werden, und wenn man sieht, welche Konflikte in Armenien und Georgien zum Beispiel noch sind, wo die Russen immer beteiligt sind und eine kritische Rolle spielen, dann müssten die Russen ihre Position dort in vielen Bereichen ändern. Erst dann könnte sich etwas Fruchtbares entwickeln.

    Meurer: Sind Sie denn der Meinung, es muss mehr Druck her auf Vladimir Putin, um den Tschetschenen zu helfen?

    Bindig: So richtig ich es finde, dass die wirtschaftlichen Beziehungen im Allgemeinen ausgebaut und verbessert werden, so notwendig halte ich es auch, dass in Bezug auf die Menschenrechtslage und die Haltung Russland im Kaukasus deutliche Worte gesprochen werden müssen und auch mehr Druck ausgeübt werden muss von allen europäischen Staats- und Regierungschefs.

    Meurer: Ist dem Kanzler das Wirtschaftsanliegen wichtiger als die Menschenrechte?

    Bindig: Ich hoffe, dass er der Auffassung ist, dass eine Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen auch ein Transmissionsriemen sein kann, um dann Auswirkungen auf die Demokratisierungsprobleme, auf die Menschenrechtslage zu haben. Aber das ist ein schwieriger Prozess, und es ist wichtig, dass auch klargemacht wird, dass man das erwartet.