Christiane Kaess: Erst schien alles klar in Sachen Rente. Die Eckpfeiler für dieses wichtige Thema hatten SPD und Union schon im Koalitionsvertrag festgelegt. Aber dann wollte die SPD, allen voran Finanzminister Olaf Scholz, die Pläne für die Alterssicherung über das besprochene Datum von 2025 ausdehnen bis 2040. Die Union zog allerdings nicht mit und die SPD musste zurückrudern. Außerdem gab es Meinungsverschiedenheiten darüber, ob und wie das Rentenpaket mit einer Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung gekoppelt werden soll. Gestern Abend dann das Treffen der Koalitionsspitzen in Berlin.
Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Katja Mast. Sie ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag und Mitglied der Rentenkommission der Bundesregierung. Guten Morgen!
Katja Mast: Guten Morgen, Frau Kaess.
"Was wir gestern erreicht haben, ist ein großer Durchbruch"
Kaess: Was da jetzt beschlossen wurde, das hätte ja schon länger erreicht werden können. Aber dann hat die SPD diesen Vorstoß gemacht, das Rentenniveau bis 2040 festzulegen. Was hat das gebracht?
Mast: Zuerst mal ist das, was wir gestern erreicht haben, ein großer Durchbruch und zeigt, dass wir einen sozialpolitischen Herbst bekommen. Für die SPD war klar, dass wir jetzt im ersten Schritt mehr Sicherheit in der Rente bis 2025 hinbekommen, mit der doppelten Haltelinie. Das heißt, Stabilisierung des Auszahlbetrages der Rente, des Rentenniveaus und des Beitragssatzes. Da geht es ja immer um alle Generationen, weil alle wissen dann, woran sie sind, also um Jung und Alt. Und klar ist, dass die SPD mehr will. Das haben wir schon im Wahlkampf gefordert, deutlich über 2025 hinaus. Deshalb war die Debatte und ist auch die Debatte der letzten Wochen notwendig, um zu zeigen, in dieser Koalition gibt es ambitioniertere Ziele als die, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben.
Kaess: Aber letztendlich haben Sie das nicht erreicht, was Sie wollten, und man muss unterm Strich sagen, hat die Bundeskanzlerin recht. Die SPD hat damit einfach erst mal Unsicherheit geschürt?
Mast: Ich widerspreche Ihnen. Die Debatte um die Zukunft der Rente ist eine ganz zentrale.
Kaess: Aber das hätte man ja nicht mit so einem Vorstoß jetzt noch mal kurz vor dem Treffen machen müssen.
Mast: Ohne diesen Vorstoß hätten wir die Debatte gar nicht, und es geht ja in der Debatte um Sicherheit. Deshalb verstehe ich den Vorwurf der Kanzlerin auch nicht ganz, keine Debatte darüber zu führen. Ich bin Mitglied der Rentenkommission, wie Sie ja schon gesagt haben in der Anmoderation. Aber klar ist doch auch, dass es nicht nur eine Frage für zehn Leute in der Rentenkommission ist, wie die Zukunft der Rente aussieht, sondern dass wir auch eine gesellschaftliche Debatte darüber brauchen, und diesen Vorstoß können wir Olaf Scholz verdanken, weil nur durch seinen Vorstoß haben wir überhaupt die Debatte angefangen.
"Es ist notwendig, die Unterschiede zwischen den Volksparteien zu zeigen"
Kaess: Aber war das denn taktisch klug? Denn jetzt wirkt das Ganze ja für viele Menschen, die sich vielleicht auch tatsächlich ernsthaft Sorgen um ihre Rente machen, so, als ob die SPD jetzt da mal leichtfertig eine Forderung aufgegeben hat, ein bisschen hin und her, erst widmen man sich mit Vehemenz einem ursozialdemokratischen Thema, dem Versprechen des Staates auf anständige Rente, und dann ein paar Tage später gibt man die Forderung wieder auf?
Mast: Nein. Wir sind in einer Situation, wo wir in der Koalition gemeinsam das umsetzen, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Darüber sind wir gestern Abend hinaus, was die Qualifizierungsinitiative angeht, die Hubertus Heil vorgeschlagen hat, die wir jetzt dringend brauchen, um die Digitalisierung am Arbeitsmarkt zu gestalten. Deshalb geht es darum, neben dem, was wir umsetzen, auch Zukunftsdebatten zu führen. Das ist ja genau das Problem, was wir in der letzten Koalition gemeinsam hatten, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern nicht deutlich gemacht haben, was wollen wir eigentlich über das hinaus, was wir in vier Jahren gemeinsam leisten können und vereinbart haben. Ich glaube, es ist dringend notwendig, dass wir zwischen den Volksparteien auch zeigen, wo die Unterschiede sind, und die SPD hat deutlich gemacht, wohin sie möchte.
Kaess: Haben Sie sich eigentlich übergangen gefühlt von der eigenen Partei? Denn Sie haben es ja selbst schon gesagt: Eigentlich soll ja die Kommission Vorschläge ausarbeiten, und dann kam plötzlich Olaf Scholz mit seinem kühnen Vorschlag.
Mast: Ich denke, es ist ganz sinnvoll, dass die Parteien sich positionieren. CDU/CSU haben kein Konzept. Das hatten sie schon auch nicht im Bundestagswahlkampf.
"Die SPD will die Stabilisierung des Niveaus über 2025 haben"
Kaess: Die SPD ja auch nicht. Das war ja genau das. Sie hat eine Forderung in den Raum gestellt, aber hatte nie ein Gesamtkonzept dafür.
Mast: Da würde ich Ihnen massiv widersprechen. Unsere ehemalige Arbeitsministerin und heutige Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles hat ein ganz deutliches Rentenkonzept vorgeschlagen.
Kaess: …, um die Rente bis 2040 zu stabilisieren?
Mast: Da ging es bis 2035. Das war auch Grundlage unseres Regierungsprogramms und auch Grundlage unserer Koalitionsverhandlungen.
Kaess: Und dann schlägt Olaf Scholz noch mal fünf Jahre drauf.
Mast: Deshalb ist das auch keine Debatte, die vom Himmel gefallen ist. Es ist jedem klar, dass die SPD die Stabilisierung des Niveaus über 2025 haben will. Die Union hatte weder im Wahlkampf, noch jetzt ein eigenes Konzept, eigene Ankerpunkte. Deshalb ist es gut, dass durch die Konkretisierung überhaupt die Debatte gestartet wird, weil es geht ja nicht darum, dass Olaf Scholz einen Vorstoß macht und der gestern Abend umgesetzt wird. Darum ging es nie in der Debatte, sondern es geht darum, deutlich zu machen, dass es engagierte sozialpolitische Anliegen von Seiten der SPD gibt, die es auch durchzusetzen gilt. Deshalb will ich auch noch mal darauf verweisen: Der Erfolg bei der Qualifizierungsoffensive, wo es ja auch darum geht, die Digitalisierung der Zukunft so zu gestalten, dass Menschen mehr an Weiterbildung teilnehmen, dass wir den Schutzschirm der Arbeitslosenversicherung ausdehnen, das steht ja alles nicht im Koalitionsvertrag und ist ein deutlicher Fortschritt.
Junge Leute sollen wissen, was sie an Rente bekommen
Kaess: Dass der Horizont 2040 nicht direkt angestrebt werden sollte, was sich die SPD gewünscht hat, das ist von uns anders wahrgenommen worden. Aber sei es drum; schauen wir trotzdem mal voraus, denn Sie wollen die Forderung ja aufrechterhalten. Wie wollen Sie das denn in der Legislaturperiode mit der Union noch umsetzen?
Mast: Das werden wir sehen. Wir haben ja die Rentenkommission, in der diskutiert wird, was sind die Vorschläge für die Zukunft. Die wird, im Koalitionsvertrag steht ja, im März 2020 ihre Ergebnisse vorlegen. Da wird sehr seriös und konsequent gearbeitet. Da sitzen ja auch unterschiedliche Interessen- und Haltungsgruppen mit am Tisch, und das ist ganz wichtig, weil gesellschaftlicher Konsens entsteht ja dadurch, dass auch unterschiedliche Perspektiven da sind. Und dann wird die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien entscheiden, was sie davon umsetzen. 2020 im März, da kann man dann auch noch handeln.
Kaess: Aber den Zeithorizont 2040 werden Sie doch mit der Union nie hinbekommen.
Mast: Das werden wir sehen. Wir werden darum ringen. Es ist unser Ansatz, dass wir sagen, wir wollen für die jungen, gerade auch für die junge Generation sagen, in diesem solidarischen Land, Du engagierst Dich durch Deine Beiträge in der Rentenversicherung, Du sollst aber auch wissen, was Du am Schluss herausbekommst aus der gesetzlichen Rentenversicherung, weil wir der festen Überzeugung sind, dass dies die wichtigste Säule der Altersvorsorge ist und dass sie auch Sicherheiten gibt weit über das hinaus, was man am privaten Kapitalmarkt organisieren kann.
"Es ist wichtig, die Zukunft der Arbeit zu sichern und zu gestalten"
Kaess: Jetzt hat die Union durchgesetzt, dass gleichzeitig der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung gesenkt wird, stärker als bisher vorgesehen. Die Koppelung, die war aber ursprünglich auch schon vorgesehen, und dann hat Arbeitsminister Heil von der SPD das Ganze entkoppelt und an sein Weiterbildungskonzept gebunden. Ist die SPD da vertragsbrüchig geworden ihrem Koalitionspartner gegenüber?
Mast: Der Beleg, dass die Koppelung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages an den Rentenpakt gekoppelt ist, den kenne ich nicht.
Kaess: Stellt die Union so dar.
Mast: Das stellt die Union so dar, aber es steht nicht im Koalitionsvertrag und ist auch nicht so hergestellt worden, zu keinem Zeitpunkt. Deshalb will ich an der Stelle widersprechen. Wichtig ist doch: Wir führen eine Debatte über die Zukunft der Arbeit, die Zukunft unseres ganzen Sozialstaats. Dann ist es doch wichtig, auch die Zukunft der Arbeit zu sichern und zu gestalten. Viele Menschen brauchen auch Unterstützung und auch viele Unternehmen brauchen Unterstützung bei der Frage, wie bilde ich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter. Bisher ist das nur möglich, denn Geringqualifizierte und Menschen ab einem bestimmten Alter können von der Bundesagentur für Arbeit gefördert werden, und jetzt können alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von diesem Strukturwandel betroffen sind, gefördert werden. Das halte ich für einen ganz großen Fortschritt zur Frage der Zukunft der Arbeit.
"Die Arbeitslosenversicherung soll auch für Krisenzeiten gewappnet sein"
Kaess: Die Union hat ja einige Zweifel an diesen Weiterbildungsmaßnahmen. Aber sagen Sie uns noch: Die Absenkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung, die ist jetzt stärker gekommen als geplant. Was hat denn die Bedenken bei der SPD ausgeräumt?
Mast: Wir haben ja die ganze Zeit gesagt, wir können uns auch mehr vorstellen. Aber für uns ist wichtig, dass die Arbeitslosenversicherung vier Ziele verfolgt. Das erste ist, natürlich auch für Krisenzeiten gut gewappnet zu sein. Wir haben ja 2008/2009 erlebt, wie 20 Milliarden Rücklage der Bundesagentur für Arbeit sehr schnell für wichtige Programme ausgegeben worden sind. Ich erinnere ans Kurzarbeitergeld. Das war ganz wichtig und deshalb müssen wir auch gerüstet sein. – Das ist der erste Punkt.
Der zweite ist eine Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der sie beschäftigenden Unternehmen. Das ist die Absenkung des Beitrages, weil es ist möglich, weil die Rücklagen so groß sind.
Aber es gibt noch zwei weitere Ziele, nämlich die Arbeit der Zukunft durch Qualifizierung zu gestalten und den Schutz der Arbeitslosenversicherung auszudehnen. Es gibt heute viele Menschen, die zahlen Beiträge, aber bekommen gar keine Leistungen, weil sie nicht die entsprechenden Anwartschaften haben. Auch da haben wir ja einen Fortschritt erreicht gestern Abend: die sogenannten Rahmenfristen.
"Die SPD ist in diese Regierung eingetreten, um sozialpolitisch zu liefern"
Kaess: Ganz kurz noch zum Schluss. Die nächste Diskussion, die steht schon ins Haus. Die Union will wegen der Haushaltsüberschüsse den Solidaritätszuschlag schneller abbauen. Was ist Ihre Antwort darauf?
Mast: Zuerst mal haben wir jetzt vereinbart, dass es einen sozialpolitischen Herbst gibt. Der Rentenpakt geht heute ins Kabinett. Dann kommt das Qualifizierungs-Chancengesetz, das Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz, der Schutz für Mieterinnen und Mieter und das gute Kita-Gesetz.
Kaess: Und der Solidaritätszuschlag, was ist damit?
Mast: Das sind die Dinge, die gestern vereinbart worden sind, dass die im Herbst, im September kommen. Ich finde das gut, weil wichtig ist, die SPD ist in diese Regierung eingetreten, um sozialpolitisch zu liefern. Das zeigen wir jetzt.
Kaess: Wir werden weiter beobachten, was aus dem sozialpolitischen Herbst wird. Katja Mast war das, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag. Sie ist Mitglied der Rentenkommission der Bundesregierung. Danke für das Gespräch heute Morgen.
Mast: Vielen Dank! – auf Wiederhören.
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