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SPD-Politiker Klingbeil fordert Untersuchungsausschuss zur Spähaffäre

Mit wachsenden technischen Möglichkeiten der Telekommunikationsüberwachung sei auch die Maßlosigkeit der Geheimdienste gestiegen, kritisiert der SPD-Politiker Lars Klingbeil. Kanzlerin Angela Merkel nehme das zu sehr auf die leichte Schulter.

Lars Klingbeil im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Verbunden sind wir jetzt mit dem netzpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, mit Lars Klingbeil – guten Tag, Herr Klingbeil!

    Lars Klingbeil: Schönen guten Tag!

    Zagatta: Herr Klingbeil, nehmen wir das Aktuellste: Was sagen Sie denn zu den Informationen, dass private Telekommunikationsunternehmen offenbar ausländische Geheimdienste dabei aktiv unterstützen, ihre Kunden in Deutschland auszuspähen und sich dafür bezahlen lassen. Kann Sie so was überhaupt noch überraschen?

    Klingbeil: Ich muss zugeben, dass ich momentan fast täglich aufs Neue überrascht bin und dass das Ausmaß dieser Spähaffäre ich mir selbst vor acht Wochen, vor neun Wochen, als das Ganze losging, nicht hätte ausmalen können. Und am meisten beunruhigt mich eigentlich, dass auch unsere Bundesregierung nicht mit den Informationen rausrückt, sondern dass es immer wieder Journalisten sind, die hier aufdecken, die neue Infos liefern und wir keine Aufklärung seitens der Bundesregierung erleben.

    Zagatta: Aber Experten sagen jetzt, so ungewöhnlich ist das gar nicht. Man weiß ja von Firmen wie Microsoft, dass die sich sogar darüber beklagen, dass sie nach amerikanischen Gesetzen mit dem Geheimdienst operieren müssen. Also das könne uns hier auch alles nicht so sehr überraschen. Sind sie da blauäugig?

    Klingbeil: Nee, das hat nichts mit Blauäugigkeit zu tun. Aber es muss jetzt alles auf den Tisch. Es muss geklärt werden, ob in Deutschland auch deutsches Datenschutzrecht angewendet wird. Herr Pofalla hat neulich gesagt, in Deutschland findet das zu 100 Prozent statt. Und jetzt erleben wir täglich neue Informationen, dass dem vielleicht nicht so ist, dass es Kooperationen noch von Firmen gegeben hat, denen die Menschen ja auch vertrauen, denen die Menschen ihre Daten anvertrauen, hier Sachen weitergegeben wurden. Und das wird einen immensen Schaden sozusagen politisch, aber auch wirtschaftlich anrichten können, wenn hier sozusagen mit dem Vertrauen der Menschen auch willkürlich umgegangen wurde.

    Zagatta: Aber ist das so neu? Also über Edward Snowden wissen wir ja, dass der amerikanische Geheimdienst diese Art der Überwachung ja auch schon zu Zeiten so praktiziert hat, als Frank-Walter Steinmeier noch Kanzleramtsminister war, also die SPD da direkt beteiligt war. Und der hat davon ja auch offiziell nichts mitbekommen. Kann man da jetzt die Bundesregierung beschuldigen, dass es ihr vielleicht ähnlich geht?

    Klingbeil: Also klar ist, dass es Kooperation der Geheimdienste gibt und dass diese nach 9/11 sozusagen intensiviert wurden. Aber das, was wir doch erleben – und das kommt jetzt ans Licht –, ist, dass es sozusagen mit zunehmenden technischen Möglichkeiten auch sozusagen eine zunehmende Maßlosigkeit der Geheimdienste gegeben hat und in meinen Augen die Verhältnismäßigkeit da völlig verloren gegangen ist. Wann das genau passiert ist, wer davon gewusst hat und wer dafür die Verantwortung trägt, das muss aufgeklärt werden. Und das ist für einen Parlamentarier momentan eine recht frustrierende Situation, weil wir ja sozusagen auch kaum Möglichkeiten haben, jetzt kurz vor der Bundestagswahl – der normale parlamentarische Betrieb findet nicht mehr statt. Ich bin eigentlich der Meinung, man bräuchte bei dieser Tragweite einen Untersuchungsausschuss. Ich schließe momentan nicht aus, dass der in der nächsten Legislatur wirklich kommt, weil wir als Parlamentarier die Informationen auch wirklich nur aus der Presse erfahren und sonst von der Bundesregierung nichts bekommen.

    Zagatta: Nun ja, jetzt sind die Abgeordneten ja, zumindest bestimmte Gremien, da informiert worden. Anschließend hören wir auch aus den Reihen der SPD-Politiker, die davon Ahnung haben, die früher verantwortlich waren – wie Otto Schily, der frühere Innenminister, Ihr Parteifreund. Der sagte, man solle sich nicht so haben, Sicherheit gehe schließlich vor.

    Klingbeil: Ich will mal klarstellen: Ich sehe das Thema nicht durch eine SPD-Brille. Und mir ist auch klar sozusagen, dass wir regiert haben, und da muss man auch klären, welche Verantwortung hat die SPD wann wo getragen. Das habe ich ja gerade auch gesagt. Und wir haben immer deutlich gemacht, wir wollen diese Aufklärung, wir wollen jetzt umfassend wissen, was da passiert ist. Herr Schily ist aber jemand, mit dem ich sozusagen politisch wenig zu tun habe sozusagen. Ich bin jetzt im Bundestag. Herr Schily ist da seit 2005 nicht mehr, der gibt jetzt Interviews aus der Toskana. Aber ich glaube, es gibt jetzt eine andere Generation in der SPD, die auch Verantwortung trägt und die heute entscheidet, und da gehört Herr Schily nicht dazu.

    Zagatta: Und wenn Sie da ganz pragmatisch bleiben, was kann die Bundesregierung da tun, außer jetzt bei den USA Informationen anzumahnen und zu sagen, so geht's eigentlich nicht. Was wollen Sie jetzt mehr im Moment?

    Klingbeil: Also erst mal stellt sich für mich grundsätzlich die Frage, ob die Ahnungslosigkeit, die wir durch Herrn Friedrich, durch Herrn Pofalla und auch durch Frau Merkel ja gehört haben in den letzten acht Wochen, ob die haltbar ist. Weil wir jetzt ja erleben, es hat zum Beispiel auch die Versuche von deutschen Geheimdiensten gegeben, XKeyscore anzuschaffen. Es wurde getestet, und auch das muss ja irgendwo entschieden worden sein, ob man das tut. Und da erwarte ich jetzt Fakten auf den Tisch. Das Zweite ist, ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie den Amerikanern sehr deutlich macht, dass die Totalüberwachung, die ja anscheinend immer noch läuft gerade, dass die jetzt auch gestoppt wird. Und dann erwarte ich, dass dem ganzen Bundestag umfassende Informationen geliefert werden und nicht nur Gremien, in die ich zum Beispiel auch überhaupt keinen Einblick habe, weil ja dort nur gewählte Vertreter auch sitzen und ein sehr kleiner Kreis der Vertraulichkeit Informationen bekommt.

    Zagatta: Wie groß schätzen Sie da den Einfluss der Bundesregierung auf die Amerikaner ein - erst recht, wenn sich Geheimdienstarbeit ja oft auch noch verselbstständigt?

    Klingbeil: Wir sind ein großes Land, wir haben eine wirtschaftliche Macht auch, wir haben eine politische Bedeutung, wir sind in zentralen Organisationen auch der Weltpolitik aktiv. Und natürlich ist klar, dass wir sozusagen nicht die Politik der Amerikaner bestimmen können. Aber das, was ich doch erwarte, ist, dass eine deutsche Kanzlerin, die auch gewählt ist, um Grundrechte der deutschen Bürgerinnen und Bürger zu schützen, dass die jetzt sozusagen mal Aktivität entwickelt und sozusagen auch gegenüber den Amerikanern deutlich macht, dass die Totalüberwachung, die jetzt immer noch stattfindet, aufhören muss. Und ich finde, Frau Merkel nimmt dieses Thema zu sehr auf die leichte Schulter.

    Zagatta: Hat sie sich da Ihrer Meinung nach tatsächlich nicht eindeutig geäußert – das hat sie doch getan?

    Klingbeil: Sie hat sich geäußert, aber wir sehen ja, dass danach nicht wirklich was passiert ist. Also Herr Friedrich ist in die USA geflogen, ist zurückgekommen und hat gesagt, eigentlich ist alles gut. Herr Pofalla ist in Urlaub gefahren, und das sind alles Dinge, die wären unter Gerhard Schröder nicht passiert. Der hätte auf den Tisch gehauen, der hätte den amerikanischen Botschafter, der hätte Teile der amerikanischen Regierung zum Gespräch aufgefordert. Der hätte umfassende Informationen eingefordert, und er hätte konkrete Veränderungen eingefordert. Und alles das erleben wir gerade nicht.

    Zagatta: Da wird Ihnen die Regierung wahrscheinlich entgegenhalten, das sei aus der Opposition heraus leicht zu fordern. Ganz aktuell wird jetzt aber darüber diskutiert, wie man mit dem Asyl von Edward Snowden in Russland umgehen sollte. Schließen Sie sich Forderungen an oder wie stehen Sie zu Forderungen, man müsse ihm eigentlich in Deutschland dankbar sein für das, was er macht, und ihm aus deutscher Sicht irgendwie auch helfen, ihm möglicherweise ermöglichen, nach Deutschland zu kommen?

    Klingbeil: Also ich habe in der Tat die Meinung, dass wir Edward Snowden sehr dankbar sein müssen. Er hat Missstände aufgedeckt – das ist zumindest der Kenntnisstand, den wir jetzt haben –, und ich gehe davon aus, dass die Informationen ja auch von vielen geprüft wurden. Er hat gezeigt, dass in die Grundrechte deutscher Bürgerinnen und Bürger massiv eingegriffen wurde, deswegen gebührt ihm unser Dank. Und ich finde, dass so jemand dann auch sozusagen das Recht hat, dass wir ernsthaft einen Asylantrag prüfen. Die Bundesregierung hat es innerhalb weniger Stunden geschafft zu sagen, der kriegt hier kein Asyl. Bei anderen Sachen lässt man sich viel Zeit. Aber ich finde, man hätte innerhalb der Europäischen Union eine Lösung finden müssen. Es ist ein bisschen schmerzlich, dass jetzt Herr Putin politisches Asyl gibt und wir als Europäische Union blank dastehen, obwohl wir Herrn Snowden viel zu verdanken haben.

    Zagatta: Herr Klingbeil, jeden Tag werden mehr Details bekannt, wie wir da abgehört werden in Deutschland – offenbar sehr umfassend –, die Empörung hält sich trotzdem derart in Grenzen, dass nach jüngsten Umfragen die derzeitige Bundesregierung so beliebt ist, dass sie jetzt eigentlich, wenn jetzt Wahltag wäre, weiterregieren könnte. Wie erklären Sie sich das?

    Klingbeil: Ich glaube in der Tat, das ist einer der Gründe auch, weswegen Frau Merkel so gelassen mit dem Thema umgeht. Weil sie sieht, dass es sozusagen sie und ihre Regierungsarbeit nicht belastet. Aber das, was ich in vielen Gesprächen wahrnehme, ist, dass sozusagen die Menschen tief verunsichert sind, dass wir auch ganz viel Aufklärung wollen und das Thema aber sehr komplex ist. Also ich glaube, niemand war so naiv zu glauben, dass es so was nicht gibt. Aber die Tiefe und die Umfasstheit, mit der das jetzt alles passiert ist, die erschreckt doch viele. Und ich merke, dass das Thema wächst, dass die Empörung auch wächst. Und das ist auch, glaube ich, ganz wichtig, dass die Menschen ihre Grundrechte einfordern. Aber natürlich würde ich mir auch wünschen, dass heute schon mehr Menschen auf der Straße wären, protestieren, auch sozusagen uns Politiker kontaktieren, auf uns zugehen und uns auffordern, dass Aufklärung passiert. Aber ich bin mir recht sicher, in den nächsten Wochen wird sich hier noch vieles entwickeln.

    Zagatta: Wie kann man gegen die Schnüffelei ausländischer Geheimdienste in Deutschland angehen? Der SPD-Bundestagsabgeordnete und netzpolitische Sprecher seiner Fraktion, Lars Klingbeil, war das – ein Gespräch, das wir gerade, als unsere Nachrichten eben liefen, aufgezeichnet haben.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.