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SPD-Spitze
"Franziska Giffey hat keine wirkliche Hausmacht in der SPD"

Es spreche zwar nichts dagegen, dass Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) ihren Hut bei der Kanzlerkandidatur in den Ring wirft, sagte der Politologe Martin Florack im Dlf. Sie sei allerdings Quereinsteigerin in der Bundespolitik und habe daher "keine großen Truppen, die hinter ihr stehen".

Martin Florack im Gespräch mir Rainer Brandes |
21.08.2019, Berlin: Svenja Schulze (l-r, SPD), Bundesumweltministerin, Ulrike Demmer, stellvertretende Regierungssprecherin, Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, und Franziska Giffey (SPD), Bundesfamilienministerin, unterhalten sich zu Beginn der Kabinettssitzung im Bundeskanzleramt mit Heiko Maas (SPD), Außenminister. Die Mitglieder der Bundesregierung befassen sich in ihrer heutigen Kabinettsrunde unter anderem mit dem Gesetzentwurf zur weitgehenden Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa | Verwendung weltweit
Bei einer Sitzung im Bundeskabinett: Svenja Schulze (SPD), Ulrike Demmer, Hubertus Heil (SPD), Franziska Giffey (SPD) (dpa)
Rainer Brandes: Wäre Franziska Giffey tatsächlich die bessere Kandidatin für den SPD-Vorsitz?
Martin Florack: Ja, möglicherweise, das werden wir nicht erfahren, denn sie wird in der Tat in dieses Rennen nicht mehr einsteigen können – insofern erübrigt sich die Frage. Aber es ist ja auch noch ein anderer Posten zu vergeben in der SPD auf absehbare Zeit, für den dann möglicherweise Frau Giffey wieder ins Rennen einsteigen kann, denn die Frage der Kanzlerkandidatur stellt sich ja dann möglicherweise auch noch mal. Und da wiederum spricht eigentlich nichts dagegen, dass sie da möglicherweise ihren Hut in den Ring wirft – weder der Zeitplan noch das unabgeschlossene Verfahren um ihre Doktorarbeit –, das wäre dann sozusagen eine zweite Option. Und möglicherweise hätte das auch eine ganze Reihe von Vorteilen, weil man vorher nicht als Parteivorsitzende verbrannt worden ist, denn die ganze Spekulation jetzt aktuell setzt ja auch darauf, dass Frau Giffey in diesem Posten was hätte bewegen können und nicht möglicherweise genauso verbrannt worden wäre wie viele andere Hoffnungsträger vor ihr.
Brandes: Ja, aber bisher galt ja eigentlich immer die Devise, der Parteivorsitzende oder die Parteivorsitzende haben das Erstzugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur. Das wäre dann ja nicht mehr so.
Florack: Ja, das ist natürlich jetzt auch nur eine Spekulation, anzunehmen, dass sie dafür infrage kommt. Das rührt daher, dass schon viele in der Partei ihr zubilligen, dass sie eine wichtige Rolle einnehmen kann und dass sie sozusagen ein Gewinnerpferd sein kann, auf das man setzen kann, um bei diesem Bild zu bleiben. Natürlich spielt Olaf Scholz eine wichtige Rolle, der ja auch als Finanzminister Ambitionen hat und …
"Gilt als Hoffnungsträgerin innerhalb der SPD"
Brandes: Ja, das wollte ich gerade fragen: Meinen Sie, das Alphatier Olaf Scholz verzichtet da wirklich zugunsten von Franziska Giffey?
Florack: Nein, überhaupt nicht. Das wäre sicherlich viel zu früh, das jetzt schon irgendwie festzuzurren, aber es sollte nur den Möglichkeitsraum beschreiben, der sich damit auftut, auch mit verteilten Rollen zu spielen in der SPD. Auch die aktuelle Diskussion in der SPD und auch das Setzen auf die Doppelspitze ist ja auch schon eine Reaktion darauf, dass man mit einzelnen Hoffnungsträgern nicht sehr weit gekommen ist. Es verbindet sich damit ja eigentlich die Hoffnung, dass man dann die Last und auch die Freude auf mehrere Schultern verteilen kann, dass unterschiedliche Akteure unterschiedliche Dinge beitragen, und da hat man jetzt mit Franziska Giffey potenziell jemanden, der auch noch in diese Diskussion dann irgendwann mit einsteigen kann. Zumindest wäre das die Kalkulation der SPD, sich von dieser Verteilung auf mehrere Personen dann wiederum einen Schub zu versprechen, den man nicht hatte, indem man Martin Schulz oder Andrea Nahles zu Parteivorsitzenden machte und bei denen auch alle Erwartungen abgeladen hat.
Brandes: Aber im Moment ist ja das Problem so, da gibt es die zwei Promimänner, Olaf Scholz und Norbert Walter-Borjans, und die kandidieren zusammen mit eher unbekannten Frauen. Da stellt sich ja dann schon die Frage: Ist das eine gleiche Verteilung auf verschiedene Schultern? Das klingt ja zunächst mal nicht besonders progressiv.
Florack: Das ist richtig, und man darf auch, glaube ich, bei der Personalie Giffey nicht vergessen, dass sie auch jetzt als Ministerin strahlt und auch für viele als Hoffnungsträgerin innerhalb der SPD gilt, aber gleichzeitig nicht wirklich über Hausmacht in dieser Partei verfügt. Sie ist ja in der Bundespolitik eine Quereinsteigerin, sie hat keine großen Truppen, die hinter ihr stehen, und das spielt ja jetzt in der aktuellen Debatte um den Parteivorsitz doch durchaus eine wichtige Rolle. Man darf nicht vergessen, dass das Duo Esken und Norbert Walter-Borjans ja auch vom größten Landesverband der SPD unterstützt worden ist und mutmaßlich mitverantwortlich dafür ist, dass die beiden jetzt Olaf Scholz und Klara Geywitz herausfordern und niemand anders, weil die NRWler etwa ein Viertel der Mitgliedschaft stellen. Und das fehlt Franziska Giffey eigentlich völlig. Sie kommt aus Berlin, das ist ein kleiner Landesverband, was die Köpfe angeht, und auch ihr sonstiger bundespolitischer Einfluss stützt sich eher darauf, dass ihr was zugemessen wird, aber nicht, dass sie eine reale Machtposition innerhalb der Partei hat.
"Den Markenkern wieder suchen"
Brandes: Heißt das, dass ihr jetzt diese Ausrede sozusagen, dass sie nicht kandidieren konnte, weil sie dieses Prüfverfahren zu ihrer Dissertation am Hals hatte, dass ihr diese Ausrede sozusagen auch zupasskommt, weil sie eigentlich wusste, sie hat keine Chance?
Florack: Als Ausrede würde ich es nicht beschreiben, denn sie war sich durchaus der Risiken bewusst. Nehmen wir mal an, das Verfahren jetzt in Berlin wäre anders ausgegangen und sie hätte ihre Kandidatur erklärt und sie wäre jetzt just am vergangenen Samstag noch als eine der potenziellen Parteivorsitzenden da gekürt worden – man möge sich ja gar nicht aus ihrer Rolle heraus vorstellen, was das für ein Sturm der Entrüstung jetzt auslösen würde – und hätte sie möglicherweise dann dazu bewogen, jetzt wieder ihren Rückzug zu erklären. Insofern, diese kontrafaktischen Spielchen sind ein bisschen beschränkt darauf hin, was zu machen, was länger als eine Woche oder zwei Wochen trägt.
Brandes: Wenn wir uns der Frage mal etwas größer widmen, über die SPD hinaus, dann stelle ich mir die Frage, warum ist es eigentlich so schwer geworden, die großen Volksparteien zu führen, denn die CDU hat ja gerade ein ganz ähnliches Führungsproblem.
Florack: Das liegt zum Teil daran, dass sie nicht mehr wirklich groß sind.
"Das macht aus der Personalfrage eine viel größere Frage"
Brandes: Ja, von den Mitgliederzahlen ja eigentlich schon noch.
Florack: Ja, in der Tat, sie sind deutlich größer als die kleineren, was die Zahl angeht, aber man darf nicht vergessen, dass die beiden Volksparteien von einem ähnlichen Trend betroffen sind, nämlich dass sie mittelfristig aussterben, um das so hart zu formulieren, wenn sie nicht Nachwuchs organisieren, und der ist trotz der kleinteiligeren Eintritte nicht wirklich zu erwarten. Davon sind sowohl die Union als auch die SPD betroffen, und dieser Schrumpfungsprozess setzt die ganze Identität dieser Parteien unter Druck. Und Akteure, deren Identität gefährdet ist, die können unterschiedliche Reaktionen darauf zeigen, Selbstvergewisserung, Aggressivität nach außen, weil man sich über sich selber nicht sicher ist. Und genau diese Phänomene sehen wir eigentlich sowohl bei der Union als auch bei der SPD, die zunehmend auch beginnen, genau diesen Markenkern wieder zu suchen, für den sie stehen und über den sie eigentlich selber unsicher geworden sind.
Brandes: Aber ist es dann nicht umso fataler, dass diese Parteien sich so lange eine offene Führungsfrage leisten? Gerade die SPD, bräuchte die nicht längst eine starke Führungsperson?
Florack: Ja, in der Tat, aber das liegt natürlich auch an den strukturellen Umständen, die wir haben, nämlich dass Angela Merkel, dadurch, dass sie ihren Verzicht erklärt hat, bei der nächsten Wahl noch mal anzutreten, das Feld weit geöffnet hat, und dass es diesmal auch in besonderer Weise um etwas geht, denn es ist ja erstmalig die Situation so, dass da gar kein Platzhirsch wieder antritt. Das sind völlig andere Bedingungen, als wir das auch bei vergangenen Kanzlerwechseln erlebt haben, denn sowohl im Jahr 98 ist Helmut Kohl noch mal zur Bundestagswahl angetreten und hat dann verloren gegen Gerhard Schröder, und auch Gerhard Schröder hat sich wieder zur Wahl gestellt und hat keinen freiwilligen Verzicht erklärt, wenn man nur mal die beiden letzten Amtsvorgänger vor Angela Merkel in den Blick nimmt. Das ist eine völlig andere Ausgangslage. Das heißt, bei allen Spekulationen in der aktuellen tagespolitischen Auseinandersetzung ist allen klar, dass die Gemengelage dann bei der nächsten Bundestagswahl völlig anders und völlig neu sein kann und das niemand voraussehen kann. Und das macht aus dieser Personalfrage natürlich auch eine viel größere Frage als eine, vor der man stünde, wenn Angela Merkel noch mal kandidieren würde.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.