Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner ist davon überzeugt, dass die Soziapolitik der Schlüssel für seine Partei ist, um auch in Umfragen auf Bundesebene künftig wieder besser abzuschneiden. Für die SPD sei Gerechtigkeit Markenkern und Kompass der Politik, sagte er im Deutschlandfunk. Die Sozialdemokraten stünden dafür, dass sich das Leben der Menschen verbessere. Es könne nicht sein, dass Superreiche auf irgendwelchen Inseln Briefkastenfirmen hätten und Geld beiseiteschafften. Das sei das Geld, das später fehle, um etwas für gute Kindergärten und gute Arbeitsbedingungen zu tun. Die SPD stehe für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das mache eine Volkspartei aus, nicht die Prozentzahlen in Umfragen.
Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die SPD dem aktuellen ZDF-"Politbarometer" zufolge nur noch auf 22 Prozent - ihr schlechtester Wert seit Oktober 2009. Im jüngsten ARD-"Deutschlandtrend" sackten die Sozialdemokraten sogar auf 21 Prozent ab. Das ist der niedrigste Wert, der bisher für die Partei in dieser Umfrage gemessen wurde.
"Der Seehofer ist im Grunde der Störenfried"
Die jetzige Lage der SPD habe nicht nur mit Fakten zu tun, meinte Stegner. Die Sozialdemokraten hätten zuletzt einige politische Erfolge gehabt. Er verwies hier auf Rentenpolitik, Mindestlohn und Mietpreisbremse. Dass dies nicht gesehen werde, habe mit der derzeitigen Spaltung der Gesellschaft zu tun. Sie führe dazu, dass Angstmacher Konjunktur hätten, "also diejenigen, die für nichts eine Lösung, aber für alles einen Sündenbock haben."
Er wolle nicht verhehlen, dass die Umfrage-Ergebnisse die SPD beunruhigen, so der Vize-Parteichef. Dass aber die rechtspopulistische AfD, die derzeit in den Umfragen zulege, die SPD irgendwann auch bundesweit überhole, das werde nicht passieren. Stegner will, dass die SPD wieder mehr zu den Menschen hingeht: Man müsse an Haustüren klingeln oder in die sozialen Netzwerke gehen, wo die jungen Leute seien. "Wir müssen deutlich machen, dass wir nicht zu denen da oben gehören."
Es sei auch nicht hilfreich, dass man als zerstrittene Koalition auf Bundesebene wahrgenommen werde, betonte Stegner und verband dies mit einem Seitenhieb auf CSU-Chef Horst Seehofer: "Der Seehofer ist im Grunde der Störenfried".
Das Interview in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker:!! Noch steht eine Zwei vorne bei der Prognose für die SPD im aktuellen ARD-Deutschlandtrend. 21 Prozent sagt diese Umfrage für die SPD voraus, würde am Sonntag gewählt – das schlechteste Ergebnis seit jeher. In zwei Bundesländern steht nach den letzten Wahlen keine Zwei mehr vorne. In Baden-Württemberg reichte es für die SPD nur für 12,7 Prozent, in Sachsen-Anhalt waren es nur 10,6 Prozent, und nächstes Jahr sind Bundestagswahlen. Am Telefon begrüße ich nun Ralf Stegner, den stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD. Moin, Herr Stegner!
Ralf Stegner: Moin, Frau Büüsker!
Büüsker: Herr Stegner, die SPD gibt nach, die AfD legt zu – was glauben Sie, wie lange dauert es noch, bis Ihre Partei in Umfragen von der AfD überholt wird?
Stegner: Das wird, glaube ich, nicht passieren, und dass uns die Zahlen beunruhigen, will ich überhaupt nicht verhehlen. Wir leben in schwierigen Zeiten, das ist einfach so. Viele Menschen sind verunsichert, es gibt welche, denen geht es gut und den anderen geht es sehr gut, und dann gibt es andere, die können ihre Mieten kaum bezahlen, haben kleinste Renten oder wissen nicht, wie sie mit den Kita-Gebühren zurechtkommen sollen. Wir haben also ein Land, das durchaus vielfältig ist und Spaltungen hat. Uns wird gelegentlich schlechtgeschrieben, dass sie sagen, die SPD, das ist eine von denen, die da oben sind, und das ist ein Teil, glaube ich, unseres Problems, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Wenn es einfache Antworten gäbe, dann wären die Umfragewerte nicht so. Ich glaube, man kann auch fairerweise nicht sagen, dass die Leistungsbilanz der SPD schlecht wäre. Wenn Sie sich die Bundesregierung angucken, dann haben wir gerade mal 25 Prozent gehabt. Dennoch ist das, was da inhaltlich vorangekommen ist, Mindestlohn zum Beispiel betrifft vier Millionen Menschen und ihre Familien, die da Verbesserung haben, oder die Mietpreisbremse, oder die Quote, oder andere Dinge, die wir da durchgesetzt haben bei der Rente. Das waren schon wir, und trotzdem wird uns das nicht gutgeschrieben. Deswegen ist es unsere Aufgabe, dran zu arbeiten, dass uns das besser gelingt, aber es ist eben nicht einfach, und es hat nicht nur mit den Fakten zu tun.
Büüsker: Ja, aber Herr Stegner, wenn ich ganz kurz reingehen darf, wie erklären Sie es sich dann, dass diese Erfolge, die Sie betonen, nicht von den Menschen verstanden werden?
Stegner: Ich glaube, dass eben diese Spaltung, die wir in der Gesellschaft haben, dazu führt, dass die Angstmacher Konjunktur haben, also diejenigen, die für nichts eine Lösung, aber für alles einen Sündenbock haben, und dass wir gerade in Zeiten von der großen Koalition – die im Übrigen auch noch zerstritten ist, wenn Sie sich mal die Bundesregierung angucken: Der Seehofer ist im Grunde genommen da der Störenfried, also man wird als zerstrittene Koalition wahrgenommen. Das nützt auch nicht gerade, aber dass wir, je mehr es jetzt Richtung Bundestagswahl geht, deutlicher machen müssen, dass die SPD ein eigenes Profil hat, dass wir eben nicht zu denen da oben gehören, dass es uns nicht egal ist, ob jemand, der sein Leben lang gearbeitet hat, am Ende mit seiner Rente zurecht kommt oder nicht, dass es uns nicht egal ist, dass es immer noch schwerer ist, für ein Kind aus einer Arbeitnehmerfamilie eine Bildungskarriere zu machen, dass es uns nicht egal ist, dass es Gegenden gibt, wo die Menschen ihre Mieten nicht bezahlen können. Das müssen wir deutlicher machen. Da gehören inhaltliche Fragen dazu, da gehört sicherlich auch die Sprache dazu, dass man nicht technokratisch daherredet, sondern dass die Menschen einen verstehen können. Also die Aufgaben sind schon anspruchsvoll und schwierig. Auf der anderen Seite, wissen Sie, wir sind 152 Jahre alt, wir hatten schon oft schwierige Situationen, sind noch viel öfter totgesagt worden, und deswegen bin ich durchaus zuversichtlich, dass es uns gelingt, den Menschen deutlich zu machen, es lohnt sich nicht, Parteien zu wählen, die keine Lösungen haben, sondern nur Angst verbreiten.
Büüsker: Herr Steger, dann sagen Sie doch bitte mal ganz einfach verständlich für alle, wofür steht die SPD. Ganz einfach verständlich.
Stegner: Die SPD steht dafür, dass sich das Leben der Menschen verbessert, dass es nicht so sein kann, dass die Superreichen auf irgendwelchen Inseln Briefkastenfirmen haben und Geld beiseiteschaffen, und das Geld, was übrigens fehlt, um nachher was für Kindergärten zu tun oder für gute Arbeit …
Büüsker: Und wie will die SPD das schaffen?
"Die SPD ist die Partei, die für sozialen Zusammenhalt steht"
Stegner: Indem wir zum Beispiel so etwas wie den Mindestlohn durchsetzen, indem wir zum Beispiel dafür sorgen wollen, dass Tarifbindung zunimmt, dass prekäre Beschäftigung endlich aufhört. Schauen Sie, die CSU blockiert zum Beispiel zurzeit die Leih- und Zeitarbeitsregelung, dass das besser wird, aber die Leute, die da arbeiten, die müssen auch ihre Mieten bezahlen, die müssen auch mit ihrer Familie zurechtkommen, die haben vielleicht auch pflegebedürftige Eltern. Diese Veränderungen, die dann notwendig sind, damit es gerechter zugeht, obwohl wir ein reiches Land sind insgesamt, das müssen wir hinkriegen und den Menschen auch zeigen, die SPD ist die Partei, die für sozialen Zusammenhalt steht. Wir wollen nicht, dass die, die hier sind, ausgespielt werden gegen die, die zu uns geflüchtet sind, sondern wir wollen Politik machen für alle Menschen, die hier sind. Das macht übrigens Volkspartei am Ende aus: Nicht die Prozentzahlen, sondern dass Sie eine Politik machen, die für alle Menschen gut ist und nicht nur für wenige, und schon gleich gar nicht nur für diejenigen, denen es ohnehin gut geht.
Büüsker: Herr Stegner, jetzt haben Sie eben gesagt, Sie haben die Panama-Papiere angesprochen, die Briefkastenfirmen, die es weltweit gibt, die Steuervermeidung, zu deren Zweck diese Briefkastenfirmen eingerichtet wurden, und dann haben Sie gesagt, die SPD setzt sich für den Mindestlohn ein. Dieser Zusammenhang erschließt sich mir jetzt nicht.
Stegner: Ich will Ihnen den Zusammenhang sagen, weil die Menschen, die Ihnen jetzt vielleicht zuhören am Frühstück, die werden sagen, verdammt noch mal, so ein Arbeitnehmer, der arbeitet, zahlt Steuern und Beiträge und kriegt die abgezogen. Der hat überhaupt kein Geld dafür, irgendwelche Briefkastenfirmen zu gründen, der macht nichts Illegales, der zahlt Steuern, und es fehlt am Ende an Mitteln zum Beispiel, um Kinderbetreuung zu verbessern, um Schule zu verbessern, um genug Polizei zu haben. Diese Mittel fehlen deswegen, weil es Superreiche gibt, die ihre Steuern eben verschleiern oder sie nicht bezahlen, die irgendwo Geld parken, damit es niemand erfährt. Gar nicht zu reden von dem, was da noch betrieben wird mit solchen Briefkastenfirmen. Das ist eine grobe Ungerechtigkeit, und wenn dann die Bürger sagen, das duldet ihr da oben, und die SPD wird dazugezählt, dann haben wir ein Problem. Dann reicht es manchmal nicht, darauf hinzuweisen, dass die SPD das ändern will und es Konservative und Liberale sind, die das nicht mitmachen in Europa. Andererseits muss man auch sagen, die Dinge sind kompliziert, und es gibt für viele Sachen keine einfachen Antworten. Man braucht man lange Zeit, zum Beispiel, um europäische Einigungen hinzubekommen. Das geht nicht von heute auf morgen. Das ist ein bisschen das Dilemma, und hinzu kommt, dass viele Menschen gar nicht Deutschlandfunk hören oder keine Zeitung lesen und gar nicht erreicht werden durch viele Wege der Kommunikation, die wir haben, sodass wir auch darüber reden müssen, wie kommen wir an Menschen ran, die sich abgewandt haben von der Demokratie, die gar nicht wählen gehen und die das alles gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen.
Büüsker: Und was wäre da Ihre Idee?
"Ich glaube, dass wir mehr an Haustüren klingeln müssen"
Stegner: Ich glaube, dass wir in der Tat das, was Sie eben aus dem Zitat von Sigmar Gabriel von seiner Rede von 2009 gebracht haben, auch mehr tun, dass wir mehr an Haustüren klingeln müssen, dass wir mehr zu Menschen hingehen müssen, dass wir mehr in sozialen Netzwerken aktiv sein müssen, wo jüngere Leute sind, und dass wir uns eben auch nicht abschrecken lassen dürfen, weil die Umfragewerte schlecht sind. Das demotiviert auch die eigenen Truppen, das will ich gar nicht bestreiten, wenn die Werte so schlecht sind, und man sagt, eigentlich haben wir doch gar nicht so viel falsch gemacht, warum werden wir abgestraft in den Umfragewerten. Das heißt, es ist auch eine Aufgabe der Parteiführung, und da gehöre ich auch zu. Da darf man es sich nicht so einfach machen, da ist jetzt der Vorsitzende schuld oder irgendeiner. Das sind wir schon immer alle zusammen. Und nicht zuletzt in Interviews wie diesem, dass man versucht, den Standpunkt deutlich zu machen und zu zeigen, das ist nicht ein Einheitsbrei bei den Parteien, sondern es gibt Konservative, es gibt Liberale und es gibt Sozialdemokraten, und für uns ist Gerechtigkeit Markenkern. Für uns ist Gerechtigkeit Maßstab und Kompass unserer Politik, und daran arbeiten wir.
Büüsker: Jetzt haben Sie eben schon die Parteiführung angesprochen und Sigmar Gabriel indirekt in Schutz genommen, aber muss man nicht doch in solchen Zeiten wie diesen, wo die Umfragewerte so schlecht sind, irgendwelchen personelle Konsequenzen ziehen? Wenn wir mal kurz zurückgucken auf den Parteitag: Da ist Sigmar Gabriel mit einem denkbar schlechten Ergebnis wiedergewählt worden – 74,3 Prozent. Das zeigt doch auch, dass in der Partei einige an ihm zweifeln.
Stegner: Also, Vorsitzende, bei denen ist es immer so, wenn was gut geht, dann waren es alle, wenn was schlecht geht, ist man selber schuld. Natürlich inszeniert die Union sich auf Parteitagen besser. Die wählen die Merkel mit 110 Prozent und gehen dann raus und sagen, die Flüchtlingspolitik muss aber ganz anders werden. Bei uns ist es weniger so. Wir waren lange Jahre in der Opposition, wir haben auch oppositionellen Geist, wir haben das mit der Inszenierung nicht so, aber ich will Ihnen ein Gegenbeispiel sagen: Wir lagen in Rheinland-Pfalz im November noch elf Prozentpunkte hinter der Union, und alle haben gesagt, ihr könnt überhaupt gar nicht gewinnen. Wir haben am Ende gewonnen dort, weil wir mit einer geschlossenen, entschlossenen Partei mit einer klaren Linie, mit einer guten Spitzenkandidatin Kurs gehalten haben und gearbeitet haben, zu den Menschen gegangen sind und gesagt haben, wir haben die besseren Antworten und nicht verzagt haben. So wird es auch auf Bundesebene sein müssen. Wir haben noch anderthalb Jahre Zeit bis zur Bundestagswahl. Wir haben Wahlen dazwischen zum Beispiel in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen oder auch in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland. Da kommen noch einige Wahlen, bei denen wir uns anstrengen müssen und es uns auch gelingen muss, diese Prozentzahlen für die Rechtspopulisten zurückzudrängen. Wenn uns das gelingt, dann sind die Aussichten auch schon deutlich besser, dass es ein besseres Ergebnis gibt als die Umfragewerte jetzt sind.
Büüsker: Sagt Ralf Stegner, der stellvertretende Parteivorsitzende der SPD. Vielen Dank, Herr Stegner, für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk!
Stegner: Sehr gerne, tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.