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SPD-Vize Ralf Stegner
"Wer jetzt für eine Große Koalition wirbt, kann im Wahlkampf gleich Schlaftabletten austeilen"

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner kritisiert, dass sich die Union nach dem Brexit-Referendum vor allem mit sich selbst beschäftige. Die Klausurtagung von CDU und CSU sei eine "alberne Paartherapie-Veranstaltung" gewesen, sagte er im DLF. Im Hinblick auf die Bundestagswahl 2017 betonte Stegner: "Die Union ist unsere Hauptkonkurrenz."

Ralf Stegner im Gespräch mit Christine Heuer | 27.06.2016
    Der schleswig-holsteinische SPD-Parteichef Ralf Stegner spricht im April 2016 beim Landesparteitag der SPD.
    Der schleswig-holsteinische SPD-Parteichef Ralf Stegner auf dem Landesparteitag in Schleswig-Holstein (picture alliance / dpa / Carsten Rehder)
    Die SPD setzt nach den Worten ihres stellvertretenden Partei-Vorsitzenden Ralf Stegner nicht mehr auf eine Zusammenarbeit mit CDU und CSU. "Wer jetzt für eine Große Koalition wirbt, der kann gleich Schlaftabletten austeilen im Wahlkampf", sagte Stegner im DLF. Seine Partei wolle eine Mehrheit diesseits der Union. "Das war schon das Ziel von Willy Brandt und das bleibt auch unser Ziel. Die Union ist unsere Hauptkonkurrenz. Wir sind nicht die nettere Ausgabe, die eine Große Koalition mit denen wieder will." Die SPD wolle mehr Gerechtigkeit und ein sozialeres Deutschland, mit der Union sei das aber nicht zu machen. CDU und CSU setzten auf Austeritätspolitik und beteten die schwarze Null an.
    Das Brexit-Referendum bezeichnete Stegner als schwarzen Tag. Aber das britische Volk habe gesprochen und das müsse jetzt umgesetzt werden. Der schleswig-holsteinische SPD-Landesvorsitzende forderte, mit Leidenschaft zu vermitteln, dass Europa ein Garant für Frieden und Wohlstand gewesen sei. Die globalen Herausforderungen - wie etwa die Jugendarbeitslosigkeit oder Umweltfragen - seien so groß, dass Europa seinen Beitrag leisten müsse.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Der Brexit treibt ganz Europa um. Die Krisendiplomatie ist in vollem Gange. Am Wochenende scharte der deutsche Außenminister seine Amtskollegen aus den Gründungsstaaten der Gemeinschaft um sich. Gemeinsam mit Jean-Marc Ayrault aus Frankreich belebte Frank-Walter Steinmeier die Diskussion um ein Europa der zwei Geschwindigkeiten neu. Heute treffen sich europäische Sozialisten und Sozialdemokraten zum Gedankenaustausch in Paris. Danach dann das große Treffen von Angela Merkel, zunächst mit EU-Ratspräsident Tusk und dann den Regierungschefs von Italien und wiederum Frankreich im Berliner Kanzleramt.
    Am Telefon ist jetzt Ralf Stegner, stellvertretender Parteivorsitzender der SPD. Guten Morgen, Herr Stegner.
    Ralf Stegner: Guten Morgen, Frau Heuer.
    "Ein richtig schwarzer Tag für das Vereinigte Königreich"
    Heuer: Millionen Briten fordern ein neues Referendum. Fangen wir damit an. Kann man den Brexit noch einmal rückgängig machen?
    Stegner: Formal wäre das wohl möglich, zumal am Ende ja das Parlament in Großbritannien entscheiden muss und dann der Antrag gestellt wird. Aber politisch, glaube ich, ist der Zug aus dem Bahnhof. Großbritannien hat über viele, viele Jahre ja gehadert mit der Europäischen Union, wollte viele Sonderrechte aushandeln. Das war ein langes Gezerre hin und her. Und am Ende kam dann dieser Volksentscheid heraus, der, wie ich glaube, traurig für Europa ist, für das vereinigte Europa, aber ein richtig schwarzer Tag für das Vereinigte Königreich ist. Ich glaube, die eigentlichen Probleme, die kommen jetzt erst, insbesondere in Großbritannien. Das sieht man an den ökonomischen Folgen, die schon ja in den ersten Tagen zu sehen waren. Das sieht man aber auch an der tiefen Spaltung in Großbritannien. Die Schotten, die Nordiren, vor allen Dingen aber die jungen Menschen, die ja mehrheitlich zur Europäischen Union weiter dazugehören wollten, das wird für tüchtig innenpolitische Spannungen sorgen. Aber die kann Europa nicht lösen. Das müssen die Briten jetzt selbst tun. Das ist ein großes Land, ein souveränes Land, das müssen sie selber regeln.
    Heuer: Spannungen, Herr Stegner, gibt es aber auch schon innerhalb der EU, auch in Deutschland. Wir haben das gerade von Stefan Maas gehört. Zum Beispiel fordern ja führende Sozialdemokraten, Martin Schulz etwa oder Außenminister Steinmeier, dass die Briten jetzt ganz rasch einen Antrag auf den Austritt aus der EU stellen sollen. Wieso eigentlich? Warum muss das so schnell gehen? Wäre es nicht klüger, wie Angela Merkel es gerne möchte, den Briten ein bisschen Zeit zum Verschnaufen zu geben?
    "Jetzt nicht monatelang Stellungskämpfe veranstalten"
    Stegner: Na ja, es ist ein beinharter Wahlkampf in Großbritannien geführt worden mit vielen bösen Tönen um dieses Referendum und man kann ja nun nicht hingehen und zu Europa sagen, so ernst haben wir das nicht gemeint. Die Bevölkerung hat gesprochen, das Ergebnis liegt vor und das muss jetzt auch umgesetzt werden. Das was Europa am allerwenigsten gebrauchen kann ist jetzt sozusagen ein Stellungskampf über viele Monate, so wie wir das in den letzten Jahren hatten, und es muss jetzt ja auch Klarheit herrschen, sowohl was die wirtschaftlichen Konsequenzen angeht, aber Europa hat ja auch vieles zu tun. Wir müssen uns darum kümmern, dass das, was es ja an berechtigter Kritik auch an den europäischen Institutionen gibt, dass das aufgegriffen wird. Wir wollen doch nicht, dass sich das wie eine Krake reinfrisst nach Europa, dass die Populisten sozusagen einen Triumph nach dem anderen feiern, denn die reiben sich ja momentan die Hände.
    Das heißt, wir haben viel zu tun, Europa sozialer zu machen, uns um Jugendarbeitslosigkeit zu kümmern, uns um verstärkte Integration zu kümmern. Das sind die Aufgaben, die wir haben, und da können wir jetzt nicht sagen, wir beschäftigen uns erst mal ein paar Monate mit britischen Befindlichkeiten. Und ich meine das weiß Gott ohne britische Untertöne. Ich bin nicht der Meinung, wir sollten jetzt eine antibritische Politik betreiben. Das nicht. Aber die haben nun entschieden, die Bevölkerung, und man muss das auch ernst nehmen und kann jetzt nicht monatelang da Stellungskämpfe veranstalten.
    "Europa ist auch ein Leidenschaftsthema im Wahlkampf"
    Heuer: Ja. Aber hart verhandeln mit den Briten, wenig Milde gelten lassen, das wollen die Sozialdemokraten schon. Ich nehme mal an, Sie auch. Kann man damit tatsächlich Populisten, Nachahmer in anderen Staaten abschrecken?
    Stegner: Na ja. Jedenfalls kann es doch nicht so sein, dass man den Eindruck hat, man muss nur lange genug hin und her taktieren und dann bekommt man Dinge, die andere nicht bekommen. Und wir reden doch hier über die Parteitaktik der konservativen Partei in Großbritannien, um nichts anderes. Die müssen die Nachfolge dort regeln für Herrn Cameron und die müssen ihren Parteitag einberufen und müssen in die Gänge kommen. Das ist nicht Europas Thema. Aber Europas Thema ist schon, dass wir überall erleben, dass die Zentrifugalkräfte in Europa zunehmen, dass Populisten, die praktisch für gar nichts Lösungen haben, gegen dieses Europa schießen. Und Europa ist für uns nicht irgendeine Frage, sondern Europa ist am Ende die Erfahrung von Jahrzehnten von Wohlstand und Frieden, und das müssen wir übrigens auch mit Leidenschaft vermitteln. Sie haben gerade gesagt, der Bundestagswahlkampf hat begonnen. Mag sein. Wir müssen auch im Bundestagswahlkampf klar machen, dass dieses Europa für uns Garant für Wohlstand und Frieden gewesen ist und dass die Populisten genau dieses in Frage stellen. Wenn sie zum Beispiel fordern, die Grenzen hochzuziehen oder den Euro abzuschaffen, wäre das ein Programm für Massenarbeitslosigkeit in Deutschland. Das muss man klar sagen und deswegen ist Europa auch ein Leidenschaftsthema im Wahlkampf. Wir Sozialdemokraten werden das jedenfalls so halten.
    Heuer: Die Sozialdemokraten haben in Person ihres Außenministers Frank-Walter Steinmeier am Wochenende gleich mal als erstes eine neue Diskussion um Kerneuropa auf die Tagesordnung gesetzt. Ist das nicht kontraproduktiv, wenn Sie Nachahmer abschrecken wollen, denn mit so etwas verunsichern Sie ja sofort die Ränder in der EU, die dann eben nicht zum Kern gehören würden?
    Stegner: Ich glaube, es ging nicht darum, irgendwelche neuen institutionellen Rahmen zu schaffen, sondern einfach zu zeigen, indem man auf die Anfänge der Europäischen Union sich besonnen hat - das war ja eine Konsequenz aus den schrecklichen Kriegen des letzten Jahrhunderts -, dass Europa in der Gemeinsamkeit nur Stärke haben kann und nicht mit der Geschwindigkeit einer Schnecke, sondern dass wir Probleme auch lösen müssen, wenn wir ernst genommen werden wollen in der Welt. Wenn Sie sich angucken, wie unsicher die Welt geworden ist, es gibt außenpolitische Krisen, die Flüchtlingsdramen, die sich überall abspielen, die ökonomischen Probleme, die es gibt, die Umweltfragen, die gelöst werden müssen. Die globalen Herausforderungen sind so groß, dass dieses Europa dazu seinen Beitrag leisten muss, jedenfalls wenn wir Frieden und Wohlstand bewahren wollen, und das sind wir unseren Kindern und Enkeln schuldig.
    Insofern hat Frank-Walter Steinmeier genau das gemacht, was man von einem deutschen Außenminister erwarten könnte, nämlich mit Entschlossenheit sich darum zu kümmern, dass die Herausforderungen angenommen werden. Und das hat mit Kerneuropa gar nichts zu tun, sondern ich glaube, man kann durchaus in bestimmten Fragen unterschiedlicher Meinung sein und trotzdem Wichtiges voranbringen. Europa hat nur gemeinsam eine Chance, wenn man mithalten will mit den Amerikanern, den Chinesen, den Indern oder Südamerika. Darum muss es gehen.
    "Dieses Europa muss sozialer werden"
    Heuer: Herr Stegner, aber so Leute wie Marine Le Pen, die werden sich freuen, wenn Deutschland und auch Frankreich auf den Brexit jetzt mit mehr statt weniger Europa antworten. Das bringt doch nichts.
    Stegner: Na ja. Ob die Rechtspopulisten sich freuen oder nicht, das kann uns relativ schnurz sein. Wir müssen verhindern, dass sie Einfluss bekommen, und Einfluss bekommen sie dann, wenn die Probleme nicht gelöst werden. Deswegen noch mal: Dieses Europa muss sozialer werden. Wenn wir zugucken, dass in Teilen in Griechenland oder Portugal oder anderswo wir 50 Millionen Jugendarbeitslosigkeit haben, dann wird diese Jugend Europas sagen, ihr könnt uns mit eurer Demokratie gestohlen bleiben, wenn ihr uns nicht braucht. Um solche Dinge müssen wir uns entschlossen kümmern. Das wollen die Rechtspopulisten gar nicht. Die machen ja, wie man leider auch bei dem Brexit-Wahlkampf gesehen hat, Wahlkampf gegen andere Menschen. Die schüren Ressentiments gegen Flüchtlinge. Daraus kommt überhaupt nichts Gutes und der Frieden wird gefährdet, wenn wir so vorangehen. Deswegen sage ich noch mal: Wir müssen uns auf europäische Werte konzentrieren, wir müssen ein sozialeres Europa, ein bürgerfreundlicheres Europa ausgestalten. Bei allen Mängeln, die die europäische Bürokratie haben mag, sie ist das größte Friedens- und Wohlstandsprojekt in unserer Geschichte, und dafür muss man mit Leidenschaft, mit Herz und Verstand werben und das werden wir Sozialdemokraten tun.
    "Viele haben die SPD schon abgeschrieben"
    Heuer: Sie haben selber schon gesagt, es mag sein, dass Wahlkampf ist. Ich nehme das jetzt mal als eine Bestätigung. Sie fordern ein sozialeres Europa. Die Union in der Großen Koalition in Berlin, die setzt aber weiter auf Sparen und auf sichere Haushalte. Da müssten Sie eigentlich als Sozialdemokrat heute schon sagen, noch eine Große Koalition kommt nicht mehr in Frage, die Lage ist zu ernst und die Werte sind zu unterschiedlich.
    Stegner: Ja, wir wollen das auch nicht. Wer jetzt für eine Große Koalition wirbt, der kann gleich Schlaftabletten austeilen im Wahlkampf. Wir wollen das nicht und schauen Sie sich doch mal diese alberne Paartherapie-Veranstaltung an, die die CDU und die CSU am Wochenende veranstaltet haben. Da ist ganz Europa in der Krise und die haben nichts Besseres zu tun, als sich da das ganze Wochenende damit zu beschäftigen, was man eigentlich normalerweise macht, wenn ein Paar in der Krise ist, zu einem Therapeuten zu gehen. Das war das, was Deutschland gesehen hat. Die Sozialdemokratie ist dafür, dass wir die Fragen anpacken, die angepackt werden müssen. Die Gerechtigkeitsthemen gehören in den Vordergrund. Und in der Tat: Ein Argument der Rechtspopulisten ist ja immer, die Großen unterscheiden sich gar nicht. Sie tun es aber. Sozialdemokraten wollen ein anderes Europa, wollen ein sozialeres Europa und wollen auch übrigens ein sozialeres Deutschland. Wir brauchen mehr Gerechtigkeit bei Arbeit, bei Gesundheit, bei Familie, bei anderen Themen. Mit der Union ist das nicht zu machen, die sind für Austeritätspolitik, die beten ihre Schwarze Null an, unsere Infrastruktur verfällt. Da gibt es schon große Unterschiede und zur Demokratie gehört es übrigens dazu, leidenschaftlich für die richtigen Wege zu streiten, und das werden wir mit der Union machen. Viele haben die SPD schon abgeschrieben, aber vielleicht haben die sich ein bisschen zu früh gefreut.
    Heuer: Herr Stegner, ganz kurz zum Schluss mit der Bitte, Ja oder Nein zu antworten. Setzen Sie auf Rot-Rot-Grün im Bund?
    Stegner: Wir setzen auf eine Mehrheit diesseits der Union. Das war das Ziel von Willy Brandt und das bleibt auch unser Ziel. Die Union ist unsere Hauptkonkurrenz und wir sind nicht die nettere Ausgabe, die eine Große Koalition mit denen wieder wollen.
    Heuer: Der stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Ralf Stegner im Interview mit dem Deutschlandfunk. Haben Sie vielen Dank!
    Stegner: Sehr gerne! Tschüss, Frau Heuer.
    Heuer: Tschüss! Schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.