Jörg Münchenberg: Die größte öffentliche Aufmerksamkeit genießen derzeit sicherlich die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen, die in diesen Tagen die Möglichkeiten für eine Jamaika-Koalition ausloten. Aber auch die Sozialdemokraten stehen vor einer wichtigen inhaltlichen wie personellen Aufstellung. Heute noch sollen vor der konstituierenden Sitzung des Bundestages morgen dann der neue Generalsekretär vorgestellt und der Bundestagsvizepräsident oder die Bundestagsvizepräsidentin gewählt werden.
Auf den ersten Blick klingt das eher nach einer Formalie, aber faktisch offenbart sich hier ein Machtkampf zwischen dem angeschlagenen SPD-Parteichef Martin Schulz und der neuen Fraktionschefin Andrea Nahles. Allerdings gibt es auch noch anderswo Personalprobleme.
Zugehört hat Axel Schäfer, der ebenfalls für die SPD im Bundestag sitzt und dort dem linken Flügel zugerechnet wird. Herr Schäfer, ich grüße Sie!
Axel Schäfer: Ja, ich grüße Sie! – Ich bin vor allen Dingen stellvertretender Fraktionsvorsitzender, zuständig für EU-Angelegenheiten und Entwicklungszusammenarbeit, und nicht der Sprecher einer Strömung.
Münchenberg: Dann haben wir das jetzt auch geklärt. – Trotzdem, Herr Schäfer, die Vorstellung von Lars Klingbeil zum neuen SPD-Generalsekretär noch vor der Wahl des SPD-Bundestagsvizepräsidenten oder der Vizepräsidentin, halten Sie das insgesamt für einen guten Schachzug vom Parteivorsitzenden Martin Schulz?
Schäfer: Ich habe bis heute Morgen noch nichts von dieser Vorstellung gehört, außer in den Medien, und wenn man die Abfolge so ansieht, hätte ich mir auch eine andere Abfolge gewünscht.
Zwei Personalien auf einmal "sind immer schwierig"
Münchenberg: Das heißt, dass der Generalsekretär erst nach der Wahl vorgestellt wird?
Schäfer: Ja, man muss es nacheinander machen. Zwei wichtige Personalentscheidungen an einem Tag sind immer schwierig. Wir machen ja entgegen Ihrer Anmoderation weder Kampfabstimmungen, noch gibt es hier Personalquerelen, sondern es gibt unterschiedliche Kandidaturen oder es gibt auch unterschiedliche Wünsche, und das ist auch alles völlig legitim. Wir sind, glaube ich, das einzige demokratische Land in der Welt, wo Abstimmungen immer mit Kampf und Auseinandersetzung immer sofort mit Querelen, also negativ belegt werden, aber das ist hier ein ganz normaler Vorgang, dass es Änderungen gibt, weil Hubertus Heil nicht mehr als Generalsekretär kandidiert, und wir nicht mehr als SPD das Vorschlagsrecht für zwei Vizepräsidenten oder Vizepräsidentinnen haben, und das macht natürlich die Entscheidungslage schwieriger.
Münchenberg: Herr Schäfer, Sie haben ja selber gerade gesagt, Sie hätten sich gerne eine andere Vorgehensweise gewünscht. Das ist ja sicherlich kein Zufall, dass Klingbeil jetzt heute noch als neuer Generalsekretär vorgestellt wird. Was steckt dahinter Ihrer Ansicht nach?
Schäfer: Ich weiß es nicht. Es gibt ja manchmal Dinge, die entwickeln sich und die sind nicht im Hinterzimmer ausgekungelt oder kalte Machtstrategie. Wir wussten bis Mitte letzter Woche überhaupt nicht, wie viele Vizepräsidenten und Präsidentinnen wir als SPD vorschlagen können. Das hat das Ganze schon mal erschwert. Zum anderen sind wir ja immer in einer schwierigen Lage. Es wird auf dem Parteitag gewählt im Dezember und gleichzeitig erwarten doch ganz viele, wenn es schon einen neuen Generalsekretär oder eine neue Generalsekretärin gibt, dass man den Vorschlag sehr rechtzeitig auf dem Tisch hat, und in dieser Gemengelage sind wir jetzt.
"Das ist keine Attacke von Schulz auf Nahles"
Münchenberg: Trotzdem ist das ja ein bisschen kompliziert. Es soll mehr Frauen geben bei der SPD in Führungspositionen. Sie würden nicht so weit gehen und sagen, das ist jetzt eine Attacke des Parteivorsitzenden auf die neue Fraktionschefin Nahles, die sich ja für Thomas Oppermann als Bundestagsvize ausgesprochen hat und dessen Wahl aber heute Abend doch deutlich erschwert ist?
Schäfer: Nein, das ist keine Attacke von Martin Schulz auf Andrea Nahles. Es ist ein zeitliches Zusammengehen heute an diesem Montag, was manches erschwert oder auch manche Diskussion belastet, und wir werden sehen, wie das heute Nachmittag in der Fraktion läuft, ob tatsächlich dann drei kandidieren und wie dann die Empfehlung aussehen wird. So gesehen ist das kein großer Streit, wie er manchmal hochgeschrieben wird. Es ist aber eine Situation, wo mehrere vielleicht gegeneinander kandidieren, und das kommt nicht jeden Tag vor.
Münchenberg: Wie könnte oder sollte das Dilemma aus Ihrer Sicht denn gelöst werden? Oppermann wählen und damit einen Schaden von Nahles abwenden? Oder eine Frau wählen und damit gegen den Vorschlag der Fraktionschefin stimmen?
Schäfer: Meine Haltung ist völlig klar. Ich bin Mitglied des geschäftsführenden Fraktionsvorstands. Wir haben einvernehmlich, also auch mit meiner Stimme Thomas Oppermann vorgeschlagen. Dazu stehe ich auch und dafür setze ich mich auch ein. Ich glaube, man muss auch zu dem Wort, was man gegeben hat, stehen und wir werden heute Nachmittag schauen, wie die Diskussion darüber geführt wird. Wir werden ja auch eine intensive Personaldiskussion haben. Das ist auch gut und richtig so. Dann wird sich zeigen, wie die Abstimmung läuft.
Unterschiedlichkeiten austragen nach so einer Zäsur
Münchenberg: Aber wenn jetzt Oppermann gewählt werden sollte, dann hieße das ja auch, es gibt faktisch nur eine Frau im engeren Führungszirkel der SPD.
Schäfer: Nein, das ist ja falsch. Wir haben ja einen Vorsitzenden und wir werden auf alle Fälle drei stellvertretende Vorsitzende haben, die ja alle eine herausragende Rolle haben, wenn Sie insbesondere an Manuela Schwesig oder auch künftig an Malu Dreyer denken. So ist es nicht! Wir haben uns ja auch überhaupt nicht zu beklagen an wichtigen Frauen in herausragenden Führungspositionen. Aber es ist nun manchmal so, dass es nur einen Vorsitzenden oder nur eine Fraktionsvorsitzende gibt, und da ist das wichtige Thema Quotierung nicht immer zur absoluten Zufriedenheit regelbar.
Münchenberg: Trotzdem wirft das jetzt alles nicht wirklich ein gutes Bild auf die SPD. Bevor die richtige Oppositionsarbeit beginnt, sind die Sozialdemokraten doch ein wenig, ich würde nicht sagen, zerstritten, aber es rumort doch ein bisschen in der Partei. Ist das nicht eher ein schlechter Start jetzt in die neue Oppositionsarbeit?
Schäfer: Ich bin jetzt der Längstdienende in diesem Parlament in Verantwortung auch als stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Ich halte es für richtig, dass nach einer solchen historischen Zäsur, wo wir jetzt nicht mehr in der Regierung sind, wo wir bei 20,5 Prozent stehen, dass wir auch Unterschiede und Unterschiedlichkeiten austragen, diskutieren, offenlegen. Es wäre doch schrecklich, wenn plötzlich von heute auf morgen wir wie von einem Programm zum anderen umzappen würden und sagen, so, gestern Regierung gut, heute Opposition, es geht gut, alles läuft weiter. Wenn das so wäre, wären wir nicht bei 20 Prozent, sondern 30 Prozent bei der Bundestagswahl rausgekommen. Also, ist es ein ganz normaler Prozess, den wir jetzt erleben, und ich finde das übrigens auch viel besser als auf der anderen Seite, wenn sich jetzt manche an Jamaika schon besoffen reden. Die werden bei dieser Farbkonstellation dann spätestens in der Wirklichkeit mit einem Brummschädel aufwachen.
"Ich unterschreibe nicht, dass Schulz angeschlagen ist"
Münchenberg: Trotzdem: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass da doch einige Narben zurückbleiben werden von der heutigen Wahlentscheidung?
Schäfer: Es kommt darauf an, wie man miteinander umgeht. Das ist das Allerwichtigste dabei. Nicht, dass man unterschiedliche Personalvorschläge hat, nicht, dass man auch mal unterschiedliche Meinungen vertritt. Es wäre doch schrecklich, wenn in der SPD alles stromlinienförmig liefe. Das war nie bei uns so und die größten Debatten und manchmal die schwierigsten Auseinandersetzungen hatten wir gehabt, als wir Wahlergebnisse auf Bundesebene bei 40 Prozent hatten. Auch das nur mal vielleicht zur Erinnerung.
Münchenberg: Trotzdem: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass sich hier noch mehr Unmut gegen den SPD-Parteichef Martin Schulz zusammenbraucht, der ja ohnehin als angeschlagen gilt nach dem schlechten Wahlergebnis?
Schäfer: Ich unterschreibe nicht, dass Martin Schulz jetzt angeschlagen ist. Martin Schulz ist gewählt als Vorsitzender. Er kandidiert wieder als Vorsitzender. Es gibt niemand, der zu erkennen gegeben hat, dass er das nicht trägt oder gegen ihn kandidiert. So gesehen ist das mal eine starke Stellung. Dass 20,5 Prozent ein schlechtes Ergebnis ist, das ist unbestritten. Das hat Martin Schulz auch immer gesagt. Und er hat ja deshalb auch deutlich gemacht, dass wir die SPD ein Stück neu aufstellen. Aber wir stellen die auf mit den bei uns vorhandenen Mitgliedern, auch mit vielen hoffentlich, die in diesem Jahr eingetreten sind. Aber es gibt immer auch nicht erst seit Goethe und Schiller eine Beständigkeit im Wandel, und beides müssen wir zusammenführen.
Münchenberg: Über die schwierigen Personalentscheidungen bei der SPD war das Axel Schäfer. Herr Schäfer, vielen Dank für das Gespräch.
Schäfer: Ich danke Ihnen!
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