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SPD-Vize Ralf Stegner
"Schulz wird uns einen Energieschub geben"

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner hat die Regierungsführung zum Ziel seiner Partei für die Bundestagswahl erklärt. Mit Martin Schulz habe die SPD "einen robusten Kämpfer" als Kanzlerkandidaten, sagte er im DLF. Eine Fortsetzung der Großen Koalition müsse unbedingt verhindert werden.

Ralf Stegner im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Mann in mittleren Jahren mit brauen Haaren und randloser Brille schaut nachdenklich nach links
    SPD-Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein, verkündet am 13.04.2016 in Kiel (Schleswig-Holstein) seine Entscheidung, sich 2017 erneut um einen Sitz im schleswig-holsteinischen Landtag zu bewerben und nicht um einen Platz im Bundestag (picture alliance / dpa /Markus Scholz)
    "Die Reaktionen zeigen, dass wir abgeschrieben waren, aber die SPD darf man nie abschreiben", sagte Stegner. "Wir werden einen Martin Schulz erleben, der uns einen extra Energieschub verpasst. Dann sind wir auf dem Feld - und Wahlkampf können wir." Die große Koalition wolle man nicht fortsetzen und selbst die Regierung anführen.
    Die SPD habe gute Themen, mit denen sie bei den Wählern punkten könne. Es gehe um gerechte Politik in der Gesundheitspolitik mit einer paritätischen Bürgerversicherung. Die Menschen müssten von ihrer Arbeit leben können, die Rente müsse gesichert sein und Steuergerechtigkeit herrschen. Zudem wolle sich die SPD als "Brandmauer gegen den Rechtspopulismus" beweisen. Die SPD müsse mit Blick auf diese Kräfte deutlich machen: "Die haben in Parlamenten nix verloren." Die Union tue dies nicht und sei ohnehin zerstritten.
    Dass Sigmar Gabriel zugunsten von Martin Schulz zurückgetreten sei, nannte Stegner respektabel. "Er hat das getan, was seine Aufgabe ist, nämlich das zu tun, was das Beste für die SPD ist." Gabriel habe große Verdienste in der SPD.

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Nein, wir legen uns erst am Sonntag fest, wer Kanzlerkandidat wird. Das war bis gestern die Linie der SPD. Dann hieß es plötzlich, Spitzenpolitiker der Partei und das Präsidium wollten sich gestern Nachmittag zusammensetzen und in dieser Sache beraten. Da kochte natürlich die Gerüchteküche ordentlich hoch. Und während Spekulationen die Runde machten, dass da doch tatsächlich schon was im Busch sein könnte, präsentierten dann gestern Nachmittag das Magazin "Stern" und "Zeit Online" die Nachricht des Tages: Sigmar Gabriel verzichtet auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur. Er will beide Posten Martin Schulz überlassen und das, wo eigentlich fast alle Beobachter sich sicher waren, dass Sigmar Gabriel die Kanzlerkandidatur übernehmen würde.
    Mitgehört hat Ralf Stegner, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. Guten Morgen, Herr Stegner!
    Ralf Stegner: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Herr Stegner, schaut man sich jetzt die Reaktionen der Genossinnen und Genossen an, dann scheinen alle fest davon überzeugt, dass Martin Schulz der bessere Kanzlerkandidat ist. Warum hat das vor dem gestrigen Tag keiner so klar formuliert?
    Stegner: Na ja. Es hat natürlich eine Menge Gespräche gegeben. Das macht man nicht über Mikrofone. Und das ist ja auch eine schwierige Entscheidung. Der bessere Kandidat heißt ja in diesem Fall derjenige, der einfach die besseren Aussichten hat, das beste Wahlergebnis zu erzielen. Ich finde, das ist wirklich sehr respektabel, dass Sigmar Gabriel als Parteivorsitzender das getan hat, was seine Aufgabe ist, nämlich das Beste für die SPD zu erreichen. Er hat die eigenen Interessen zurückgestellt und hat mit Martin Schulz jemanden vorgeschlagen, dem das, glaube ich, gut gelingen wird, auch ein Stück extra Energie in diesen Wahlkampf zu bringen, in die festgefahrenen Demoskopiewerte zu bringen. Und dass das jetzt gestern so gekommen ist, ist eine gute Entscheidung. Aber Sigmar Gabriel - und das hat Ihr Korrespondent ja auch gesagt - hat als Vorsitzender wirklich große Verdienste, hat vieles erreicht, einer, an dem man sich reiben kann und der sicher auch nicht alles richtig gemacht hat. Aber das muss man erst mal hinbekommen und insofern ist das Ergebnis für die SPD jedenfalls gut.
    Büüsker: Herr Stegner, Sie haben erwähnt, dass es viele Gespräche im Vorfeld gab. Warum hat Sigmar Gabriel dann so lange mit der Entscheidung gezögert?
    Stegner: Ach, ich finde, so lange ist das gar nicht. Wir haben noch über ein halbes Jahr bis zur Bundestagswahl. Das reicht für den Wahlkampf. Manche waren auch überrascht …
    "Die Art der Öffentlichkeitsarbeit hat sicherlich nur einen Stern verdient"
    Büüsker: Na ja. Aber wir diskutieren jetzt schon seit mindestens einem halben Jahr darüber, ob er das jetzt macht oder nicht.
    Stegner: Das ist doch schön, wenn die Öffentlichkeit über die SPD diskutiert. Wenn sie über den Kanzlerkandidaten der SPD diskutiert zeigt das ja, dass wir so ganz chancenlos nicht sind, wie andere behaupten. Frau Merkel hat sich auch nicht diktieren lassen, wann sie das sagt. Und nun ist es so weit. Wir haben gesagt, Ende Januar wird es so weit sein. Ich meine, die Art der Öffentlichkeitsarbeit gestern hat sicherlich nur einen Stern verdient, das war ein bisschen rumplig. Aber so ist das vielleicht manchmal bei Generalproben. Entscheidend ist die Hauptaufführung des Stücks und das ist der Wahlkampf und da werden wir zeigen, dass wir jetzt mit frischem Mut und neuer Energie in einen Wahlkampf hineingehen mit dem Ziel, die nächste Regierung zu führen und eine Mehrheit diesseits der Union zu erreichen.
    "Gabriel wollte zeigen, dass er die Zügel in der Hand hat"
    Büüsker: Wie erklären Sie sich das denn, dass Sigmar Gabriel zuerst mit dem "Stern" gesprochen hat, bevor er das den Genossinnen und Genossen mitgeteilt hat?
    Stegner: Ich muss ehrlich sagen, natürlich wollte er sicherlich auch ein Stück zeigen, dass er die Zügel in der Hand hat, und bei so einer schwierigen Entscheidung kann ich das auch nachvollziehen. Das hat jetzt nicht jeden gefreut. Das war gestern nicht das Optimum, was die Öffentlichkeitsarbeit angeht, aber die Entscheidung schon, und das ist ja das, was Bestand hat, was jetzt die nächsten Monate zählt, dass wir als eine Partei geschlossen, entschlossen und auch fröhlich in einen Wahlkampf hineingehen, den wir gewinnen wollen, wo uns viele schon abgeschrieben haben, und übrigens im Wettbewerb mit einer Union, die komplett zerstritten ist, wo die CSU gar nicht weiß, ob sie mit Merkel Wahlkampf machen will oder nicht. Ich glaube, das ist am Ende gut, und Sigmar Gabriel verschwindet nicht von der Bühne. Er wird Außenminister, er hat viele internationale Erfahrungen. Wir werden als Team gestärkt in diese Wahlkampfphase jetzt gehen, die ja im Übrigen auch in den Ländern beginnt. Wir haben das Saarland, Schleswig-Holstein und NRW, wichtige Landtagswahlen. Die wollen wir erfolgreich bestreiten.
    "Die SPD ist die Brandmauer gegen den Rechtspopulismus"
    Büüsker: Und mit welchen Themen wird die SPD das tun wollen?
    Stegner: Sie wird das einerseits ganz deutlich mit einem Gerechtigkeitsprofil tun. Wir wollen zeigen, dass es eine gerechte Politik zum Beispiel bei Gesundheit gibt, eine paritätische Bürgerversicherung. Mit der Union geht so was nicht. Für gute Arbeit, von der man gut leben kann, Tariflöhne, gute Löhne für alle, ordentliche Rente, Familie, Steuergerechtigkeit, das sind die Gerechtigkeitsthemen. Zweitens: Martin Schulz hat gesagt, die SPD ist die Brandmauer gegen den Rechtspopulismus. Das ist wirklich der Fall. Die Höckes und Co. Erzielen 15 Prozent und mehr anderswo. Wir wollen zeigen, die haben in Parlamenten nichts verloren. Wir führen den Kampf entschlossen, die Konservativen tun das nicht. Und drittens: Wir treten leidenschaftlich ein für ein friedliches und soziales Europa, für Entspannungspolitik gegen den Nationalismus, den elenden, der wieder aufkommt. Das sind mit Martin Schulz, finde ich, zusammen gute Themen, mit denen die SPD punkten kann und wo übrigens die Behauptung, die da oben seien alle gleich und man müsse Rechtspopulisten wählen, widerlegt wird. Erstens sind wir nicht die da oben, weil wir eine Politik für alle machen. Zweitens sind wir schon gar nicht alle gleich, weil man die Unterschiede zur Union sehen wird.
    Büüsker: Herr Stegner, Sie haben eben das Thema Gerechtigkeit angesprochen und gesagt, mit der Union geht so was nicht. Das heißt, nach der nächsten Bundestagswahl wird es definitiv keine neue Große Koalition geben?
    Stegner: Es wird definitiv einen Wahlkampf geben, der zeigt, wir wollen diese Lebensabschnittspartnerschaft, nenne ich das mal, 2017 beenden. Wir wollen die Regierung selbst führen. Und wenn Sie einen Große Koalition Wahlkampf machen wollen, das wird ja kein Mensch wollen bei unseren Leuten. Und die Union braucht dringend Opposition, wie man ja merken kann, wenn man sich die anguckt. Der solide Teil in der Regierung ist die SPD. Aber klar ist natürlich auch und da darf man nicht drum herumreden: Die Wähler entscheiden das am Ende. Das heißt, Koalitionen mit demokratischen Parteien kann man nicht ausschließen. Aber wir sagen ganz deutlich, wir wollen das nicht. Große Koalitionen wollen wir nicht fortsetzen. Wir wollen eine Mehrheit diesseits der Union und dafür arbeiten und kämpfen wir.
    "Wir wollen die Große Koalition mit aller Kraft verhindern"
    Büüsker: Aber, Herr Stegner, wenn dann am Ende doch wieder eine Große Koalition herauskommt, weil es rechnerisch meinetwegen nicht anders geht, dann entsteht doch wieder der Druck, dass die da oben alle gleich sind, weil wir dann wieder eine gleiche Koalition, wieder eine Fortsetzung des Jetzt haben.
    Stegner: Aber, Frau Büüsker, das sind schon zwei Konditionalsätze. Was nach der Wahl passiert, weiß ich nicht. Wir kämpfen mit aller Kraft dafür, dass das nicht geschieht, sondern wir werben ausschließlich für die SPD bis zum Wahltag 18 Uhr, für keine Koalition, für keine Konstellation. Aber Demokratie heißt, dass man am Ende Wahlergebnisse respektieren muss. Das ist immer noch besser als andere Staatsformen. Und noch mal: Sie werden von mir kein Wort hören, dass wir eine Große Koalition wollen. Wir wollen die mit aller Kraft verhindern und ich glaube, wir können das auch gut schaffen. Aber am Ende entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Das tun sie im September und das tun sie übrigens jetzt vorher schon in den Bundesländern. Und Sie werden sehen, es wird uns ja auch ermutigen, wenn wir zum Beispiel in Schleswig-Holstein und NRW zeigen, dass da rot-grüne beziehungsweise rot-grün-blaue Konstellationen wiedergewählt werden, und das werden wir schaffen. Insofern bin ich da guten Mutes. Große Koalitionen will kein Mensch. Wer SPD wählt, der kriegt sie auch nicht.
    Büüsker: Sie geben sich mit Blick auf die Landtagswahlen optimistisch. Aber was, wenn die Regierungen dort nicht wiedergewählt werden?
    Stegner: Das Leben ist risikoreich, Frau Büüsker, und das ist so. Aber wir gehen da optimistisch ran, weil wir gewinnen wollen, und ich bin auch ziemlich sicher, dass uns das gelingen wird. Und die ersten Reaktionen, die ich gestern von der politischen Konkurrenz gehört habe, die zeigen ja auch, die hatten uns schon abgeschrieben. Die SPD darf man niemals abschreiben und Sie werden jetzt mit Martin Schulz einen Kanzlerkandidaten und neuen Vorsitzenden erleben, der uns noch mal einen extra Energieschub verpasst, und dann sind wir auf dem Feld und Wahlkampf können wir.
    Büüsker: Unser Korrespondent Frank Capellan hat eben erläutert, dass er den Eindruck hat, dass Gabriel sich von der Partei schlecht behandelt fühlt. Besteht jetzt auch die Gefahr, dass Martin Schulz von der Partei schlecht behandelt wird, sollten die Umfragewerte dann doch ganz schnell wieder sinken?
    Stegner: Ach, was heißt schlecht behandelt. Schauen Sie, bei der Union ist das so: Die Kritisieren alle die Merkel und wählen sie mit 105 Prozent. Bei uns ist das immer so: Da wird über Inhalte diskutiert. Es geht nicht nur um Macht. Da kriegt dann auch ein robuster Vorsitzender mal einen ab, weil er die Partei führt und weil er sich nicht duckt und nicht kneift. Aber das ist in der SPD seit über 150 Jahren so und wir haben schon ganz andere Schwierigkeiten bewältigt. Schlecht behandelt würde ich das nicht nennen und ich glaube, natürlich wird Martin Schulz jetzt auch angenommen werden vom politischen Gegner, keine Frage. Aber ich kenne ihn gut, ich bin ihm seit Jahren freundschaftlich verbunden. Das ist ein robuster Kämpfer und er war auch ein guter Fußballer und das Spiel ist erst nach 90 Minuten zu Ende und der Schiedsrichter pfeift erst im September ab. Wir haben noch reichlich Zeit, da was zu tun, und ich bin da überhaupt nicht verzagt. Die Verzagtheit ist vorbei.
    Büüsker: Dann gucken wir mal, ob es im September vielleicht ein Elf-Meter-Schießen gibt. - Ralf Stegner war das, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
    Stegner: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.