Wer beim Landtags-Abgeordneten Oskar Helmerich anklopft, hat momentan kein Glück. Wer ihn anruft, gelangt nur auf die Mailbox. Direkt neben seinem Abgeordnetenbüro steht auf dem Flur des Thüringer Landtags ein Aufsteller mit SPD-Werbematerial - und einer Postkarte: "Null Toleranz für Nazis". Es kann ein Zufall sein, aber auch ein böser Scherz direkt vor Helmerichs Büro. Der Abgeordnete trat am vergangenen Wochenende mit einem Paukenschlag in die Öffentlichkeit. In der Zeitung war zu lesen, Oskar Helmerich habe, - Zitat - "um Wähler zu werben, die zur AfD abgewandert" seien, Thilo Sarrazin zu einer Lesung eingeladen. "Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht" heißt Sarrazins Buch.
Matthias Hey ist der Fraktionsvorsitzende der Thüringer SPD im Landtag, ein Mann mit viel Humor - normalerweise.
"Ich finde, dass Sarrazin kein öffentliches Podium – insbesondere nicht mit seinen jetzt verbreiteten Schriften – verdient. Das ist aber eine persönliche Meinung. Es gibt innerhalb der Partei, also meiner Partei, da auch andere Auffassungen. Und wie wir im Bundesdurchschnitt sehen: Jede Partei hat so ihren Sarrazin. Ich freue mich ja immer, wenn Abgeordnete Eigeninitiative entwickeln – auf diese Initiative hätte ich gern verzichtet."
"Ich finde, dass Sarrazin kein öffentliches Podium – insbesondere nicht mit seinen jetzt verbreiteten Schriften – verdient. Das ist aber eine persönliche Meinung. Es gibt innerhalb der Partei, also meiner Partei, da auch andere Auffassungen. Und wie wir im Bundesdurchschnitt sehen: Jede Partei hat so ihren Sarrazin. Ich freue mich ja immer, wenn Abgeordnete Eigeninitiative entwickeln – auf diese Initiative hätte ich gern verzichtet."
Koalitionäre zeigen sich zugeknöpft
Matthias Hey presst nach jeder Antwort seine Lippen zusammen, um nicht noch mehr zu sagen. Denn sein Problem ist, dass er Oskar Helmerich braucht – auch wenn manche Jusos fordern, Oskar Helmerich aus Partei und Fraktion zu werfen, weil sie Thilo Sarrazin für einen Rassisten halten, der der AfD den Weg geebnet hat. Oskar Helmerich aber ist die eine Stimme, die der Rot-Rot-Grünen Koalition die Mehrheit sichert, seit eine Sozialdemokratin zur CDU gewechselt ist. Und deshalb pressen alle Linken, Sozialdemokraten und Grünen, die man auf den Landtagsfluren zur Causa Helmerich befragt, die Lippen zusammen. Wie etwa die grüne Landesvorsitzende, Stephanie Erben:
"Das ist für uns alle eine große Überraschung gewesen, das hätten wir in der Form nicht erwartet."
Autor: "Gab es starke Diskussionen dazu?"
Stephanie Erben: "Es gab sehr viel Verwunderung, auf jeden Fall. Aber – das ist jetzt so."
Susanne Hennig-Wellsow, Fraktionschefin der Linken, übt sich in knochentrockener Sachlichkeit.
"Dass ich über die Einladung von Thilo Sarrazin nicht begeistert war, dürfte kein Geheimnis sein. Allerdings danke ich auch der SPD-Fraktion und dem SPD-Landesvorsitzenden, dass er so deutlich Stellung nimmt und klare Haltung gegen die Einladung, gegen die Position von Thilo Sarrazin zeigt. Und zur Wahrheit gehört ja immer noch, dass Thilo Sarrazin ein SPD-Mitglied ist. Von daher ist die Situation, wie sie ist. Und deswegen haben wir schon sehr intensiv gesprochen."
"Dass ich über die Einladung von Thilo Sarrazin nicht begeistert war, dürfte kein Geheimnis sein. Allerdings danke ich auch der SPD-Fraktion und dem SPD-Landesvorsitzenden, dass er so deutlich Stellung nimmt und klare Haltung gegen die Einladung, gegen die Position von Thilo Sarrazin zeigt. Und zur Wahrheit gehört ja immer noch, dass Thilo Sarrazin ein SPD-Mitglied ist. Von daher ist die Situation, wie sie ist. Und deswegen haben wir schon sehr intensiv gesprochen."
"Privatsache" des Abgeordneten
In der Tat hatten sich schon am Wochenende SPD-Fraktion und auch der Landesvorsitzende Wolfgang Tiefensee sehr klar von Oskar Helmerich und dessen Veranstaltung mit Thilo Sarrazin distanziert. Die habe nichts mit der Partei zu tun, sondern sei eine Privatsache des Abgeordneten, so Tiefensee.
"Ich habe klar gesagt, dass die Partei sich davon distanziert und ich mich als Person, als Landesvorsitzender. Andererseits: Wenn wir Volkspartei sind, dann bilden wir nicht nur in unseren Themen das breite Spektrum der Bevölkerung ab, sondern wir haben auch in unserer Partei ganz unterschiedliche Meinungen. Und diese Meinungen sollten ausdiskutiert werden. Das ist so in der Demokratie, ist so in einer Partei."
Lieber jedoch würde die Thüringer SPD das Thema Sarrazin vom Tisch haben. In der Fraktionssitzung am Mittwoch haben sie lange und intensiv auf Oskar Helmerich eingeredet. Aber der Kartenverkauf für die Veranstaltung läuft. Knapp 24 € kostet ein Ticket. Oskar Helmerich hat ein finanzielles Risiko auf sich genommen. Von 10.000, gar 20.000 € munkelt man auf den Landtagsfluren. Thilo Sarrazin ist teuer, und der Veranstaltungssaal ist es auch. Und manche Genossen finden die Idee der Lesung gar nicht so schlecht, hat Matthias Hey mit Verblüffung festgestellt.
"Ich hatte bei mir im Wahlkreis, das war schon faszinierend, am Sonnabend mehrere Begegnungen, wo Leute, die auch durchaus SPD-affin sind, gesagt haben, das sei doch gar nicht so schlimm, und, klar müsse man mit dem Sarrazin auch mal ein klares Wort reden und mit dem debattieren. Also, die sehen das weitaus gelassener die Leute draußen als wir, die wir einen gewissen Tunnelblick haben und natürlich auch wissen, was das für eine Sprengwirkung hat, wenn man so einen Mann, insbesondere vier Tage vor der Europawahl, einlädt."
Aufnahme Helmerichs in die SPD ein Fehler?
Auch zwei SPD-Landräte warnen davor, Oskar Helmerich auszuschließen, weil er ein anderes SPD-Mitglied, eben Thilo Sarrazin, eingeladen hat. Aber ausschließen will ihn gerade ohnehin keiner. Ein halbes Jahr vor der Landtagswahl will man sich nicht noch die bislang stabile Rot-Rot-Grüne Koalition zerschießen.
Aber sicher werden die Genossen darüber nachdenken, ob sie nicht einen Fehler gemacht haben, als sie Oskar Helmerich ohne lange Prüfung in Partei und Fraktion aufgenommen haben. Denn der war über die AfD in den Landtag gekommen, ist sogar einer der Mitgründer der in Thüringen stramm am äußersten rechten Rand agierenden Partei unter Björn Höcke. Zwar hatte er von Anfang an einige Probleme mit Höcke – politisch wie menschlich –, doch stand er im März 2015 noch fest zu seiner Partei.
"Die AfD setzt aus meiner Sicht ihren Erfolgskurs ungehindert fort. Derzeit stehen wir zwischen sechs und acht Prozent, Tendenz steigend. Und von einem Scheideweg, denke ich, brauchen wir hier nicht auszugehen."
Nach ein paar Monaten mehr in der AfD-Fraktion roch es ihm dort zu deutschnational, zu autoritär, zu fremdenfeindlich.
"Ich denke, dass hier Rechtsideologen hinter einer bürgerlichen Fassade NPD-Positionen unter das Volk bringen möchten. Björn Höcke will aus meiner Sicht einen Führerstaat!"
"Ich denke, dass hier Rechtsideologen hinter einer bürgerlichen Fassade NPD-Positionen unter das Volk bringen möchten. Björn Höcke will aus meiner Sicht einen Führerstaat!"
Folgerichtig verließ Oskar Helmerich Fraktion und Partei – wie auch noch zwei andere Abgeordnete. Aber anders als die hatte er weniger Spaß am fraktionslosen Dasein im Landtag. "Na, als Fraktionsloser ist man natürlich sehr eingeschränkt, über finanzielle Mittel verfügt man gar nicht. Rechte haben Sie als fraktionsloser Abgeordneter auch nicht. Allerdings hat man ein Stimmrecht im Landtag – und das ist durchaus was wert, sage ich mal."
Diesen Wert erkannte auch die SPD. Und Oskar Helmerich entdeckte nach ein paar Monaten als fraktionsloser Abgeordneter sein sozialdemokratisches Herz. Einer, der ihm die Wandlung schon damals nicht abnahm, ist Peter Reif-Spirek, der die Sache zum Anlass nahm, nach 39 Jahren Mitgliedschaft aus der SPD auszutreten.
"Er und seine politischen Unterstützer im SPD-Landesverband haben darauf verwiesen, dass sein Austritt Ausdruck des Protestes sei gegen einen Rechtsruck in der AfD. Nun muss man sagen: Es hat vielleicht einen Rechtsruck auf Bundesebene gegeben; in Bezug auf die ostdeutschen Landesverbände kann man keinen Rechtsruck feststellen: Sie waren schon immer rechts. Und jetzt ist er im Grunde genommen mit der Einladung an Sarrazin wieder dort, wo er zu Beginn seiner AfD-Karriere stand."
Wohl noch zynischer, als es ohnehin schon gemeint war, klingt den Thüringer Sozialdemokraten nun in den Ohren, was der AfD-Chef Björn Höcke dem übergelaufenen Oskar Helmerich hinterher giftete: "Ich wünsche der SPD-Fraktion im Thüringer Landtag und den Fraktionären der SPD-Fraktion die notwendige Zeit, viele Gelegenheiten, sich über das Denken und die politische Überzeugung des ehemaligen Kollegen Helmerich intensiv zu informieren."